Autor Schulz: "Der schöne Tod, was soll das sein?"
Der Alte Südfriedhof in München. Jogger, Pensionisten, Mütter mit Kinderwagen und Eichhörnchen treffen auf dem 1563 als Pestacker gegründeten und seit Jahrzehnten aufgelassenen Begräbnisort südlich des Sendlinger Tors aufeinander. Der Ort verströmt den Charme eines Freilichtmuseums unter grauem Oktoberhimmel. Roland Schulz, Boxerstatur, Stoppelglatze, Hornbrille, kennt den Südfriedhof von früher. Der Reporter beim Magazin der "Süddeutschen Zeitung" kommt nach einem Wohnungswechsel in die Vorstadt nur mehr selten hierher. Mit Sterben und Tod hat Schulz, 42, dennoch einige Erfahrung. Im Sommer erschien im Magazin Schulz' Artikel "Ganz am Ende", die genaue Darstellung dessen, was in Körper und Geist passiert, wenn ein Mensch stirbt, in suggestivem Ton und unkonventioneller Du-Perspektive: "Tage vor deinem Tod, wenn noch niemand deine Sterbestunde kennt, hört dein Herz auf, Blut bis in die Spitzen deiner Finger zu pumpen." Schulz erhält für "Ganz am Ende" noch immer Leserbriefe. "So sterben wir" ist das soeben publizierte Buch zu der vielfach prämierten Wissenschaftsreportage.
INTERVIEW: WOLFGANG PATERNO
profil: Schlechte Nachrichten, Herr Schulz. Wir beide werden sterben. Schulz: Leider. Lässt sich aber nicht ändern.
profil: Während wir hier sprechen, sterben statistisch gesehen jede Sekunde zwei Menschen. Schulz: Sterben hat seinen Sinn. Ohne Ende wäre das Leben nicht lebenswert. Wir sind es gewohnt, nur Lebenden zu begegnen. Deshalb vergessen wir oft, dass wir dereinst alle sterben werden. Leben ist der mutmaßliche Normalzustand, unser aller Totsein irgendwann aber der tatsächliche.
Alle Versuche, Sterben und Tod zu begreifen, sind am Ende hoffnungslos.
profil: Und wieder sind eine Antwort lang Menschen verstorben. Eine gruselige Vorstellung? Schulz: "Gruselig" ist das falsche Wort. Die Toten sind unserer Sicht entrückt. Während wir hier sprechen, werden allein in München Dutzende Verstorbene in Leichenwagen auf Friedhöfe und in Krematorien gefahren. Zu Beginn meiner Arbeit an dem Buch ging es mir ähnlich wie damals, als ich zum ersten Mal Vater wurde: Bald sah ich nur noch Schwangere! Während der Recherche und des Schreibens war der Tod plötzlich dauerpräsent: Da, wieder ein Leichenwagen. Das Läuten einer Totenglocke. Ein Sarg, der aus dem Haus getragen wird.
Roland Schulz hat für "So sterben wir" mit Chefärzten von Palliativstationen, Pflegern, Krankenschwestern, Medizinerinnen, Mitarbeitern von Bestattungsbetrieben und Krematorien, Trauerbegleiterinnen, Beamten in Standes-und Gesundheitsämtern gesprochen. Das Standardwerk "Lehrbuch der Palliativmedizin" umfasst 1450 Seiten, das Kapitel "Sterbephase in der Palliativmedizin" ist nur neun Seiten lang. Mit "So sterben wir" beschreitet Schulz Neuland. Er beschreibt minutiös, mit welch buchhalterischer Brutalität der Tod das Leben auslöscht.
profil: Baudelaire nannte den Tod "alter Käpt'n". In Ihrem Buch wird er zur "Drecksau". Schulz: Alle Versuche, Sterben und Tod zu begreifen, sind am Ende hoffnungslos. Wir unterhalten uns gerade im Vollbesitz unserer Kräfte, in Form eines Gedankenspiels. Der unentrinnbaren Tatsache, dass wir alle sterben werden, kommen wir dadurch aber kein Stück näher. Wir stehen erst an einem wirklichen Scheidepunkt, wenn unser Arzt die Diagnose bestätigt, die mit Gewissheit zum baldigen Tod führen wird. Dann sieht es blitzartig vollkommen anders aus.
Sterben, so heißt es, gehöre zum Leben. "Alle Tage wandern wir zum Tod", wusste Montaigne. Seit es Menschen gibt, wird gestorben, seit gut 8000 Generationen, wie Schulz schreibt. Bis zu 200 Milliarden Menschen sind bis heute auf Erden hingeschieden. Die Welt ist ein gigantischer Totenhain. Mediziner träumen neuerdings davon, die Zahl aller Toten eines Jahres weltweit zu erfassen, ein ungeheuerlicher Datenschatz mit mindestens 57 Millionen Einträgen. Die Suche danach hat sogar einen Namen: "Weißer Wal der Wissenschaft". Man braucht die Besessenheit des Moby-Dick-Jägers Ahab, um diese Werte zu erheben.
profil: In "So sterben wir" verzichten Sie auf Zitate aus der jahrtausendealten Geistesgeschichte zum Thema -allerdings mit einer Ausnahme: Sie erwähnen einen Dialog zwischen Charlie Brown und seinem Hund Snoopy, in dem Charlie jammert: "Eines Tages werden wir alle sterben!" Snoopys Antwort: "Stimmt. Aber an allen anderen Tagen nicht." Schulz: Dieser Cartoon hing bei auffallend vielen Bestattern an der Wand. Er hilft durch den Tag. Darum geht es letzten Endes - sich der eigenen Sterblichkeit bewusst zu werden, vor dem Tod aber auch nicht zu verzagen.
Die Werkzeuge des rationalen Verstehens zerschellen an der Grenze zum Ableben.
profil: Fühlen Sie sich durch die Arbeit an Artikel und Buch für Ihre letzte Stunde gerüstet? Schulz: "So sterben wir" ist kein Lehrbuch, sondern die Einladung zu einer Auseinandersetzung. Die kann aber nie so viele Früchte tragen, dass man Sterben und Tod auch nur im Ansatz gewappnet entgegentritt. Es gibt Experten, die sich Tag für Tag mit dem Ende des Lebens auseinandersetzen: Mediziner, Leichenwäscher, Mitarbeiter in Krematorien, Notärztinnen, Kriseninterventionsteams. Aber Experte für das eigene Sterben zu werden? Unmöglich. Die Werkzeuge des rationalen Verstehens zerschellen an der Grenze zum Ableben. Sterben und Exitus lassen sich nicht festzurren, sie bleiben von einem Schleier umfangen, auch wenn sich Medizin, Recht und Philosophie seit Jahrtausenden daran abarbeiten - und scheitern.
profil: Man weiß, dass man nichts weiß. Schulz: "Ich weiß es nicht": Das ist in Sachen Lebensende nicht die schlechteste Antwort. Es ist gut, dass niemand die Lösung kennt. Erleben werden wir es früh genug.
profil: Empfinden Sie sich als Sterbe-Experte? Schulz: Nein, überhaupt nicht. Damit habe ich beim Schreiben gerungen: Ein Problem ist, dass ein Buch wie dieses ein Gefühl des Wissens erwecken kann - und damit der Kontrolle. Sterben und Tod sind aber genau das Gegenteil von Kontrolle.
"Otto Normalsterbender", so nennt Schulz in seinem Buch die Kunstfigur, an der er archetypische Muster des Sterbens durchspielt. Ein Mensch liegt nach längerer Krankheit auf dem Sterbebett. Die Anzeichen des baldigen Dahinscheidens müssen nicht eintreten, können aber; die Abfolge der Symptome differenziert. Jedes Sterben ist singulär. Wenn es ans Sterben geht, zentralisiert der Mensch: Das Blut sammelt sich in den wichtigen Körperbereichen. Nagelbett und Kniescheibe können sich bläulich verfärben, weil kaum Blut zirkuliert. Der Schluckreflex verebbt. In den Tiefen der Kehle sammelt sich Speichel, worüber Atemluft streicht. Ein Nerven durchdringendes Geräusch ertönt, wie wenn ein Kind mit Strohhalm letzte Reste aus einem Glas saugt. "Todesrasseln" hören Pfleger und Palliativmediziner nicht gern. "Und dann bist du tot", schreibt Schulz. Die Hand des Menschen auf dem Sterbebett - unwiderruflich leblos. "Der Glanz ist weg", zitiert Schulz Sterbehelfer.
profil: Nach der Lektüre Ihres Buchs ist man froh, am Leben zu sein. Schulz: Als ich bei Bestattern mitarbeitete, erlebte ich so etwas wie einen "Triumph des Überlebens". Es ist einfach, sich im Angesicht des Todes lebendig zu fühlen. Als wir bei einer Hausabholung mit dem Sarg auf die Straße traten, sahen viele Passanten fast zwanghaft in die andere Richtung. Andere wiederum hefteten ihre Blicke förmlich auf den Sarg. Es war in diesem Moment überdeutlich, wer am Leben ist - und wer nicht. Man hält kurz inne und kostet sein Lebendig-Sein ein Stück weit aus.
Auch im sicheren Wissen meiner Endlichkeit kann ich die Sonne genießen, mich um Menschen sorgen, die mir wichtig sind, meinen Lebensunterhalt verdienen.
profil: Der Tod ist immer der Tod der anderen. Schulz: Wir sind abhängig von diesem Reflex, sonst würden wir in der Früh nicht aus dem Bett steigen, weil eh alles wurscht wäre. Wir wären unfähig, das simple Handwerk des Lebens zu bewältigen. Siehe Snoopy: Erkenne, dass du eines Tages nicht mehr da sein wirst, aber heute noch nicht. Auch im sicheren Wissen meiner Endlichkeit kann ich die Sonne genießen, mich um Menschen sorgen, die mir wichtig sind, meinen Lebensunterhalt verdienen.
Die Unruhe vor dem Sterben. Eine Geste, notiert Schulz, sei häufig zu beobachten. Sterbende tasten und fassen ins Nichts. Die Medizin nennt es "Flockenlesen". Schulz schreibt: "Erfahrene Pfleger erinnert es an Kinder im Kettenkarussell - wenn sie weit emporfliegen und sich den Wind durch die Finger fahren lassen." Das Dämmern vor dem Sterben, das "Eintrüben", eine Bewusstlosigkeit wankender Tiefe, das Atmen, die sogenannte Cheyne-Stokes-Atmung: "Deine Atemzüge, anfangs tief, flachen ab, bis dein Atem stockt, eine deutliche Pause macht, mit einem tiefen Seufzer wieder einsetzt. Tiere im Winterschlaf atmen so. Und Menschen, die sterben."
profil: Der Mensch des hochtechnisierten 21. Jahrhunderts hält sich mitunter für unsterblich. Schulz: Ging das nicht vielleicht auch Menschen des 19. Jahrhunderts so? Es war schon immer einfach, sich im Alltag von der Notwendigkeit des Sterbens zu distanzieren. Der Tod war aber nie weg, er ist heute sogar so nah wie nie zuvor: Man schaltet den Fernseher ein und hat drei Tote gesehen. Man setzt sich an den Computer und liest von Hunderten Leichen. Sofort tritt der Reflex ein: Na, bin ja nicht ich! Irgendwann werde ich es aber sein. Katholische Beerdigungen schließen bis heute das Ritual ein, bereits am offenen Grab für jenen Trauernden zu beten, der als Nächster vor das Antlitz Gottes treten wird. Viele lässt das schaudern. Aber allein der Versuch, sich seinen Tod zu vergegenwärtigen, erscheint mir wichtig und wertvoll.
profil: Google hat 2013 das Unternehmen Calico gegründet, das sich der Erforschung des ewigen Lebens widmet. Eine Horrorvorstellung? Schulz: Ich kann den Impuls hinter dem Wunsch, eines Tages unsterblich zu sein, nachvollziehen. Aber ist nicht die Tatsache unserer Sterblichkeit gerade der Grund für unser Lebendig-Sein? Es wäre auch höchst ungerecht all den Generationen gegenüber, die vor uns gestorben sind, um uns Platz zu machen. Unsere Aufgabe ist, eines Tages ebenfalls Platz zu machen.
Viele wünschen sich heute, schnell zu sterben: Umfallen - und weg bin ich. Das wäre früher unerhört gewesen.
profil: Hollywoodfilme zeigen gern das schöne Sterben im Kreis der Lieben. Schulz: Der schöne Tod, was soll das sein? Natürlich kann man nach einem erfüllten Leben, umgeben von seiner Familie, in Harmonie sterben. Es kann aber genauso gut sein, dass man allein und verlassen stirbt oder so sterben will. Sterben ist nicht schön. Aber irgendwann nimmt es einfach seinen Lauf.
profil: Simone de Beauvoir schrieb vom "sanften Tod". Schulz: Viele wünschen sich heute, schnell zu sterben: Umfallen - und weg bin ich. Das wäre früher unerhört gewesen. Damals war der Wunsch, vorbereitet zu sterben, versehen mit den Sterbesakramenten, nach einer letzten Beichte. Eine junge Frau reitet aus, sattelt das Pferd ab und will das Tier die letzten Meter ohne Sitz in den Stall reiten - und bricht sich das Genick. War das ein sanfter Tod? Jedenfalls war dieser jähe Tod für ihre Familie schmerzhafter, als wenn sie im Krankenhausbett gestorben wäre, ob jetzt oder Jahrzehnte später.
profil: Die "Drecksau" hat im Fall der Frau gewütet. Schulz: In Deutschland stirbt die Hälfte der Menschen im Alter über 80. Da denkt jeder sofort: Zu der Hälfte zähle ich. Wenn die eine Hälfte aber in hohem Alter stirbt, muss die andere, statistisch betrachtet, früher gehen. Das ist dann ein Bub, vier Jahre alt. Das Mädchen, gerade erst in der Schule. Der Jugendliche, nicht einmal volljährig. Da packt einen die Wut. Wie man damit umgeht, weiß ich nicht. Sich aber überhaupt nicht damit zu beschäftigen, ist auch nicht das Wahre.
Ich stand wie alle anderen weinend am Grab eines mir unbekannten Buben, als ein Lied von seinem liebsten Kinderhörspiel abgespielt wurde.
profil: Sie standen als Bestattungsgehilfe bei der Beerdigung eines Kindes mit am Grab. Schulz: Das nahm mich sehr mit, allein die Kleinheit der Kindersärge: kaum auszuhalten. Als die Trauerrednerin sprach, bemerkte ich, dass meine Kollegen verschwunden waren. Der eine musste dringend telefonieren, der andere auf die Toilette. Selbst erfahrene Sargträger kamen mit der Situation nicht zurecht. Ich stand wie alle anderen weinend am Grab eines mir unbekannten Buben, als ein Lied von seinem liebsten Kinderhörspiel abgespielt wurde.
profil: Wann ist bei Ihnen die Erkenntnis eingetreten, dass Sie sterblich sind? Schulz: Ein tiefer verwurzeltes Bewusstsein, dass der Tod nicht immer der Tod der anderen ist, habe ich erst seit der intensiveren Beschäftigung damit. Mit 42 bin ich dafür im richtigen Alter. Mit 30 denkt man sich: Eigentlich bin ich ja noch 20. Mit 20 fühlt man sich ohnehin unsterblich. In meinem Alter ahne ich nicht nur, ich weiß: Sterben, das ist unausweichlich mein Schicksal - auch das aller Menschen, die ich liebe.
profil: Welche Lektionen lernten Sie fürs Leben? Schulz: Die Arbeit an dem Buch eichte mich regelrecht darauf, mit meiner Zeit Wertvolles anzufangen, Nebensächlichkeiten waren mir herzlich egal. Der Effekt hielt sich aber nicht lange. Bald dachte ich wieder im Autostau: "Verflixt, warum geht nichts weiter!"
profil: Thomas Bernhard äußerte den unsterblichen Satz, dass alles lächerlich sei, wenn man an den Tod denke. Schulz: Es gibt Bestatter, die sagen: Versicherung? Wozu brauche ich eine Versicherung? Sie merken jeden Tag, wie schnell alles vorbei sein kann.
Es ist so leicht, über Sterben und Tod zu parlieren. Aber es ist etwas ganz anderes, selbst den Tod vor Auge zu haben.
profil: Tom Sawyer ist in Mark Twains Buchklassiker Zaungast bei seiner eigenen Beerdigung. Schulz: Wunderbare Szene. Es ist das Vorrecht der Jugend zu rätseln: Wie wird es sein, wenn ich einmal tot bin? Mit 70,80 stellt sich das anders dar. Junge Menschen sollen vor dem Tod keine Furcht haben, das kommt von selbst.
profil: Stirbt es sich als betagter Mensch leichter? Schulz: Es stirbt sich nie leicht. Heute sterben viele Menschen nach langen Krankheiten, sie werden nicht mehr massenhaft von Krieg und Seuchen hinweggerafft wie in früheren Jahrhunderten. Aber sterben sie deswegen leichter? Ich glaube, die Angst, der Respekt davor ist immer da. Aber auch diese Angst streift der Tod dem Menschen am Ende ab.
Die Sterbestunde naht. Schulz schreibt in "So sterben wir": "Schwäche sperrt dir den Mund auf, deine Wangen fallen ein. Deine Augen liegen tief in ihren Höhlen. Deine Nase ragt spitz über deinen offenen Mund. Dein Kinn, spitz. Das Hippokratische Gesicht. In alter Zeit war dies das Zeichen für den Arzt, seine Arbeit einzustellen. Ab diesem Augenblick übernahm der Priester."
profil: Molière schrieb: "Man stirbt nur einmal und für so lange Zeit." Darf man angesichts des Todes lachen? Schulz: Unbedingt. In einem großen Krematorium, das ich aufsuchte, hieß ein Verstorbener "Maus". Ein Heizer sagte zum anderen auf Bayerisch: "Da schau her, jetzt hamma a Mäuserl herinnen." Großes Gelächter inmitten von 80 Särgen.
profil: Wie wollen Sie sterben? Schulz: Auf eine Weise, die mir Zeit lässt. Auf dem Leben gerissen werden mit einem Schlag? Das reute mich. Aber bitte fragen Sie mich in 40 Jahren nochmals. Es ist so leicht, über Sterben und Tod zu parlieren. Aber es ist etwas ganz anderes, selbst den Tod vor Auge zu haben. Erfahrene Ärzte raten deswegen: Demut. Demut und Respekt vor Menschen, die dem Tod nahe sind.
Keine vier Kilo grobes Granulat grauweißer Farbe bleiben von einem im Feuer bestatteten Menschen übrig. Je nach Beschaffenheit des Bodens braucht ein Sarg mit Leiche mehr oder weniger Zeit, um zu verfallen. Schulz schreibt: "Du bist Vergangenheit geworden."
profil: Irgendwann wird der Tag kommen, an dem der letzte Mensch, der Sie gekannt hat, gestorben sein wird, der verbliebene Zeuge Ihres Wesens und Lachens. Schulz: Alle diese Berühmtheiten von Baudelaire bis Bernhard, die Sie zitiert haben, werden über die Zeit hinaus erinnert, in abstrakter Unsterblichkeit. Das Andenken an Menschen verlischt dagegen schnell. Von Ihrem Ururgroßvater existiert maximal ein Name. Niemand weiß mehr, wie dieser Ahne durchs Leben ging, wie er lachte, schimpfte, tanzte.
profil: Sie leben im erzkatholischen Bayern. Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod? Schulz: Es besteht Hoffnung. Glaube ist nicht Wissen. Es spendet Trost, daran zu denken, dass der Tod nicht das endgültige Ende darstellt. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als demütig anzuerkennen, dass man nichts weiß.