Auch im Stadion gingen Hooligans beider Teams aufeinander los

Ausschreitungen in Marseille überschatten die EURO

Mit Entsetzen und Abscheu reagierten Politiker und die Turnier-Verantwortlichen der UEFA auf die gew

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Mit Entsetzen und Abscheu reagierten Politiker und die Turnier-Verantwortlichen der UEFA auf die gewalttätigen Ereignisse in Frankreichs zweitgrößter Stadt Marseille mit mindestens 44 Verletzten und zahlreichen Festnahmen, die sogar die große Terrorangst zum EM-Startwochenende in den Hintergrund drängten.

"Diese Art von Verhalten ist völlig inakzeptabel und hat keinen Platz im Fußball", betonte die Europäische Fußball-Union (UEFA) und berief umgehend eine Sondersitzung ihres Exekutivkomitees ein. Die UEFA beschloss Sondermaßnahmen mit mehr Sicherheitskräften in den Stadien schon für die Partien am Sonntag. Bereits beim ebenfalls als Risikospiel eingestuften Match Türkei - Kroatien am Sonntagnachmittag in Pariser Prinzenpark-Stadion waren 1.500 Polizisten im Einsatz.

Den Fußballverbänden von Russland und England wurde sogar der EM-Ausschluss angedroht. Grundlage ist Artikel 65 der UEFA-Statuten, nach dem das Exekutivkomitee "nach Recht und Billigkeit" entsprechende Strafen verhängen kann. Diese mögliche Sanktion ist unabhängig von laufenden Ermittlungen der UEFA-Disziplinarkommission gegen Russland. Das Gremium unter dem Kärntner Vorsitzenden Thomas Partl eröffnete am Sonntag ein Verfahren wegen Fanausschreitung, dem Abbrennen von Feuerwerkskörpern und rassistischen Ausfällen, ein Ergebnis wird für Dienstag erwartet.

Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve verurteilte das Geschehen als "unverantwortliches und mutwilliges Verhalten von Pseudo-Fans". Cazeneuve hat sich für harte Strafen für England und Russland ausgesprochen. "Es ist absolut notwendig, dass die nationalen Verbände, deren Fans für diese Ausschreitungen gesorgt haben, dafür bestraft werden, was im und außerhalb des Stadions passiert ist", sagte der Innenminister. Er wies die neun Host-Citys an, künftig an Spieltagen sowie dem Tag davor in den Spielorten ein Alkoholverbot auszusprechen.

Doch auch am rigorosen Verhalten der Sicherheitskräfte gab es Kritik. Der russische Sportminister und FIFA-Funktionär Witali Mutko bemängelte sogar öffentlich die schlechte Organisation im Stadion, wo es augenscheinlich Probleme gab, die Fangruppen zu trennen. Mutko appellierte aber auch an die eigenen Fans und forderte sie zu einem vernünftigen Verhalten auf.

Der englische Fußball-Verband (FA) rief die eigenen Fans ebenfalls auf, Respekt zu zeigen. Die FA hat die Vorfälle von Marseille verurteilt und sieht auch "organisierte russische Gangs" für die Ausschreitungen verantwortlich. "Es war schockierend. Ich habe solche Szenen in einem Fußballstadion seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen", sagte FA-Generalsekretär Martin Glenn in einem Video-Statement. Die britische Regierung hat angeboten, weitere Polizisten zur Unterstützung nach Frankreich zu entsenden.

Die Polizeipräfektur in Marseille, wo ein Brite lebensgefährlich verletzt wurde, vermeldete insgesamt 35 Verletzte und zehn Festnahmen. Neben einem 37-jährigen Österreicher und einem Deutschen sollen sich laut den Behörden auch englische und russische Fans sowie Franzosen in Haft befinden. Aus Nizza meldeten die Behörden am Vorabend der Partie Nordirland gegen Polen Fan-Krawalle, die von 20 bis 30 einheimischen Ultras provoziert worden seien. Die Bilanz dort: Neun Personen mussten ins Krankenhaus, drei weitere wurden festgenommen.

In Marseille war es den dritten Tag in Serie zu Gewaltszenen in der Stadt gekommen. Im Stadion eskalierte die Situation dann unmittelbar nach dem späten Ausgleich der Russen kurz vor dem Abpfiff: Augenscheinlich russische Anhänger gingen auf englische Fans los, die in benachbarten Blöcken saßen, und prügelten wild auf diese ein. Dabei flüchteten die Attackierten über Zäune in den Innenraum.

Die UEFA räumte nun die unzureichende Trennung der Fangruppen ein. Besonders hier sollen die Vorkehrungen mit mehr und intelligenter eingesetzten Stewards verbessert werden. Die Polizei soll aber weiter nur nicht sichtbar in den Arenen bereitstehen. Zu einem möglichen Einsatz von Soldaten äußerte sich die UEFA nicht.

Die schlechte Trennung der Fans bemängelte auch Mutko: "Man muss solche Spiele gut organisieren und die Fans (im Stadion) trennen", sagte der russische Sportminister. An der UEFA-Sondersitzung nahm Mutko aber nicht teil, obwohl er als FIFA-Council-Mitglied dazu berechtigt gewesen wäre.

Russland steht als WM-Gastgeber 2018 besonders im Fokus. Bisher hatten die Funktionäre Fan-Gewalt als Problem im heimischen Fußball zurückgewiesen. "Was hat die WM 2018 damit zu tun?", fragte Mutko nun. Die FIFA betonte indes, dass Russland die Ereignisse in Marseille für sein Sicherheitskonzept berücksichtigen werde.

Die französischen Medien reagierten schockiert. "Die Schande", titelte die Sportzeitung "L'Equipe" am Sonntag. Sie sprach von "Guerillaszenen" in der Mittelmeerstadt. "Am zweiten Tag des Turniers steht die EM schon im Zeichen der Angst", so das Blatt. Die Sonntagsausgabe der Tageszeitung "Le Parisien" sprach von Szenen unerhörter Gewalt: "Trotz des Ausnahmezustands, obwohl jeder wusste, dass die Begegnung zwischen England und Russland explosiv ist, hatte der zweite EM-Tag im alten Hafen Züge von Bürgerkrieg."