Anti-Teuerungspaket: Ich will nicht entlastet werden
Guten Morgen!
Hundertsiebzig Euro Miete mehr. Pro Monat. Einfach so. Wegen des neuen Heiztarifs. Dazu höhere Kosten für Lebensmittel, Sprit und andere Alltagskosten, die in einer vierköpfigen Familie so anfallen. Die Ansage des Bundeskanzlers: „Wir geben den Menschen das Geld zurück, das ihnen die Teuerung genommen hat“, müsste mich extrem erleichtern. Ich lehne dennoch dankend ab. Ich bin Mittelschicht. Ihr müsst mich nicht entlasten.
500 Euro Familienbonus, 500 Euro Klimabonus, 500 Euro „Geld-zurück-Bonus“, 360 Euro Familienbeihilfe. Dazu die vorhergehende Steuerreform. Ein Geldsegen, mit dem viele von uns – Hand aufs Herz – in diesem Ausmaß gar nicht gerechnet hätten. Bevor nun Spendentipps oder Kontonummern eintrudeln mit dem Verweis: „Dann überweis mir doch die Kohle, du Samariter!“ Natürlich hilft das Geld sehr. Aber es geht um eine prinzipielle Frage: Es ist Krieg in Europa. Krieg hat Folgen. Und mit diesen Folgen müssen wir leben lernen. All jenen, die das nicht können, müssen wir helfen. Sollen Menschen mit Abstiegsangst wieder durchatmen können? Unbedingt. Sollen die Schlangen vor den Sozialmärkten wieder kürzer werden? Unbedingt. Müssen die Wege, die mit SUV’s zurückgelegt werden, wieder länger werden? Nicht unbedingt.
Den eigentlichen Krieg, nur 1000 Kilometer entfernt, verdrängen wir immer mehr. Unser Krieg ist die Inflation. Und die Regierung gelobt, diesen zu gewinnen. Ihre Waffe: unser Steuergeld. Das Heilsversprechen: Wir sichern den Status quo ab – aller Bürger. Das Motto der Pandemie, „koste es, was es wolle“, wird nahtlos fortgesetzt. Wenn dieses Anti-Teuerungs-Paket nicht reicht, schnüren wir einfach ein Winterpaket. Und dann ein Frühlingspaket.
Mit ihrem 28-Milliarden-Euro-Sorgenfrei-Paket will die Regierung das Volk gegen den Krieg immunisieren. Doch das funktioniert nicht, im Gegenteil. Es macht uns träge und damit anfälliger für Erschütterungen. Und diese Erschütterungen werden tendenziell stärker. Im Winter werden wir wohl auch privat auf Kriegswirtschaftsmodus schalten müssen. Dazu gehört: Resilienz aufbauen, Energie sparen, nicht notwendige Kosten reduzieren. 1,5 statt zwei Packungen Zigaretten am Tag, Leitungswasser statt verteuertes stilles Wasser aus dem Supermarkt, Jausenbrote statt Bäcker-Weckerl – darf das zumutbar sein in Zeiten des Krieges?
Einwand: Der Finanzminister nimmt durch die Inflation deutlich mehr an Umsatzsteuer ein. Er gibt den Bürgern doch nur das Geld zurück, das er ihnen genommen hat. Das übersieht: Nach zwei Jahren Pandemie und einem 46 Milliarden Euro-Hilfspaket braucht der Staat das Geld an anderer Stelle noch dringender. Wir müssen den Turbo zünden, raus aus Putins Gas. Und wir müssen die Säulen der Gesellschaft absichern. Das hilft dieser Gesellschaft mehr als die üppigsten Pakete. In Altersheimen sind immer mehr Pfleger am Ende; nicht selten unterrichtet eine Lehrerin 30 Schüler, die zehn verschiedene Sprachen sprechen, aber nur brüchig Deutsch; die ersten Kindergärten bleiben schon zu, wenn Pädagoginnen ausfallen. Ohne weitere Investitionen und höhere Gehälter kippen diese Säulen. Gerade als Journalisten müssen wir neben der privaten Entlastungsrechnung diese Großbaustellen im Auge haben.
Die Regierung mag sich denken, sie müsse die Geldschleuse bei jeder Krise – für alle – öffnen, sonst ist sie politisch weg vom Fenster. Doch sie befeuert damit die Inflation weiter. Und der Effekt könnte auch politisch verpuffen. Denn Dankbarkeit ist keine politische Kategorie. Leadership in Kriegszeiten schon. Und Steuergeld verteilen ist noch keine Führungsstärke.
Anders sieht es profil-Redakteur Gernot Bauer, der das Anti-Teuerungspaket gar nicht erwarten kann. Seine streitbaren Text können Sie hier lesen.
Guten Start in die Woche wünscht
Clemens Neuhold