Amy Schumer

Amy Schumer: Blowjobs und Katzen-Videos, das ist Multitasking!

Oscar-Moderatorin Amy Schumer ist die Queen der Tabulosigkeit im US-Showgeschäft – und bereitete das Terrain für eine Generation von weiblichen Comedians, die Sexualität mit brutaler Offenheit thematisieren.

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Gott, soll ich dir einen blasen?“, fragt Amy Schumer in der voll besetzten Konzerthalle. Das Publikum ist begeistert. Tausendfaches Gejohle. Leider kann Schumer bei Gott nicht landen. Der meint nur: „Nein danke, ich bin schwul.“ Dabei habe sie schon in ihrer Highschool-Zeit Blowjobs wie „Handshakes“ verteilt. Und – falls es irgendjemand interessiert – sie habe inzwischen eine „richtig gute Beziehung“ zu ihrer Vagina. Nahezu jeder sei dort willkommen. Außerdem riecht sie irgendwie gut: „Eigentlich wie ein liebes Tier auf einem Bauernhof. Nicht wie ein verstörtes Lama, sondern wie ein Zicklein aus der Streichelzoo-Abteilung.“ 

Die New Yorkerin Amy Schumer, 40, ist die Queen der Tabulosigkeit und hat es mit Scherzen über ihren nach der Schwangerschaft geschädigten Uterus, ihr Gewicht („Niemand checkte, dass ich schwanger war!“), alkoholbedingte Blackouts, Sex mit Minderjährigen und die Geruchsnote ihrer Vagina („Heute müssen die alle wie ein Weihnachtsbaum riechen, was ich schade finde“) zu einem Jahreseinkommen von konservativ geschätzten 37 Millionen Dollar gebracht. 

Zuletzt wurde sie – zusammen mit ihren afroamerikanischen Schauspielkolleginnen Regina Hall und Wanda Sykes – auserkoren, die heurigen Oscars zu moderieren. Ein längst fälliges Zeichen dafür, dass der Diversitätsgedanke der Generation Woke mit stattlicher Verzögerung nun doch im Altherren-Club der Academy angekommen ist. Abgesehen von den Engagements von Whoopi Goldberg und Ellen DeGeneres war das Geschlechterverhältnis unter den Gastgebern der Trophäenschau bislang desaströs.

Amy Schumer, 40

Mittelmäßiger als das Leben

Sie zählt neben Ellen DeGeneres zu den erfolgreichsten Entertainerinnen. Eben feierte ihre TV-Serie „Life & Beth“ auf dem Streamingdienst Hulu Premiere. Dort beutet Schumer wie auch sonst ihr eigenes Leben aus: ihre triste Kindheit in Long Island, Vater bankrotter Alkoholiker, Mutter passiv-aggressiv, verliebt in einen Mann „im Autismus-Spektrum“. Kampfschrei: „Ich bin so mittelmäßig.“ Ihre Bereitwilligkeit, die eigenen Defizite und ihre Unsicherheit, was ihr Aussehen betrifft, nach außen zu stülpen, bietet einen hohen Identifikationsfaktor; ihre Schamlosigkeit verleiht ihr einen provokanten Hipness-Touch. Ihre aktuelle Tournee trägt den schlichten Titel „The Whore-Tour“. Ihre Oscar-Gags schrieb sie sich selbst, Ehrensache für eine Stand-up-Veteranin wie Amy. 
 

Amy Schumer, das White-Trash-Mädchen aus Long Island (so ihre Selbstdefinition), hat die gläserne Decke der männerdominierten Comedy, die vermögensmäßig von Jerry Seinfeld und Kevin Hart (der wegen homophober Tweets den Oscar-Job 2018 verlor) angeführt wird, durchbrochen. Sie produziert, schreibt, spielt, tourt durch die Hallen, und Hollywood frisst ihr aus der Hand. Im deutschsprachigen Raum wäre die (vor allem auch gegen sich selbst) brutal schonungslose Comedy der Amy Schumer zumindest im Fernsehen undenkbar.

„Das Coole am Erfolg ist, dass dir alles so herrlich egal sein kann.“

Amy Schumer

Doch in der amerikanischen Popkultur sind humoristische Stahlbäder, in denen Political Correctness kein Thema ist und Rednecks und Spießer genauso wie Esoteriker und ethnische Minderheiten im Visier stehen, seit den 1960er-Jahren Usus: Lenny Bruce machte den Anfang, Joan Rivers, Richard Pryor und Woody Allen setzten nach. In den 1970er-Jahren etablierte sich das TV-Comedyformat „Saturday Night Live“ als Gehschule für spätere Superstars: John Belushi, Bill Murray, Julia Louis-Dreyfus (Jerry Seinfelds spätere Sitcom-Partnerin), Melissa McCarthy und Sarah Silverman erprobten sich in der NBC-Show. „Damals“, erinnert sich Sarah Silverman in der „L.A. Times“, „gab es zwei writing rooms, einen für Männer und einen für Frauen. In unserem waren noch Anfang der 1990er-Jahre keine Computer, wir konnten ihn aber versperren. Wahrscheinlich wollten sie uns vor Vergewaltigern schützen.“

Nikki Glaser, 37, die auf Netflix gegenwärtig einen Diskurs über ihre durch Langeweile beflügelte Talentlosigkeit für Blowjobs führt („Beim Sex macht man eventuell Kinder, mit Blowjobs eventuell Karrieren, sehen Sie nur mich an, keine Kinder, aber …“), pflegt bei Exkursen in die Vergangenheit das schüttere Aufkommen von weiblicher Satire so zu thematisieren: „Das ist wirklich sehr, sehr lang her, das war noch, bevor Frauen lustig sein durften.“ 

Amy Schumer ist durch und durch Feministin, ihr Lieblingszitat stammt von der Frauenrechtlerin Gloria Steinem: „Die Wahrheit wird euch befreien, aber zuerst wird sie euch unglaublich auf den Wecker gehen.“ Das Spiel mit den Klischees der Misogynie, die Persiflage des Stammtisch- und Collegehumors, diesem bis heute unverrückbaren Fixbestandteil toxischer männlicher Kultur, funktioniert nach dem Prinzip, dass viele dieser Künstlerinnen die Waffen jener benutzen, die sie bloßstellen wollen. Das Betonen eines promisken Lifestyles (Schumer: „Ich bin kein Flittchen, hatte nur vier Männer – Junge, war das eine anstrengende Nacht!“) dient dazu, gesellschaftliche wie geistige Engpässe offenzulegen und die Vorurteile, an denen Frauen leiden, zuerst provokant durch die Luft zu wirbeln, um sie danach zu zertrümmern. 

Verglichen mit der derben Drastik von Schumer, Glaser, Ali Wong und dem Nesthäkchen der weiblichen Netflix-Startruppe, Taylor Tomlinson, die mit ihren 28 Jahren und ihrem zweiten Netflix-Special „Look At You“ eine Liga für sich ist, wirken Komikerinnen wie die Deutsche Carolin Kebekus und die Schweizerin Hazel Brugger nachgerade hausbacken harmlos.

Lange vor Schumer, die in dem Netflix-Special „Growing“ 2019 hochschwanger die Abgründe der werdenden Mutterschaft beleuchtete, brach die vietnamesisch-chinesisch-stämmige Amerikanerin Ali Wong, 39, dieses Tabu: Im achten Monat ihrer Schwangerschaft turnte sie 2016 in ihrem Programm „Baby Cobra“ auf dem Boden, simulierte Kotzschwälle und brüllte: „Weibliche Comedians werden selten schwanger. Kaum sind sie es, verschwinden sie nämlich für immer.“ Deswegen wird sie ihr Baby „little career killer“ nennen. „Sie ist meine Heldin“, schwärmt Schumer über Wong: „Was Ali damals tat, war wirklich revolutionär.“

Ali Wong, 39

Feminismus-„Hass“

Ali Wong schrieb Comedy-Geschichte, als sie hochschwanger mit ihrem Netflix-Programm „Baby Cobra“ auftrat und sich mit dem feministischen Dilemma, einen Job und ein Kind miteinander zu vereinbaren, auseinandersetzte. Schlüsselsatz: „Ich hasse den Feminismus. Er macht so müde. Wo sind die Zeiten, in denen es der Job einer Frau war, keinen Job zu haben.“

2019 publizierte Wong, Tochter vietnamesisch-chinesischer Einwanderer, ihren autobiografischen Essayband „Dear Girls“, in dem sie sich auch  mit den Vorurteilen auseinandersetzt, die ihre asiatische Herkunft mit sich bringt. Wong zählte 2020 für das „Time“-Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen.
 

Dass sich in der deutschsprachigen Szene bislang wenige, in ihrer Radikalität bemerkenswerte weibliche Comedians etabliert haben, ist möglicherweise mit moralischer Vorsicht, aber wohl auch mit der fehlenden Stand-up-Kultur zu erklären. Nahezu alle, die jetzt auf Netflix ein Millionenpublikum anziehen, hatten in ihren Anfängen bei sogenannten „Open Mic“-Abenden Gags, Timing und Themen vor überschaubarem Publikum ausprobiert und sich so ihre Bühnenpräsenz von der Pike auf erarbeitet. Hierzulande mithalten können da eigentlich nur Toxische Pommes, so der Künstlername der Wiener Juristin Irina (Nachname anonym), die mit ihren knackigen TikTok-Clips das Typenspektrum der Bobo-Metropolen parodiert, sowie Malarina (die Tirolerin mit serbischen Wurzeln Marina Lacković), die gnadenlos das Klischee der migrationsvordergründigen Schlampe satirisch überzieht. 

Die meisten der aktuellen US-Comedy-Stars, die Sexualität, Narzissmus im Zeitalter digitaler Besessenheit, Depressionen und traumatisierende Herkunftsbiografien zu einem Feuerwerk des „kulturellen Zeitgeistes“ (so die „New York Times“) verschmelzen, sind stark von Amy Schumer geprägt, die in den 2010er-Jahren als Erste die Technik der Selbstdemontage und das genussvolle Thematisieren von Tabus hollywoodtauglich gemacht hat.

Taylor Tomlinson, 28

Christliche Fehltritte

Die interessanteste Satirikerin der neuen Generation ist Taylor Tomlinson, die mit ihrem zweiten Netflix-Special „Look At You“ nahtlos an „Quarter-Life-Crisis“ , einer  klugen Mischung aus Psychodrama, Rassismuskritik und Parodie der Eindimensionalität männlichen Sexualitätsverhaltens, anschließen kann: „Ich wurde dazu angehalten, bis zur Ehe keinen Sex zu haben. Und wisst ihr was? Während alle meine Freundinnen mit ihren Typen schliefen, hatte ich als einzige echte Orgasmen.“

Tomlinson ging schon als Teenager auf Ochsentour im kirchlich-christlichen Comedy-Circuit und brach mit ihrer Herkunft. „Forbes“ nannte Tomlinson Ende 2021 eine der wichtigsten 30 Personen unter 30 in den USA, seit 2021 betreibt sie auch den Podcast „Sad In the City“.

Die Hemmungslosigkeit, mit der Schumer über das Ejakulat nach einem Blowjob (die Mühsalen der Fellatio sind zurzeit das Lieblingsthema vieler Comedians) referiert („Oh, ja, Jungs, schießt nur los, am liebsten würde ich Schnee-Engel in dem weißen Zeugs machen!“) und von ihrem promisken Leben erzählt („Ich habe früher gern mit Südamerikanern rumgemacht, inzwischen ziehe ich einvernehmlich vor.“), schockiert inzwischen niemand mehr. Der Gag mit den Südamerikanern brachte Schumer zwar Rassismusvorwürfe ein, die sie mit dem Satz, der gleichzeitig ihr Lebensmotto ist, quittierte: „Das Coole am Erfolg ist, dass dir alles so herrlich egal sein kann.“

Um durchzudringen, „musst du etwas von dir selbst preisgeben. Nur am Beobachtungsposten zu sitzen und ein bisschen über Biden zu mosern, reicht nicht“, erklärte Tomlinson, deren streng christlicher Vater seit ihrem kometenhaften Durchbruch nicht mehr mit ihr spricht, in der „New York Times“. Und Tomlinson schont sich wirklich nicht: Sie verlor ihre Mutter früh und integriert diese Erfahrung in ihre „dead mum jokes“: „Meine Mutter ist ja jetzt im Himmel, aber ich bin auf Netflix. Irgendwie ist sich alles gut ausgegangen.“

Nikki Glaser, 37

„Das kleine nudelige Ding“

Nikki Glaser sieht aus wie eine frühere „Miss Ohio“ (wo sie auch herkommt) und gilt neben Schumer als die offensivste Comedian ihrer Generation. In ihrem Netflix-Special „Banging“ demontiert die inzwischen abstinente Glaser, die offen über ihre heftige Alkoholphase spricht, männliche Sexualpraktiken. Glaser ist eine engagierte Tierschützerin und predigt vegane Ernährung (weshalb  es ihr auch schwerfalle, „dieses kleine nudelige Ding, das Männer zwischen den Beinen haben,  in den Mund zu nehmen“). Sie moderiert gewohnt radikal-ironisch die  Reality-Datingshow „FBOY Island“, in der Frauen unter einer Schar von Männern, die sich in narzisstische  Womanizer und Männer mit ernsten Absichten aufteilen, die „Guten“ ausfindig machen sollen. Seit Kurzem hat sie auch ihren eigenen Podcast.

 

Sie erzählt von ihrem lebenslangen Konsum von Antidepressiva: „Irgendwann sind die Dinger wie Schwimmflügel.“ Und sie persifliert jene beziehungsfanatischen Frauen, die sich mit Getöse auf Facebook oder Instagram von der Welt verabschieden, weil sie sich jetzt nur auf ihre Ehe konzentrieren wollen: „Was ist mit euch, Girls? Ist es so schwierig, eurem Typen einen Blowjob zu geben und dabei ein Katzenvideo zu posten? Multitasking, kauft euch eine Schürze!“ 

Ebenso erfolgreich, aber weit weniger explizit, ist die 44-jährige lesbische Australierin Hannah Gadsby, die mit ihrem Netflix-Special „Nanette“ 2018 Furore machte und mit ihren Storys zu einer Art Schutzheiligen der LGBTQ-Community avancierte. In ihrem Ende April erscheinenden Buch „Ten Steps To Nanette“ erzählt sie, wie der Ruhm zu einem Störfall in ihrem Leben wurde: „Du gehst auf diesem roten Teppich, plötzlich  überfällt dich eine Assistentin von Jennifer Aniston, die dir erklärt, dass die dich unbedingt kennenlernen möchte. Das macht dich nervös, du bist nämlich Autistin und hast schon Schwierigkeiten, mit deiner Freundin Small Talk zu machen. Aniston erklärt dir dann, dass sie schon so viel von dir gehört hat, total glücklich ist, dich kennenzulernen, aber leider wirklich noch keine Zeit hatte, ,Nanette‘ zu sehen.“

Hannah Gadsby, 44

Autistisch & lesbisch

Unter linksliberalen Intellektuellen ist die Australierin Hannah Gadsby, 44, das Comedy-Idol der Stunde. Ihren internationalen Durchbruch feierte sie mit dem Netflix-Special „Nanette“, in dem sie sich mit dem „Überleben“ in einer homophoben Gesellschaft in der tiefsten Provinz auseinandersetzte. 2020 folgte das Programm „Douglas“, in dem Gadsby ihren plötzlichen Ruhm, dessen bedrohliche Wirkung und die Absurditäten des Showbiz thematisiert. Ende April erscheint ihre Autobiografie „Ten Steps to Nanette“, in der sie auch über ihr Star-Burnout schreibt.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort