Zusammenfluss. In Belgrad treffen Save und Donau aufeinander

Belgrad: Das von der Geschichte gebeutelte Tor zum Balkan

Serbiens Hauptstadt Belgrad, von der Geschichte immer wieder gebeutelt, ist heute die Kultur- und Partyhauptstadt Südosteuropas.

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Als Hauptschlagader schlängelt sich die Fußgängerzone Knez Mihailova durch Belgrad. Im Norden führt sie zum Kopf der Stadt, dem Kalemegdan-Park und der historischen Festung. Hier fließen Donau und Save zusammen. Wer oben auf der Festung neben dem Pobednik-Denkmal steht und auf die beiden Flüsse schaut, versteht mit einem Blick, warum „die weiße Stadt“ als Tor zum Balkan gilt. Über Jahrhunderte stand Belgrad im Zentrum der Grenzverschiebungen zwischen dem Osmanischen Reich und der Habsburger Monarchie. Die riesige Festung und die weitläufige Parkanlage vermitteln mit Nachdruck und Selbstbewusstsein: Hier wurde Geschichte geschrieben. Richtung Süden erhöht sich der Pulsschlag der Knez Mihailova.

Hauptschlagader. Die Fußgängerzone Knez Mihailova

Von der Hauptschlagader fließen zig Äderchen weg und verdichten sich zu einem Netz aus Cafés, schicken Restaurants, Geschäften, Museen und Regierungsgebäuden. Schließlich geht die Knez Mihailova im Hauptplatz Terazije auf und in die Kralija-Milana-Straße über. Hier steht der Dom des Heiligen Sava wie ein mächtiger Pflock in der urbanen Landschaft. Wer den Spaziergang von der Fußgängerzone bis zum riesigen orthodoxen Gotteshaus zurückgelegt hat, der Straßenbahn ausgewichen ist, den japanischen Touristen im Bus zugewunken und die Selfie-Pärchen umschifft hat, dem wird klar: In Belgrad wurde nicht nur Geschichte geschrieben. In dieser Stadt ist auch heute richtig was los.

Vom Schmuddelbezirk zur hippen Gegend

Eine, die dafür sorgt, dass Belgrad in Bewegung bleibt, ist Anja. Die junge Frau organisiert das Veranstaltungsprogramm am Dorćol-Platz. Das gleichnamige Viertel unweit der Donau hat sich in den letzten Jahren vom Schmuddelbezirk zur hippen Gegend gemausert. Der Dorćol-Platz genannte Komplex ist in einer ehemaligen Fabrik beherbergt und besteht aus einer Craft-Bier-Brauerei, einer Bühne, einem Kindergarten, stylischen Bäckereien und Cafés. Im Umkreis haben sich Medienhäuser und internationale Designgeschäfte niedergelassen. „Wir haben hier jeden Monat volles Programm: Vorträge, Ausstellungen, Messen und Konzerte“, erzählt Anja. Wer in Belgrad etwas auf die Beine stellen möchte, brauche Eigeninitiative. „Dafür ist es umso schöner, wenn ein Ort wie der Dorćol-Platz entsteht“, fügt die junge Frau hinzu, bevor sie sich zu einem Meeting aufmacht. Derweilen genießen die Gäste am Platz ihr Bier in der Sonne und spielen eine Runde Tischtennis.

Alt und gut. Maria von Vintage Smizla kennt sich mit Retrostyle aus

Zurück Richtung Knez-Mihailova-Straße, geht es vorbei an farbenfrohen Graffitis und einem rosaroten Schild auf der unscheinbaren Straße Zmaja od Noćaja. Das Schild markiert eine Institution, die das alte und neue Belgrad verbindet: Hier befindet sich das Vintagegeschäft Smizla. Seit über 25 Jahren verkaufen Maria und ihr Bruder alles, was schon einmal gut aus gesehen hat und heute wieder modern ist: Klamotten, Sonnenbrillen, Foto apparate, Schuhe und glitzernde Regenschirme. Auch die obligatorischen Jugoslawien-Memorabilia dürfen natürlich nicht fehlen. „Unsere Gegend hat sich ziemlich gewandelt in den letzten Jahren. Wir haben nun schicke Restaurants und Boutique-Hotels im Viertel. Wir jedoch bleiben Vintage“, sagt Maria schmunzelnd.

Sechs Dinge, die man in Belgrad nicht verpassen sollte

1) Museum der Geschichte Jugoslawiens Wer die Gegenwart verstehen möchte, kann sich hier mit der Geschichte Jugoslawiens beschäftigen. Im Mausoleum von Tito gibt es Einblicke in die Rolle des jugoslawischen Präsidenten auf Lebenszeit.

2) Nikola-Tesla-Museum Das Leben und die Geistesblitze des berühmten Erfinders, der in Graz studierte, sind in dieser Villa zu sehen. Das Archiv des Museums ist Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes.

Kalemegdan. Auf der Festung und im Park treffen sich Einheimische und Touristen

3) KC Magacin In diesem ehemaligen Verlagshaus befinden sich Ausstellungsräume, ein kleines Kino, ein Tanzsaal und kreative Büros. Ein alternativer Ort für Kunst, Kultur und Begegnung.

4) Museum für zeitgenössische Kunst Das Haus steht für jugoslawische Nachkriegsarchitektur und ist Kulturdenkmal. Neu renoviert, widmet es sich allen Epochen der Kunst des 20. Jahrhunderts in Jugoslawien und Serbien.

Kulturkomplex. Andrija ist im KC Magacin aktiv

5) Museum der Roma-Kultur Vor zehn Jahren eröffnet, bietet das Museum Einblicke in die Kultur der Roma-Volksgruppe. Im Fokus ist nicht nur Serbien, sondern der Balkan und andere Länder Europas.

6) Bombed Buildings Einige kaputte Häuser in der Stadt erinnern an die NATO-Bomben, die vor 20 Jahren im Zuge des Kosovo-Konflikts auf Belgrad gefallen sind. Das bekannteste unter ihnen ist das zerstörte Verteidigungsministerium.

Denker, Dichter und Trinker

So richtig Vintage und genauso beliebt ist das ehemalige Künstler- und Bohème-Viertel Skardarlija auf halbem Weg von Marias Geschäft zum Platz der Republik. In der Pflastersteinstraße, gesäumt von Kneipen und Restaurants, herrscht Montmartre-Flair. Einst siedelten sich hier Roma an, gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Gegend zur Heimat der Denker, Dichter und Trinker.

Die Skadarlija-Straße in der Belgrader Altstadt (Stari Grad) ist zwar nur 400 Meter lang, neben dem Kalemegdan aber das beliebteste Ziel der Stadt. Dass hier der Genuss im Mittelpunkt steht, zeigen schon die eigenwilligen Wegschilder, die in Richtung Speis und Trank auf der ganzen Welt verweisen. Ein Pfad gilt auch dem Weg nach Wien. Aber statt dem Namen der österreichischen Bundeshauptstadt steht auf dem Schild „Grinzing“. Wer einige der bekanntesten „Kafana“-Tavernen und die ältesten Restaurants Belgrads sucht, sollte sich hier niederlassen. In manchen von ihnen ist auch traditionelle serbische Musik zu hören: Laut und leidenschaftlich tragen Männer in Volkstracht ihre Lieder vor. Zu späterer Stunde darf dann auch getanzt werden. Zur entsprechenden Vorbereitung der Tanzerei empfiehlt es sich, nach dem Dessert noch einen Rakija zu bestellen.

Bohème-Viertel Skardarlija. Viele „Kafana“-Tavernen und  einige der ältesten Restaurants Belgrads sind hier zu finden

Wo die Skadarlija-Straße zu Ende geht, liegt der Mittelpunkt der Stadt Belgrad, der Platz der Republik. Hier stehen zwei der bedeutendsten Gebäude des Landes: das Nationalmuseum und das Nationaltheater. Es wurde vom serbischen Fürsten Mihailo Obrenović, der die Unabhänigigkeit Serbiens vom Osmanischen Reich erreichte, errichtet.

Neues Stadtviertel

Verlässt man die Fußgängerzone Knez Mihailova und spaziert auf die andere Seite Richtung Westen, zeigt sich, mit welchem Tempo die Stadtentwicklung vorangetrieben wird – nicht zur Begeisterung aller Bewohner. Mit der „Belgrade Waterfront“ soll in den nächsten Jahren entlang der Save ein komplett neues Stadtviertel aus dem Boden gestampft werden. Für die Uferpromenade, Wohntürme, Shoppingcenter und Büros wurden alte Fabriksgebäude und Häuser im Viertel Savamala abgerissen. Die Gegend zwischen Kalemegdan und Hauptbahnhof gilt als rau und lebendig. Bars, Musikläden und Kulturinitiativen sind hier zuhause. Diese Gegend wird nun Stück für Stück gentrifiziert. Der Hauptbahnhof ist mittlerweile auf mehrere Bahnhöfe in der Stadt aufgeteilt worden. Das Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Gebäude selbst soll zum Museum werden. Die Gleise sind bereits verwaist. Nur das kleine Bahnhofscafé hat noch offen.

Erinnerung. Denkmal für  das Sajmište-Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg auf der anderen Save-Seite.

Mittendrin in diesem Viertel befindet sich der alternative Kulturkomplex KC Magacin. Ausstellungen, Kinovorführungen, Konzerte und Diskussionsrunden finden in unterschiedlichen Räumen eines ehemaligen Verlagshauses statt. Andrija ist einer von vielen jungen Leuten, die sich im KC Magacin engagieren. „Uns ist es wichtig, den Zugang zu Kultur so offen wie möglich zu gestalten. Wir fördern einen Austausch auf Augenhöhe. Ich halte diesen Zugang für die Entwicklung Belgrads für sehr wichtig“, erzählt der 35-Jährige.

Boom hilft nicht allen

Bei einem Durchschnittseinkommen von rund 400 Euro pro Monat fällt es vielen Menschen in der Stadt schwer, an ihrem Boom teilzunehmen. Das häufig für Berlin gebrauchte Bonmot „arm, aber sexy“ trifft eher auf Belgrad zu. Andrija: „Auch wenn es wirtschaftlich nicht einfach ist, bleibt Belgrad immer kulturell aktiv. Die Menschen, die die Zukunft der Stadt gestalten wollen, machen sie lebendig.“

Links und rechts von der Fußgängerzone Knez Mihailova und zwischen den beiden Flüssen wird abgerissen und aufgebaut. Dabei sind die Überreste und Monumente der Geschichte Belgrads von den Osmanen über die Habsburger bis zum Zerfall Jugoslawiens deutlich zu sehen. Gleichzeitig ermöglicht die Hauptstadt auf ihre Weise das moderne Leben. Diese Spannung hält die Stadt lebendig. Denn eines ist in Belgrad klar: Hier steht nichts und niemand still.

INFOBOX BELGRAD

Staat: Serbien Einwohner: 1,5 Millionen Bekannt für: Festung, Kalemegdan-Park, Zusammenfluss von Donau und Save, Roter Stern Belgrad (Fußball), Dom des Heiligen Sava, Partys Spezialitäten: Djuvec (Fleisch-Gemüse- Eintopf), Rakija, Baklava

REISEEMPFEHLUNGEN FÜR BELGRAD

Unterwegs

Belgrad ist die einzige Großstadt Europas ohne U-Bahn. Alte Straßenbahnen rattern gemächlich durch die Straßen und über die Brücken. Mit dem Fahrrad ist es besonders entspannt entlang der Save und im Stadtteil Zemun. Aber auch bei einer Bootsfahrt auf den Flüssen Donau und Save lassen sich Stadt und Festung von einer ganz anderen Seite wahrnehmen.

Schlafen

Hotel Moskva Der einstige Rosija-Palast wurde Anfang des 20. Jahrhunderts im Stil der Sezession gebaut. Er thront regelrecht über der Terazijska Terasa nur wenige Meter von der Fußgängerzone Kneza Mihaila ent- fernt. Neben dem Wellness- und Spa-Bereich ist auch das Restaurant empfehlenswert. www.hotelmoskva.rs

Prachtbau. Das Hotel Moskva, der einstige Rosija-Palast, thront am Hauptplatz.

Square Nine Hotel Dieses moderne Boutique-Hotel bekommt weltweit Aufmerksam- keit r seine Küche, sein Design und seine Drinks. Zwischen Fußgängerzone, Festung und Museumsviertel gelegen, hat es sich als hipper Platz in der Stadt etabliert. www.squarenine.rs

Hotel Mint Dieses familiengeführte Hotel liegt in einem ruhigeren Stadtteil. Schlicht, aber stilvoll eingerichtet, mit einem ausgezeichneten Restaurant und einer Seltenheit in Belgrader Hotels: Hunde sind willkommen! www.hotelmintbelgrade.com

Essen & Trinken

Café OK.NO. Wunderbarer Zwischenstopp r einen Snack oder ein Bier nach einem langen Spaziergang im Zentrum. Leicht versteckt, aber nur einen Durchgang von der Fußgängerzone entfernt, lässt sich die Sonne vor allem auf der Terrasse genießen.

Etwas versteckt, aber mitten im Zentrum: Das OKNO-Restaurant

Fish & Zeleniš Modernste Küche, ausgezeichnete Fischspeisen, helles Design, schöner Blick auf die Save und das Motto zum guten Essen: „Du bist, was du teilst.“ www.faro.rs

Tri Šešira (Drei Hüte) Dieses traditionelle Restaurant in Belgrads Boheme-Viertel Skardarlija ist eine echte Institution. Gute alte Küche, Musik und gesellige Runden sind hier zu finden. www.trisesira.rs

Gusan Auch wenn es außen etwas aufgepäppelt werden könnte, ist dieses Restaurant in der Nähe des Slavija-Platzes ein Geheimtipp in Sachen serbischer Küche und Gemütlichkeit. Muckalica, Ćevapčići, Gulasch: Prost!

Strandfeeling. Lokale wie das Lemon Chili warten an der Save und Donau auf Sonnenhungrige

DIM In diesem Hof auf der Cetinjska-Straße liegt der neue Bar-Hotspot der Stadt. DIM hat Berlin-Flair, andere Lokale wie Polet, Li oder Elektropionir versprühen hippen Ostblockcharme. Das Bier und die Musik sind überall gleich gut!

Einkaufen

Vintage Smizla Alles, was das Vintageherz begehrt, gibt es seit 25 Jahren in diesem Laden. Klamotten, Schuhe, Sonnenbrillen, Fotoapparate und Jugoslawien-Memorabilia. www.smizla.net

Resort Design Store Moderne Mode, Schmuck und Taschen gibt es hier von jungen Belgrader und internationalen Labels.

Ausfüge

Novi Belgrad und Zemun Beides sind zwar Stadtteile Belgrads, aber sehr eigenständige Viertel auf der anderen Seite der Save. Eine Erkundungstour durch Novi Belgrad lohnt sich schon aufgrund der historischen Plattenbauten. Zemun wiederum war einst Belgrads größter Stadtrivale und Grenzort der Donaumonarchie. Heute finden sich dort zahlreiche Fischrestaurants, malerische Gassen und Grünflächen.

Novi Belgrad. Der Genex-Plattenbau als Wahrzeichen

Ada Ciganlija Die Ada ist das Meer der Belgrader. Die Flussinsel mit See, Strand, Bars, Restaurants lockt viele Einheimische am Wochenende, um die Seele baumeln zu lassen und um sich abzukühlen.

Berg Avala Knapp zwanzig Kilometer entfernt, lädt der Berg mit überschaubarer Höhe (511 Meter) zu gemütlichen Wanderungen und Essensausflügen ein. Am Berg befinden sich das Mausoleum zum Gedenkenan die serbischen Soldaten im Ersten Weltkrieg, der ikonische Fernsehturm, das alte Hotel Avala und das Denkmal für sowjetische Kriegsveteranen.

Webtipps

Blog auf Englisch zu Touren, Restaurants, Geschäften, Kunst und Bars. www.stillinbelgrade.com