Kapitel Medien: ORF als Aktiengesellschaft und bitte keine Chats
Heimische Medien sollen sich laut Protokoll als „Förderer österreichischer Identität und zentrale Säule unserer Demokratie“ zu erkennen geben. Ebenso einig sind sich FPÖ und ÖVP bei der Forderung nach einem „Bekenntnis zur Stärkung unabhängiger Medien“, „vor dem Hintergrund des digitalen Wandels und geänderten Konsumverhaltens“. In der Passage findet sich auch der Wunsch nach „[f]reien und unabhängige[n] Medien“, denn diese würden eine zentrale Säule „im Kampf gegen den Extremismus“ darstellen, „egal von welcher Seite“. Offen bleibt hier, was unter „Extremismus“ verstanden wird und auch, wer die ominösen unfreien Medien sein sollen.
Österreich zuerst, aber die Vorschläge von FPÖ und ÖVP zeigen, dass sich die Parteien eine Medienlandschaft bauen wollen, die nach ihren Vorgaben agiert.
ORF AG, politisch
Zur Neuordnung des ORF finden konkrete Pläne im Protokoll der blauschwarzen Verhandlungen: So will die FPÖ eine Aufstellung des ORF im Stil einer „Aktiengesellschaft“, jedes Vorstandsmitglied ein Ressort übernehmen – die ÖVP widersprach dem Vorschlag laut Protokoll.
Die Bestellung der ORF-Aufsichtsgremien müssen zeitnah neu geregelt werden, denn 2023 urteilte der Verfassungsgerichtshof, dass der aktuelle Bestellmodus für Publikumsrat und Stiftungsrat unter anderem gegen das Unabhängigkeitsgebot verstoße. Beide Verhandlungspartner wollen die Gunst der Stunde nutzen und die Gremienbesetzung neu ordnen. Offen bleibt in ihren Ausführungen, ob in den vorgeschlagenen Modi dann die Vorgaben erfüllt wären.
Aktuell sitzen im Stiftungsrat 35 Personen, im Publikumsrat sind es 30, hier werden die Mitglieder der Geschäftsführung des ORF vorgeschlagen und dann beschlossen. Die FPÖ möchte den Stiftungsrat sofort komplett neu besetzen, somit wären alle Mitglieder aus vorhergehenden Funktionsperioden raus. Das heißt, nur die derzeit an der Macht Sitzenden wären im Stiftungsrat abgebildet. Die ÖVP widersprach dem Vorschlag. Diese Zahl an Menschen will die FPÖ zurückbauen, auch das ORF-Gesetz soll novelliert werden. Geht es nach der FP, dann soll der Stiftungsrat „verstärkt“ vom Nationalrat beschickt werden und die Mitglieder des Publikumsrates nach dem Verhältniswahlrecht vom Bundesrat gewählt werden. Die Verhandlungspartner blieben uneinig.
Dass man dem ORF an den Kragen will, das ist nichts Neues. Seit 2024 gibt es in Österreich die Haushaltsabgabe, sie löste die Rundfunk- bzw. GIS-Gebühr ab. Nun will die FPÖ diese neue Finanzierungsform zurückbauen. Gefordert wird eine Finanzierung aus dem Budget – das würde einerseits bedeuten, dass der ORF das Budgetloch der Republik vergrößert und andererseits, dass – vermutlich – der oder die Generaldirektorin direkt mit der Bundesregierung über die Finanzierung des ORF verhandeln muss, was den Öffentlich-Rechtlichen abhängig vom Wohlwollen der Regierenden machen würde. Angestrebt wird von den Freiheitlichen ein sechsjähriger Finanzplan, Einkommensverluste sind vom ORF selbst zu kompensieren. Die ÖVP konnte sich hier nicht einigen.
Auch Inhaltliches wurde im Zusammenhang mit dem ORF diskutiert: Einigen konnten sich die Verhandlungspartner auch auf die Forderung nach „Unparteilichkeit“ im ORF, neben dem Bekenntnis zur „regionalen österreichischen Identität, Kultur, Sport, Bildung, Unterhaltung und Information“. Ebenso soll der öffentlich-rechtliche Auftrag neu präzisiert werden, österreichische Kultur (Musik, Film) sollen weiter gefördert werden, ebenso wie die Landesstudios. Verstärkt werden soll auch eine Kooperation des ORF in puncto Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Plattformen (damit dürfte ORF On gemeint sein).
Auch bei Anforderungen an Journalismus im ORF konnten sich die Verhandlungspartner einigen. So sollen „Höhere Standards für Objektivität und Neutralität in der Berichterstattung“ gelten, es soll besonderer Wert auf eine Trennung von Kommentar, Bericht, die Ausweisung von Experten und Studiogästen gelegt werden. An sich klingt das nach journalistischen Qualitätsansprüchen, allerdings wird der politische Einfluss über die Besetzung von Posten gemacht – die dann definieren, welches Meinungsspektrum sie mit Gästen besetzen. Und das könnten auch Experten und Expertinnen außerhalb des demokratischen Spektrums sein.
In puncto KI konnten sich die Verhandlungspartner auf eine Kennzeichnungspflicht einigen – aber nur für den ORF. Weiters soll jeder seiner Kanäle einen Beitrag „zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags” leisten. Auch an dieser Stelle werden dem Öffentlich-Rechtlichen neue Aufgaben zugeschrieben, er soll Programmangebote und Serviceinformationen anbieten, die „Kompetenzen im Umgang mit Digitalisierung und KI vermitteln“. In Kombination mit der vermeintlichen Budgetkürzung für den ORF ist unklar, wie diese Mehrkosten gestemmt werden sollen.
„KI-Zensurtools werden verboten. (Verständnisfrage ÖVP)“
Gefordert werden auch Umstrukturierungen des Medienförderungswesens. So will die FPÖ „plattformunabhängige Medienförderung“, mit Vergabe nach „klaren, transparenten Kriterien“. Bestehende Förderinstrumente sollen auf Effizienz und Sinnhaftigkeit geprüft und reformiert werden. Selbstkontrolleinrichtungen wie Presseclubs oder Medienpädagogikeinrichtungen sollen von Teilnehmern und Konsumenten finanziert werden. All das möchte die ÖVP nicht, genauso wenig wie „das Verbot KI-Zensurtools“ – auch die ÖVP dürfte nicht wissen, was hier gemeint ist („Verständnisfrage ÖVP“)
Es gibt aber noch weitere Forderungen zu Förderungen: Die FPÖ ist gegen eine Erhöhung der Förderungen gemäß des Qualitätsjournalismusförderungsgesetzes; Faktizität, Quellenherkunft und journalistische Sorgfalt sollen nicht entscheidend sein für den Erhalt von Medienförderung. Auch ein Redaktionsstatut soll keine Grundvoraussetzung für Förderung sein. Uneinigkeit herrschte auch bei Inseraten: Die ÖVP will „keine Inserate in extremistischen Medien“, zum Beispiel bei Gewaltaufrufen oder Verstößen gegen das Strafrecht – hier sah die FPÖ Rot. Die Vergabe soll über eine „bundesweite Plattform“ neu geregelt werden, zusätzlich zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Vergabe von Inseraten. Die ÖVP ist dagegen.
Zitierverbot, parlamentarische Immunität für Parteimedien
Auch in der Untergruppe „Justiz“ wurden Themen mit schwerwiegenden Folgen für die Medienlandschaft diskutiert. Die FPÖ wünscht sich eine „Stärkung der parlamentarischen Immunität für Abgeordnete“, sowie eine „Prüfung der Ausweitung auf Klubs“ – die ÖVP prüft den Vorstoß. Falls eine derartige Ausweitung umgesetzt werden sollte, dann könnten auch parlamentarische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von der Immunität umfasst sein. Das würde auch publizistische Kanäle der Parlamentsklubs betreffen, dazu zählen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von FPÖ TV, Kontrast (SPÖ) oder Zur Sache (ÖVP). Ziel des Vorhabens könnten weniger Ermittlungen gegen FPÖ und ÖVP sein.
Brisant ist auch die Forderung der FPÖ nach einer Aufhebung der Verjährungsfrist der Strafbarkeit von Medieninhaltsdelikten – somit könnten auch kleinere Delikte, die länger als ein Jahr zurückliegen, geahndet werden. Strafbar werden sollen auch Handlungen, für die Personen bereits gestraft, bzw. wenn die Strafe nachgesehen, nachgelassen oder aufgeschoben wurde. Hier will die FPÖ mit drei Monaten Freiheitsstrafe oder 180 Tagessätzen Geldstrafe durchgreifen. Die ÖVP ist dagegen.
Einigen konnte man sich auf die Forderung nach dem Zitierverbot aus Ermittlungsakten. Das geht Hand in Hand mit Einschüchterung, so Kollege Stefan Melichar in seinem Kommentar zu dem Verhandlungsprotokoll.
Diese Art des Zitierverbots wäre ein massiver Rückschritt und auch Anlassgesetzgebung – FPÖ und ÖVP haben offenbar keine Lust mehr auf kritische Berichterstattung.
Uneinigkeit beim Umgang mit Plattformen
Laut dem Protokoll haben sich FPÖ und ÖVP in den Verhandlungen auch Plattformen vorgenommen – landläufig sind damit Facebook und Co. Gemeint. Gefordert und geeinigt wurde sich auf einen Schutz von Grundrechten, „insbesondere Kindern und Jugendlichen“. Verboten werden sollen „Deep-Fakes“ im Bereich Pornografie und auch „strafrechtlich relevante und verfassungswidrige Inhalte“. Hier dürfte keine Rücksprache mit der Verhandlungsgruppe Polizei gehalten worden sein, denn deren Forderungen widersprechen sich inhaltlich. So konnten sich FPÖ und ÖVP laut Protokoll beim Punkt „Polizei als „Freund und Helfer“ auf einen „gesetzlichen Rechtsschutz“ für Polizeibeamte in Medien- und Urheberrechtsangelegenheiten schaffen. Aber: „Gleichzeitig“ sei es „entscheidend, die Meinungs- und Informationsfreiheit im Internet“. Die Uneinigkeit setzt sich fort, die FPÖ ist gegen eine „Prüfung weiterer nationaler Regulierungsplattformen“. Somit ist völlig unklar, wie die vorhergehenden Punkte in dem Protokoll erfüllt werden sollen, wenn es keine nationalen Regulierungsmaßnahmen sein sollen.
Europas Rechten, den Patrioten für Europa und Co., ist der „Digital Services Act“ (DSA) seitens der EU ein Dorn im Auge. Auf europäischer Ebene machte sich dafür in der Vergangenheit der FPÖ-Europaabgeordnete Harald Vilismky stark, er nannte den DSA ein Spionageinstrument.
Im nationalen Regierungsprogramm bleibt die FPÖ dieser Forderung treu. Im Protokoll ist die Rede von „Ideologisch motivierten Zensurbestrebungen“ und einer Anpassung bestehender Regeln. In Klammer wird der DSA genannt, aber auch, dass die ÖVP gegen diese Forderung ist. Die Freiheitlichen sind gegen Regulierung von Digital-Plattformen im Rahmen des europäischen Digital Services und des Digital Markets Acts.
Zwischen „fake news“ und „De-banking“
Es soll auch vor „De-Banking“ im Medienbereich geschützt werden. In der Regel trifft das in Österreich die rechtsextreme Publizistik. Koordiniert werden soll das noch mit der Verhandlungsgruppe Verfassung, die FPÖ war hier laut Protokoll dagegen.
Zur Debatte standen auch Gratiszeitung Zugänge für Jugendliche. Auch hier konnten sich FPÖ und ÖVP nicht einigen, erstere zweifelten an der Unparteilichkeit und Objektivität von Schulunterricht. Die FPÖ hat auch ein Problem mit dem Begriff „fake news“, auch hier kam es zu einem Dissens über das Wording. Kurios: An anderen Stellen war der Ausdruck kein Problem, so zum Beispiel, wenn es um Objektivität im ORF ging. Zur Diskussion stand auch ein Zur-Verfügung-Stellen von österreichischen Zeitungen für Schülerinnen und Schüler in der 7. Schulstufe, die FPÖ sprach sich dagegen aus. Ebenso, wie gegen eine Erhöhung der Fördermittel der Aufsichtsbehörde RTR für Medienkompetenz, genauso wie gegen eine Informations- und Demoktratieoffensive.
Im Einklang mit der Bekenntnis-Forderung zu Österreich geht für ÖVP und FPÖ auch der Wunsch nach einem „Medienkonvent“, unter „breiter Einbindung aller Stakeholder“ – wer damit genau gemeint ist, das geht aus dem Protokoll nicht hervor. Dabei sollen „die großen Herausforderungen“ erörtert werden, gemeint sind „Medienwandel, KI und Digitalisierung; Big Tech und Medienmarkt, digitalen Medienstandort, Medienförderung etc.“. Gefestigt werden sollen „unabhängige Medienaufsicht und -regulierung“ durch die Behörden KommAustria, RTR und „Prüfung weiterer Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung“. Was mit letzterem gemeint wird, das bleibt offen.
Unter dem Punkt „Desinformation/Meinungsfreiheit“ werden „must carry“ und „must be found“-Regelungen definiert – diese bedeuten, dass Kanäle, in der Vergangenheit war das der öffentlich-rechtliche Rundfunk, sicherstellen müssen, dass österreichische Inhalte „leicht auffindbar“ sind und nicht verschwinden dürfen. Diese Vorschriften sollen für Online-Plattformen, soziale Medien und Gerätehersteller gelten – auch hier ist nicht nachvollziehbar, wie dieser Vorstoß umgesetzt werden soll, bzw. ob er überhaupt umgesetzt werden kann.