Big in Japan: Die spektakuläre Karriere von Toxic Thekla
Die Bewegung stammt aus einer anderen Welt, und zwar einer, in der sonst nur achtjährige Balletteleven hausen oder Bodenturnerinnen mit Bodybuilderbauchmuskeln. Wer sie sieht, wird mindestens ein paar Sekunden lang den Mund nicht mehr zubekommen, und wer sie sich auf YouTube anschaut, wird wohl ein paar Mal zurückspringen. Ausgeführt wird diese Bewegung von Thekla Kaischauri in ihrer Rolle als Toxic Thekla, Wrestling-Star in der japanischen Profiliga „World Wonder Ring Stardom“.
Und sie geht so: Eine Gegnerin rennt, die Hand zum Schlag vorgestreckt, auf die schon leicht angeschlagene Thekla zu, die sich aber, auf einmal gar nicht mehr so groggy, in letzter Sekunde nach hinten fallen lässt, in die Brücke geht und kopfüber, bauchhoch auf allen vieren davonläuft – spinnengleich, halsbrecherisch, irre. Sieg nach Haltungsnoten, mindestens.
Was da zu sehen ist, in einem Wrestling-Ring in Tokio oder Nagoya, ist Thekla Kaischauris signature move, ihr sportliches Erkennungszeichen, und es markiert ziemlich exakt den Übergang vom echten Leben ins Fantastische, von Thekla zu Toxic Spider, von der 30-jährigen Wienerin zur überirdischen japanischen Superheldin im Spinnenkostüm.
Thekla heißt ja eben tatsächlich so, und in Anlehnung an die gleichnamige – in ihrer Kindheit manchmal auch spöttisch auf sie bezogene – Spinne aus der „Biene Maja“ hat sie sich ihr Wappentier entworfen. Sie hat es sich – Selbstbewusstsein kann man nicht kaufen – einfach angeeignet. Überhaupt hat sie vieles einfach so einfach einmal gemacht. Es ist eine Selfmade-Story, die hier zu erzählen ist. Thekla Kaischauri mag nur 1,55 Meter groß sein, aber nach oben hin kennt sie keine Grenzen.
Aufgewachsen in Wien-Landstraße, hat sie Geige und Ballett gelernt, eine gute Schule besucht und danach Transmediale Kunst bei Brigitte Kowanz an der Angewandten studiert. Daneben war sie in der DIY- und Punkszene Wiens hoch aktiv, gestaltete Fanzines und Comics, druckte T-Shirts, veranstaltete Events, spielte in einer Punkband namens Death Row Groupies und besuchte – hier sind die Szene-Grenzen teils fließend – auch immer wieder Underground-Wrestling-Kämpfe im Keller des Gürtellokals Weberknecht oder in der Arena. Die Faszination war da, die Motivation groß – und vom Zuschauen zum Mitmachen verläuft im Underground-Wrestling ein relativ kurzer Weg (eine Portion Leidensfähigkeit schadet nicht). Thekla begann also eine Wrestling-Ausbildung in der Akademie von Gerhard Hradil alias Humungus, der seit Ende 1998 die „Wrestling School Austria“ führt und selbst nach wie vor international als Kämpfer aktiv ist – und dabei auch beste Beziehungen zu Kollegen in Japan unterhält. Der große Sprung vom Wiener Keller ins japanische Rampenlicht war quasi vorgezeichnet.
„Was soll schon passieren?“
Ein Videotelefonat nach Tokio, Mitte Oktober 2023, Thekla Kaischauri kommt gerade aus dem Fitnessstudio und erinnert sich an das Jahr 2017: „Ich bin immer wieder zu den Fights im Weberknecht gegangen, war ein großer Fan und hab mir irgendwann gedacht: Das mach ich auch, das passt zu dem, was ich sonst so mach. Humungus hat auch relativ bald gesagt: ‚Super, da kann was draus werden.‘“ Und zwar rasch. „Meinen vierten Kampf hatte ich schon in Japan, am 1. Jänner 2018. Auch schon ein bissl her.“ Zudem ein bissl eine Umstellung: „Im Keller vom Weberknecht ist es hart, feucht und dreckig. Da kämpfst du auf einer kleinen Bühne auf fünf Zentimeter dicken Matten, das kann schon schmerzhaft sein. Aber es ist roh und geil, das Publikum ist voll dabei und ganz nahe an dir dran. Die Japaner sind dagegen viel ruhiger und distanzierter, ganz speziell dann in der Corona-Zeit. Da war es bei Kämpfen oft wirklich mucksmäuschenstill, weil Klatschen und Schreien verboten waren. Man kämpft also vor einem Publikum, das maximal ‚Huch!‘ macht – aber wenn das passiert, dann weißt du: Jetzt hab ich sie.“
Thekla, die Spinne, hat ein gutes Gespür für solche Huch-Momente. Gerade auch beim Stichwort Corona: Ausgerechnet der Moment, in dem die Welt plötzlich stillstand, gab Thekla Kaischauri den Anstoß zum entscheidenden Schritt. Sie war im Winter 2020 gerade für sechs Wochen und einige Kämpfe in Tokio, als dort der Lockdown verkündet wurde. „Eine Woche, bevor ich zurückfahren hätte sollen, hat Corona voll eingeschlagen. Alle waren im Schockzustand und wollten nur schnell nach Hause, auch ich hatte schon fertig gepackt. Aber dann habe ich mir gedacht: Warum bleib ich nicht einfach da? Was soll schon passieren? Und hab dann meinen Koffer wieder ausgepackt und bin im Dojo geblieben.“ Das Dojo – japanisch für Kampfsport-Trainingszentrum – lag am Rand von Tokio und war in jenen Tagen weitgehend verwaist. Einsam sei die Zeit schon gewesen, erinnert sich Kaischauri, „aber dafür extrem fokussiert. Das war sicher die Basis für den Erfolg, den ich jetzt habe.“
„Fast ein Hybrid mittlerweile“
Mehrere Grenzen wurden während dieser Zeit im Dojo überwunden – nicht zuletzt auch kulturelle. Die Integration von ausländischen Arbeitskräften verläuft in Japan eher nicht selbstverständlich, man muss einiges an gutem Willen beweisen. „Du solltest schon ein Gespür für die Kultur haben, ein großes Interesse zeigen, und die Sprache lernt man auch nicht in ein paar Stunden. Ich spreche sie mittlerweile ganz gut, ich bin fast ein Hybrid mittlerweile: einerseits ganz offensichtlich keine Japanerin, aber gleichzeitig lieben es die Japaner auch, dass ich ihre kulturellen Referenzen verstehe. Ich bin ja mittlerweile mehr als ein Gast, ich wohne seit fast vier Jahren mehr oder weniger permanent hier.“
Wrestling hat in Japan seit den 1950er-Jahren einen Stellenwert, der an jenen in den USA oder in Mexiko heranreicht. Große Kämpfe ziehen heute noch Zehntausende Zuschauer und Zuschauerinnen an – wenn auch nicht mehr ganz so viele wie in den Wrestling-hysterischen 1990er-Jahren, in denen bis zu 70.000 Menschen in den Tokio Dome strömten, wenn sich Wrestling-Legenden wie Antonio Inoki oder Nobuhiko Takada verprügelten.
Dutzende Underground- und nicht weniger als sieben Profi-Ligen (von denen zwei rein weiblich besetzt sind) bilden das japanische Puroresu (vulgo „Professional Wrestling“), und bieten tendenziell mehr echten Kampfsport und weniger Theater als die US-amerikanischen Ligen. Toxic Thekla: „Wrestling in Japan ist körperlicher und geht noch mehr in den Kampfsport hinein. Das Storytelling hat in den USA viel mehr Entertainment-Aspekte, in Japan ist es wesentlich ernsthafter und weniger Show – was Vor- und Nachteile hat. Denn man muss schon wirklich fit sein, wenn man hier mitmischen möchte. Man kann sportliche oder körperliche Schwächen nicht einfach überspielen. Es tut zum Teil echt weh.“
Seit Anfang 2022 ist Thekla bei der japanischen Frauen-Profi-Liga „World Wonder Ring Stardom“ unter Vertrag, die dem japanischen Spiele- und Entertainment-Konzern Bushiroad gehört, sprich: Big Business. Hier ist sie Teil des „Donna Del Mondo“-Teams und ein arrivierter Star in einem Millionenbetrieb, mit allen Verpflichtungen, die so etwas mit sich bringt: „Ein entspannter Monat bedeutet zehn Kämpfe, ein weniger entspannter 15. Im Juli hatten wir jeden zweiten Tag ein Match, das war schon an der Grenze. Wir sind auch oft auf Tour in ganz Japan. Das heißt, man sitzt lang im Bus und ist fast jedes Wochenende unterwegs.“ Auch klar: In den Underground-Ligen blieb Thekla, der DIY-Künstlerin aus Wien, mehr Spielraum für Individualität. „Mein Stil ist im Rahmen von „Stardom“ sicher unorthodox. Ich gehöre da eher zu den Bad Guys, die meisten Mädels bedienen ganz stark die japanische Idol Culture, also dieses sehr Junge, Niedliche, fast Kindliche. Das bin ich halt nicht. Aber es ist schon auch ein Asset, dass mit mir eine gewisse Vielfalt einzieht.“ Und ja, auch alterstechnisch. Thekla Kaischauri nimmt es nicht persönlich, aber „im japanischen Wrestling haben wir viele Girls, die sehr früh mit dem Sport anfangen. Die meisten meiner Kolleginnen sind gerade einmal 20 Jahre alt. Ich habe tatsächlich auch schon gegen Neunjährige gekämpft. Da steht man dann im Ring und denkt sich: Aha, echt jetzt? Ihr seid ja verrückt. Aber gut, dann verhau ich halt eine Neunjährige.“
Mit 30 ist Kaischauri inzwischen in einem Alter, in dem sie ihr Geburtsdatum nicht mehr ganz offensiv kommuniziert, aber andererseits schon auch noch Jahre von einem Karriereende entfernt (sie plant derzeit bis 37). Außerdem gibt es ja auch eine Welt abseits des Wrestlings. Man muss bloß die Perspektive wechseln – und dafür auch nicht zwangsläufig mit dem Kopf nach unten durch den Wrestlingring krabbeln.
Neue Perspektiven
Für Toxic Thekla steht, so herum betrachtet, die Kunst ganz weit oben, und auch von dieser Seite sind Erfolge zu verzeichnen. „Ich muss immer sehr viele Dinge gleichzeitig machen, sowohl körperlich als auch geistig, ich muss ausgelastet sein. Insofern war es in den vergangenen Jahren ein bisschen einschränkend für mich, nur Wrestling zu machen.“ Doch professionelle japanische Wrestler sind Kunstfiguren, die nur in der Wrestlingwelt existieren und möglichst kein reales Leben haben. Thekla Kaischauri setzte aber einen Sonderweg durch. Sie hatte bei den Verantwortlichen von „Stardom“ ein gutes Argument: Ihre erste japanische Ausstellung sollte in der österreichischen Botschaft in Tokio stattfinden. „Das war dann doch prestigeträchtig genug, dass sie schnell zugesagt haben. Also habe ich mir für die Ausstellung ein Konzept überlegt und neue Bilder gemalt, die mit den Ups und Downs im Leben einer Kämpferin zu tun haben.“ Zum Beispiel ein Bild mit dem sprechenden Titel „9 Times I Got Knocked in the Face“.
Die Eröffnung ihrer Solo-Schau „Gimme Danger“ Ende Juni brachte neue Perspektiven, die die Künstlerin an alte Zeiten erinnerten: „Ich hab ja früher in Wien viel selbst organisiert und Leute aus den unterschiedlichsten Ecken bei Veranstaltungen zusammengebracht, die sonst nicht zusammenkommen würden. Und genau dieses Gefühl hatte ich wieder auf der Botschaft. Da kamen die jungen Wrestling-Fans, die Jungs und Mädels von Stardom, Kunstinteressierte aus Japan, aus Österreich, natürlich die Botschafterin, und meine Punkfreunde auch. Ganz nach meinem Geschmack.“ Und ganz so wie früher, im Wiener Underground. Huch!