Liebe & Psyche

Beziehungsberatung mit ChatGPT

Ständige Beziehungskämpfe können krank machen, psychotherapeutische Beratung ist teuer. Doch ChatGPT weiß Trost und Rat – der gar nicht einmal so schlecht ist. Ein Selbstversuch von Angelika Hager.

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So. Richard macht mir das Leben gegenwärtig zum Gegenteil eines Wunschkonzerts. Er ist leicht depressiv, in seinem Job nicht gerade erfüllt, aber will sich von seiner Arbeit auch nicht auffressen lassen. Nach unserem ersten Tinder-Date war ich eigentlich ziemlich beeindruckt von seinem Kulturgeschmack: Truffaut-Filme, Sally Rooney, Joy Oladokun, melancholisch-sensibel also. Doch bald kippten die „vibes“, wie er das nannte, in Richtung „darkness“. Ständig erklärt er mir, dass ich ihm eigentlich zu laut und zu selbstbewusst bin und er, also vor allem seine Männlichkeit, bei meiner Dominanz unter die Räder kommt. Ich war am Boden zerstört, als ich checkte, dass er mich in einer Nacht- und-Nebel-Aktion ohne jegliche Vorwarnung aus allen seinen „social accounts“, tja, man kann es nicht anders sagen, ausradiert hat.

Mit diesen Infos über meinen klassisch toxischen, narzisstisch inklinierten (und fiktiven) GenZ-Richard fütterte ich ChatGPT und fragte die KI, warum der Typ sich so verhält, ob unsere Beziehung noch Chancen hat etc. – Fragen, die man in einem akuten Verzweiflungszustand ansonsten einem professionellen Psychotherapeuten stellen würde, der in der Regel für seine Antworten 150 Euro in Rechnung stellt und einen nach 50 Minuten (wenn man sich gerade warmgeredet hat) mit einem höflich-unterkühlten „Wir müssen die Stunde leider jetzt beenden“ hinauskomplimentiert. ChatGPT hat alle Zeit der Welt, kostet nichts (oder jedenfalls nur einen Bruchteil, falls man elaboriertere Premium-Versionen abonniert), reagiert in Sekundenschnelle, und die Antworten werden umso interessanter, je detaillierter die Fragestellung erfolgt.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort