Autorin Jasmin Schreiber
Interview

Autorin Jasmin Schreiber: "Sterben ist Schwerstarbeit"

Die Autorin und Biologin Jasmin Schreiber hat ein heiteres Buch über das Leben und das Sterben geschrieben.

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Zoom-Gespräch zwischen Kärnten und Frankfurt. Eigentlich würde Jasmin Schreiber gerade gerne auf großer Lesereise sein, ist trotz Pandemie und schwierigem Interview-Thema aber durchaus gut gelaunt. Die 33-jährige Bestsellerautorin („Marianengraben“), Biologin, Bloggerin und Illustratorin hat nach dem Überraschungserfolg ihres Romandebüts (für das sie von der „FAZ“ gar zur „Autorin der Stunde“ ernannt wurde) nun ein nüchtern-heiteres Sachbuch über die großen Fragen der Endlichkeit geschrieben. Unverfänglicher Titel: „Abschied von Hermine“. Kurzbeschreibung: „Über das Leben, das Sterben und den Tod – und was ein Hamster damit zu tun hat.“

profil: Schon in Ihrem Bestseller "Marianengraben" thematisierten Sie den Tod, nun haben Sie ein Sachbuch über das Sterben geschrieben. Warum lässt Sie das Thema nicht los?
Jasmin Schreiber: Das Leben macht ja erst durch das Sterben Sinn. Nichts wäre von Bedeutung, wenn es keine Endlichkeit geben würde. Für "Abschied von Hermine" setze ich die Biologinnen-Brille auf, seziere das Leben anhand meines Hamsters. Es geht um natürliche Prozesse, ums Verwesen, um die ganzen Würmer. Da braucht es eine gewisse Leichtigkeit.

profil: Bekannt wurden Sie vor einem Jahr als Romanautorin, Ihre Leidenschaft scheint aber die Biologie zu sein. Woher kommt diese Faszination?
Schreiber: Mit Puppen konnte ich nie viel anfangen. Schon als Kind habe ich mich mehr für Krabbeltiere als für Hundebabys interessiert. Aus meinem Puppenhaus habe ich schnell ein Tierkrankenhaus für Spinnen und Regenwürmer gebastelt. Ich wollte immer schon Künstlerin, Tierforscherin und Schriftstellerin werden. Versehentlich bin ich jetzt alles geworden.


profil: Spenden die Naturwissenschaften auch Trost?

Schreiber: Mit Wissen fühlt man sich grundsätzlich sicherer, es beruhigt und tröstet - und man bleibt nicht in einer diffusen Angst hängen. Ich habe vor dem Sterben immer noch Angst, aber meine Unsicherheit schrumpft auf eine Größe, mit der ich gut umgehen kann.

profil: Fehlt unserem Kulturkreis ein gelassenerer Umgang mit dem Tod?

Schreiber: Es gibt zwei Extreme: den dämonisierenden und den rosa gefärbten Zugang. Einerseits diese bedrückende Trauerarbeit, die christlich konnotiert ist, andererseits eine extrem verklärende Sicht auf den Tod, wie sie die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross propagiert hat, die im Sterben etwas Seliges sah. Gerne wird gesagt: Er oder sie sei friedlich eingeschlafen. Das stimmt nur leider nicht. Sterben ist Schwerstarbeit.


profil: Lassen Sie sich deshalb zur Sterbebegleiterin ausbilden?

Schreiber: Das war Zufall. Als Illustratorin habe ich im Hamburger Kinder-Hospiz Sternenbrücke den Ruheraum und den Abschiedsraum gestaltet. Palliativeinrichtungen habe ich mir immer ganz schlimm vorgestellt-und dann komme ich dort an und sehe überall nur lachende Kinder. Das ist ein ganz buntes Haus mit einem riesigen Garten. In Berlin habe ich Sternenkinder fotografiert, um den Eltern eine Erinnerung zu ermöglichen. Sternenkinder heißen Babys, die entweder im Mutterleib oder kurz nach der Geburt gestorben sind. Bei den Hinterbliebenen gibt es sehr viel Redebedarf. Bei mir können sie alles rauslassen.

profil: Ist diese Tätigkeit nicht sehr belastend?

Schreiber: Ich gehe immer gut gelaunt aus einem Einsatz. Das klingt vielleicht makaber oder pietätlos, aber stellen Sie sich einmal vor, eine Ärztin oder ein Arzt würde nach jeder Diagnose zusammenbrechen. Ich fühle mit diesen Menschen, verdrücke auch die eine oder andere Träne, weiß aber, dass das gerade nicht mir passiert. Glück und Traurigkeit liegen nah beieinander.


profil: Was hilft Menschen, die nicht mehr lange zu leben haben?

Schreiber: Im Sterben sind wir genauso individuell wie im Leben. Mit einer Frau, einer Ärztin um die 70, die an Krebs erkrankt war, habe ich mir im Hospiz stundenlang ihre alten Kreuzfahrtvideos angesehen. Sie wollte ihre Reisen noch einmal mit jemandem teilen. Anderen ist es wichtig, dass sie mit einer neutralen Person über ihre Ängste und den Tod sprechen können. Es gibt aber auch Menschen, die sich regelrecht auf ihren Tod freuen, das aber vor ihren Kindern nicht artikulieren können. Ein anderer Herr wollte unbedingt, dass ich ihm Weihnachtslieder vorsinge, obwohl ich überhaupt nicht singen kann. Was den meisten hilft, ist offen sprechen zu können.

profil: Was sollte man in solchen Situationen tunlichst vermeiden?

Schreiber: Das Sterben ist definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um sich als Angehöriger noch schnell die Absolution zu holen oder eine letzte Aussprache zu erzwingen. Das ist ein Klischee, das man in Filmen sieht, in der Realität aber keinen Platz hat. Ein Hospiz lässt das normalerweise auch nicht zu. Menschen, die mit dem Sterben beschäftigt sind, haben keine Kraft, sich noch um das reine Gewissen anderer zu kümmern.


profil: Stirbt man mit einer ähnlichen Einstellung, mit der man durchs Leben gegangen ist?

Schreiber: Auch vor dem Tod ändern sich Meinungen und Einstellungen. Es gibt Menschen, die am Lebensende plötzlich gläubig werden oder aber ihren Glauben verlieren. Andere waren ihr Leben lang betont unabhängig und fragen dann im Sterben ständig nach der Mama. Diese Situation ist für jeden neu.

profil: Ab wann können Kinder verstehen, was der Tod bedeutet?

Schreiber: Kinder können sehr gut mit dem Tod umgehen, wenn sie es freiwillig tun dürfen. Es bringt nichts, Kinder dazu zu zwingen, der toten Oma im Sarg noch einen Kuss zu geben. Erst ab etwa zehn Jahren bekommen Kinder ein Gefühl für die Endlichkeit: dass Menschen, die tot sind, nicht wiederkommen. Jüngere Kinder trauern natürlich auch, aber das Sterben bleibt sehr abstrakt.


profil: Hat sich das Sterben seit der Corona-Pandemie verändert?

Schreiber: Ja, definitiv. Das Sterben ist zur Statistik verkommen. Es wird entmenschlicht und technisiert. Ich finde es beunruhigend und auch kurzsichtig, wenn Sterbestatistiken mit Wirtschaftsinteressen aufgewogen werden.

profil: In der Pandemie erlebt die Wissenschaft eine enorme Wertschätzung, wird von vielen Menschen aber auch immer stärker angezweifelt. Ärgert Sie das als Biologin?

Schreiber: In der Corona-Pandemie rächt sich heute ein jahrzehntelanges Versäumnis in der Bildung und Frühförderung. Zudem sind in den letzten Jahren Wissenschaftsleugner wie Donald Trump oder die Leute von der AfD an die Macht gekommen und verbreiten ihre alternativen Fakten über die sozialen Medien. Man darf nicht vergessen: Wissenschaftliche Erkenntnisse ändern sich-und Wissenschafter können einander auch widersprechen. Das ist ganz normal.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.