Die Direktorin des jüdischen Museums
Israel

Barbara Staudinger: „Ein Krieg, der wie ein Fußballspiel abgehandelt wird”

Barbara Staudinger, die Direktorin des Jüdischen Museums in Wien, über linken und rechten Antisemitismus und den Schock darüber, wie manche den Krieg abhandeln.

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Der Abholschein eines Postpakets macht stutzig. Warum steht da kein Absender? Man spürt  im Bürotrakt des Jüdischen Museums in der Wiener Dorotheergasse atmosphärische Beklemmung. Tatsächlich haben einige aus Barbara Staudingers Team auch persönlichen Bezugspunkte und Freund:innen und Verwandte in Israel , die eingezogen, vermisst, verschleppt oder ermordet wurden. Aber eine gute Nachricht hellt auf: Die betagte Mutter einer Bekannten wurde am Tag zuvor von der Hamas frei gelassen. Staudinger, seit 2022 im Amt, erzählt, dass sie erstmals in ihrer Amtszeit die Kommentarfunktionen unter den Postings des Museums abgedreht hat: „Das habe ich bis jetzt noch nie für notwendig gehalten.”

Pseudo-Meinungen

Als Menschen, durchaus auch welche aus dem österreichischen Kulturleben (Namen will sie keinen nennen), das Bild des leeren Shabbat-Tisches, einer Kunstaktion in Tel Aviv, bei der eine lange Tafel mit 200 Gedecken für jede von der Terrororganisation Hamas verschleppte Geisel auf einem Museumsplatz aufgebaut wurde, mit Sätzen wie „Und wer gedenkt der palästinischen Opfer?” kommentierten, war sie schockiert: „Wie entsetzlich ist es doch, die Toten gegeneinander aufzurechnen. Das war ein Symbol für die Hoffnung, dass jeder und jede der Verschleppten wieder einmal an einem solchen Tisch Platz nehmen wird können. Zivilisten und Zivilistinnen sind immer zu beklagen, aber man muss doch jedem zivilen Opfer seinen Raum geben und nicht auf den Gefühlen der Menschen herum trampeln.” Solche verbalen Entgleisungen sind ein Indiz  dafür, wie völlig aus der Kontrolle „viele Leute geraten sind.” „Pseudo-Meinungen” nennt sie den Schlagabtausch in den sozialen Medien, wo „jeder jeden verletzen und beleidigen kann”, ohne jegliche Konsequenzen: „In dieser Hinsicht hat unsere Gesellschaft als ganzes versagt.”

Schrecklich ersichtlich daran, dass  auf den Pro-Palästina-Demonstrationen „ein Krieg, der durch ein Blutbad der Hamas ausgelöst wurde, wie „ein Fußballspiel abgehandelt wird, wo eine Fancommunity gegen die andere antritt und diese brutalen Morde regelrecht gefeiert werden.” Die Verantwortung für solche Veranstaltungen könne man nicht gänzlich auf die Politik abschieben: „Es liegt auch an der Zivilgesellschaft Zeichen zu setzen, in dem nicht 3000, sondern 30 000 oder 300 000 Menschen zu einer Gedenkkundgebung für die Opfer gehen und somit den anderen klar signalisieren: Wir wollen das nicht! So geht das nicht!”

Linker und rechter Antisemitismus verschwimmt

Dass diese Art von zivilen Widerstand ideologische Verhärtungen aufzulösen imstande ist und den wachsendem Antisemitismus Einhalt gebieten kann, will sie sich erlauben zu hoffen: „Auch wenn das vielleicht naiv ist.” Zusatz: „Und natürlich leben wir in einer Bubble, einem geschützten Raum, der die Realität nicht widerspiegelt.”Wie differenziert Staudinger  zwischen Antisemitismus und Israel-Kritik? „Dass jeder Israel-Kritiker ein Antisemit ist, ist falsch. Das bestätigt auch jede Antisemitismus-Forschung. Aber tatsächlich muss man die „double standards” dabei überprüfen. Wird bei der Kritik an Israel ein anderes Maß benutzt als bei anderen Ländern? Und wenn dem so ist, dann ist das sehr wohl Antisemitismus, mit dem Zusatz  auf Israel bezogener Antisemitismus.” Und wieso hat sich die Linke, durchaus auch unter Künstler:innen  und Intellektuellen, auf eine neue Form von Antisemitismus eingelassen? Staudinger findet eine klare Unterscheidung zwischen dem Antisemitismus der Linken, der Rechten und der islamistischen Variante nicht mehr zulässig: „Da verschwimmen die Grenzen immer mehr und es existieren durchaus Schnittmengen, die immer größer werden. Wobei ich noch anmerken möchte, dass die „Linke” in konventionellem Sinn nicht mehr existiert, weil sie eben nicht mehr links ist. Dass die Schnittmengen im Antisemitismus immer größer werden, bereitet mir große Sorgen. Denn dadurch wird unsere Gesellschaft polarisiert, radikalisiert und antidemokratisch werden.”

Ausstellung thematisiert Frieden

Die nächste Ausstellung im Jüdischen Museum (ab 7. November) heißt „Frieden” und war schon längere Zeit in Planung. Natürlich habe man das Konzept anlässlich der neuen Kriegssituation überarbeitet und adaptiert. Und die Realität hat zusätzlich zugeschlagen: In der Ausstellung wird auch jene Frauenvereinigung von Palästinenserinnen und Jüdinnen in Israel  Women Wage Peace thematisiert, die noch wenige Wochen vor Ausbruch des Krieges gemeinsam mit ihrer Schwesternorganisation Women of the Sun eine Großveranstaltung für den Frieden abgehalten hatten. Ein Gründungsmitglied der Friedensaktivistinnen wurde am 7. Oktober von der Hamas verschleppt.   

Das kommende profil (E-Paper-Erscheinungstermin: Samstag, 8 Uhr) wird sich ausführlich mit Antisemitismus beschäftigen, auch innerhalb der Linken.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort