#brodnig: Auf der Datenautobahn
Es ist total faszinierend, wie viele absurde Begriffe aus den Anfangstagen des Internets erhalten geblieben sind. Nehmen wir nur das Wort "virtuell": Dieses baut auf einer Unterscheidung zwischen "echtem Leben" und "virtuellem Leben" auf.
Die Differenzierung stammt aus einer Zeit, als das Internet noch klar abgegrenzt von anderen Alltagstätigkeiten war. Man war nicht einfach unbewusst nebenbei im Netz, man "ging" online, wählte sich dafür mit einem 56k-Modem ein und zählte jede Minute, in der man im Schneckentempo durchs Web surfte, weil sonst hohe Kosten entstehen konnten. Heute sind wir 24 Stunden am Tag online - denn wer hat nicht das Smartphone eingesteckt? Und trotzdem wird noch immer vom "realen Leben" gesprochen, wenn Menschen eine Tätigkeit offline verrichten.
Obwohl wir nun das World Wide Web mehr als ein Vierteljahrhundert haben, fehlen uns noch immer die angemessenen Worte für den Umbruch
Ich verstehe das nicht: Bestellt man Schuhe bei einem Onlinehändler, kommen die doch ebenso real an. Droht jemand einer anderen Person per E-Mail mit der Ermordung, dann ist das ebenso ein Straftatbestand, wie wenn er das per Brief tut. Und wenn der eigene Partner per WhatsApp Schluss macht, ist es gleich real wie wenn er es einem ins Gesicht sagt (allerdings ist es schon letztklassig, das per Messenger-Dienst auszurichten).
Obwohl wir nun das World Wide Web mehr als ein Vierteljahrhundert haben, fehlen uns noch immer die angemessenen Worte für den Umbruch, der da eigentlich passiert. Wir versuchen, mit Begriffen aus den 1980er-Jahren eine Entwicklung zu beschreiben, die so folgenreich für unsere Gesellschaft sein wird wie die Erfindung des Stroms.
Eines gebe ich zu: Diese Wortschöpfungen aus den Anfangstagen des Webs haben immerhin Retrocharme. Wenn ich Formulierungen wie "Datenhighway" oder "Cybercrime" lese, möchte ich mir sofort eine Jeansjacke anziehen und "Zurück in die Zukunft 2" ansehen.