Erfolgsmodell Bildungskarenz?
Dass die Bildungskarenz den sozialen Aufstieg ermöglicht, ist leider mehr die Ausnahme als die Regel. 2023 ortet der Rechnungshof in einem Prüfbericht Schwachstellen. Die ursprüngliche Zielsetzung sei nicht im Gesetz formuliert. Auffallend ist, dass mehr Frauen als Männer eine Weiterbildung beantragen. Die Prüfer kommen zum Schluss, dass die Bildungskarenz oft im Anschluss an die Elternkarenz angehängt wird. Zwar sei die Bildungskarenz ein gutes Instrument, um Weiterbildungen wie im Falle Lisa Steiners zu fördern. In der RH-Kritik stehen aber die vielen arbeitsmarktpolitisch weniger relevanten Kurse. „Die Gebarungsüberprüfung brachte Hinweise, dass die Bildungskarenz teils nicht im Sinne der ursprünglichen Intention genutzt wurde“, heißt es im RH-Bericht.
Während 2018 knapp 10.000 Menschen eine Bildungskarenz in Anspruch genommen haben, wurden für 2023 schon bis September mehr als doppelt so viele Karenzgeher gezählt. Der Blick in die Statistik des AMS zeigt auch, von wem eine Bildungskarenz mehrheitlich in Anspruch genommen wird: von höher Gebildeten zwischen 25 und 35 Jahren. Ist die Bildungskarenz eine Fluchtmöglichkeit für arbeitsscheue Millennials?
Fernkurs auf den Phillippinen
Dieser Verdacht betrifft etwa die beliebten Sprachkurse mit Fernunterricht. Anbieter werben damit, dass diese vom AMS problemlos bewilligt werden. „Obwohl ich glaube, dass Weiterbildung der eigentliche Sinn ist, hat mich keiner gefragt, ob ich etwas mache, das der Firma auch was bringt“, sagt Martin S. Der studierte Ingenieur ist gerade im dritten Monat seiner Bildungskarenz. Wegen schlechter Internetverbindung ist der Mittdreißiger nur spätabends in seinem Hotel auf den Philippinen erreichbar. Martin ist ein Pseudonym.
S. bereist Asien, zwischendurch besucht er einen Online-Sprachkurs. In einem Monat geht es für ihn nach Südamerika. Nach sieben Jahren in einem Start-up hat er eine Pause gebraucht: „Die Jahre vergehen schnell. Es tut gut, einen Schritt zurück zu machen, damit man aus dem Rad rauskommt und eine Auszeit hat.“
Dass Martin S. keiner tatsächlich arbeitsmarktrelevanten Weiterbildung nachgeht, ist klar. Sich in der sozialen Hängematte auszubreiten, möchte er sich aber nicht unterstellen lassen. „Ich habe sieben Jahre durchgearbeitet und dementsprechend Steuern und Abgaben gezahlt. Setzt man das in Verhältnis, ist das nichts“, sagt er.
Holger Bonin, Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS), kann nachvollziehen, dass Menschen wie Martin ihre Bildungskarenz nutzen, um für begrenzte Zeit aus dem Beruf auszusteigen: „Wenn es die Möglichkeit gibt, nutzt man sie natürlich auch.“ Allerdings liege die Verantwortung für das gesundheitliche Wohlergehen von Beschäftigten in der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, nicht bei der Allgemeinheit.
Der IHS-Chef vermisst in der aktuellen Ausgestaltung der Bildungskarenz ein Korrektiv: „Die Bildungskarenz ist darauf ausgerichtet, dass der Einzelne weiß, was das Beste für ihn ist. Aber die Menschen haben nicht vollumfänglich Information darüber, was gebraucht werden könnte.“
Reformpläne
Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) drängte nach Erscheinen des Rechnungshofberichts auf eine Reform der Bildungskarenz. „Breite Diskussionen“ wurden für den Herbst angekündigt. Wie steht es nun um das Weiterbildungsprogramm? Das Ministerium antwortet auf profil-Anfrage: „Konkrete Pläne liegen derzeit noch nicht vor.“ Man verweist auf die „konstruktiven“ Gespräche mit den Sozialpartnern.
Die Wirtschaftskammer (WKO) möchte den Stand der Verhandlungen nicht kommentieren. Aber es gelte, sorgsam mit den Versicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber umzugehen. „Letztlich sind das Mittel, die für den Arbeitsmarkt, die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen und natürlich die Unternehmer eingesetzt werden sollen“, erfährt man von der WKO.
Auch aus der Arbeiterkammer (AK) heißt es, dass sie offen für eine Reform sei. Die Bildungskarenz müsse zukünftig vor allem Niedrigqualifizierte besser erreichen können, so die Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt in der AK, Silvia Hofbauer. Dafür brauche es ein höheres Weiterbildungsgeld, da Niedrigqualifizierte oft wenig verdienen und während ihrer Bildungskarenz ein entsprechend niedrigeres Entgelt erhalten.
Dass hoch qualifizierte Arbeitnehmer wie Martin ihre Bildungskarenz auf Weltreise mit einem Online-Sprachkurs verbringen, sei „nicht die ursprüngliche Idee“ – darüber sind sich alle einig.
Eine Reform in dieser Legislaturperiode ist angesichts bevorstehender Wahltermine unwahrscheinlich, zumal die Grünen gar keinen Reformbedarf sehen. „Verschärfungen wären nicht zielführend, wenn Weiterqualifizierungen wichtiger werden“, richtet der grüne Parlamentsklub aus.
Lisa Steiner ist froh, dank der beruflichen Auszeit ihre Matura nachgeholt zu haben. Wie sie über Menschen wie Martin denkt, die ihre Auszeit unter Palmen verbringen? „Natürlich kann ich es nachvollziehen, dass man eine Auszeit braucht. Aber welche Möglichkeiten gibt es sonst?“