Love-Booster Pandemie
Depressionen, Angststörungen, Schlafprobleme, Existenzängste - über die Zunahme an psychischen Belastungen seit dem März 2020 wurde sattsam geschrieben. Umso erstaunlicher, dass eine eben erschienene Studie der Soziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller durchaus erfreuliche Nebeneffekte "pandemiebedingter Gesellschaftsveränderungen" anzeigt.
Bei einem Sample von 2618 Personen (Durchschnittsalter 35 Jahre, 76 Prozent davon mit Lebensmittelpunkt Österreich, der Rest Deutschland und Schweiz, 58 Prozent davon akademisch gebildet) gaben 45 Prozent an, dass sie "die wichtigen Menschen in ihrem Leben stärker zu schätzen lernten", 41 Prozent realisierten in der Zeit der Lockdowns, wer ihnen wirklich nahe stehe. In Paarbeziehungen lernte man mehr "echte Zeit miteinander zu verbringen und nicht nebeneinanderher zu leben, wie wir es früher getan haben", wie eine Studienteilnehmerin erzählte. Mehr als ein Drittel der Paare empfanden die Kontaktbeschränkungen auch als psychisch erleichternd, da unter den "neu-normalen" Bedingungen der Stressfaktor Eifersucht wegfiel.
Auch beim Datingverhalten unter Singles kam es zu Verhaltensmodifikationen. Da Treffen selektiver und unter erschwerten Bedingungen geplant werden mussten, wurde in diese wenigen Begegnungen mehr Tiefgang investiert. Eine 29-jährige Befragte: "Man hat mehr Interesse gezeigt, vorher waren es mehr oberflächliche Kontakte und belanglosere Themen, weniger Deeptalk." Als einen wesentlichen Bereicherungsfaktor ihrer Lebensqualität empfanden viele das neue Zeitpotenzial und die damit verbundene Erkenntnis, dass "ansonsten viel selbst gemachter Freizeitstress" einen unter unnötigen Druck setze.
Barbara Rothmüller, die seit Beginn der Pandemie an der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität erforschte, wie sich die neue Normalität auf unser Alltags- und Sozialverhalten auswirkte, war selbst erstaunt über die unterschiedlichen Variationen von "Intimitätsgewinn", die sich in ihrer Studie (die zu 71 Prozent von Frauen online beantwortet wurde) abzeichneten: "Dass diese positiven Nebeneffekte bislang unbeachtet blieben, liegt daran, dass viele der Krisengewinner dabei Schuldgefühle entwickelten. Es bestand ein Schamgefühl, das zuzugeben, wo doch andere Menschen durch die Pandemie den Job oder ihre Existenz verloren haben oder in Berufen arbeiteten, wo sie extremen Belastungen ausgesetzt waren."