#brodnig: Die heißeste aller Kartoffeln
Facebook hat ein eigenes Aufsichtsgremium eingeführt: Das Oversight Board ist mit externen Experten besetzt und soll in heiklen Streitfragen entscheiden, welche Inhalte oder Personen auf der Plattform bleiben dürfen – und was verbannt gehört. Nun hat das Oversight Board im Fall Trump eine Entscheidung getroffen.
Es findet in Ordnung, dass der damalige US-Präsident Donald Trump von Facebook gesperrt wurde. Denn mit der falschen Behauptung, ihm wäre die Wahl gestohlen worden, und dem Aufruf zum Handeln habe er ein Umfeld geschaffen, in dem ein „Risiko der Gewalt“ möglich wurde. Jedoch übt das Gremium auch Kritik: Facebook habe nicht festgelegt, wie lange die Sperre Trumps anhält – ob die Verbannung permanent sei oder wann sie endet. Das Oversight Board verlangt jetzt von Facebook, binnen sechs Monaten zu entscheiden, ob Trumps Sperre permanent ist oder wann er zurückdarf. Eine wirkliche inhaltliche Entscheidung vermeidet das Gremium somit.
Die Kolumnistin der „New York Times“ Kara Swisher hat die Entscheidung über Trump als „the hottest of potatoes“ bezeichnet, als die allerheißeste Kartoffel, die Facebook-Gründer Mark Zuckerberg anscheinend dem Gremium zuspielen wollte.
Nun hat dieser Expertenkreis die heiße Kartoffel zu Facebook zurückgespielt. Es bleibt vorerst unklar, ob Trump eines Tages wieder auf Facebook die Gemüter erhitzen darf. Aber schon jetzt kann man aus dieser Geschichte etwas lernen.
Erstens: Facebook geht willkürlich vor. Zwar gibt Zuckerbergs Unternehmen in seinen „Gemeinschaftsstandards“ vor, wofür man gesperrt werden kann. Aber gleichzeitig setzt Facebook Schritte, die in den eigenen Regeln nicht zu finden sind. Das Oversight Board wirft Facebook vor, Trump sei auf unbestimmte Zeit verbannt worden – obwohl die hauseigenen Regeln eine zeitlich unbestimmte Sperre gar nicht vorsehen würden. Ein berühmtes Mitglied des Oversight Board ist Helle Thorning-Schmidt, die frühere Ministerpräsidentin Dänemarks. In einem Pressegespräch erklärte sie: „Wir sagen Facebook, sie können nicht neue ungeschriebene Regeln erfinden.“
Ausgerechnet Facebooks eigenes Gremium spricht die fehlende Nachvollziehbarkeit von Facebooks Entscheidungen an. Auch macht die Expertengruppe bekannt, dass das Unternehmen nicht alle Fragen in dem Fall beantwortete. Konkret richtete das Oversight Board 46 Fragen an den Konzern – sieben blieben gänzlich unbeantwortet, zwei wurden nur teilweise beantwortet. Zum Beispiel blieb unklar, ob staatliche Vertreter Druck machten oder das Gespräch suchten in der Causa Trump.
Das führt zur zweiten Erkenntnis: Obwohl das Oversight Board eine unabhängige Beschwerdestelle darstellen soll, ist seine Macht begrenzt. Der Social-Media-Konzern betont gerne, dass das Gremium unabhängig sei, dass die Mitglieder externe Experten seien und dass Facebook den Entscheidungen folgen will. Tatsächlich findet man beeindruckende Personen in der Runde: neben der früheren dänischen Ministerpräsidentin zum Beispiel Alan Rusbridger, früherer Chefredakteur des „Guardian“, oder etliche Rechtsprofessoren. Aber die „Unabhängigkeit“ des Gremiums ist relativ: Das Ganze wird von Facebook finanziert, die Vorstandsmitglieder wurden von Facebook ausgesucht, und weitere Mitglieder bestimmt der Vorstand gemeinsam mit Facebook. Wenn Mark Zuckerberg will, kann er jederzeit einfach die Beschlüsse des Gremiums ignorieren.
Als Zuckerberg 2018 erstmals das Beschwerdegremium ankündigte, sprach er von einer Struktur, die „fast wie ein Höchstgericht“ sein könnte. Seither wird das Oversight Board oft als „Quasi-Gericht“ oder „ähnlich einem Höchstgericht“ bezeichnet. Aber das ist falsch. Das Oversight Board ist ein Beratungsinstrument, das auf rein freiwilliger Basis existiert. Im Gegensatz dazu sind Höchstgerichte nicht vom Wohlwollen von Unternehmen abhängig. Wenn der U.S. Supreme Court eine Entscheidung trifft, die Mark Zuckerberg missfällt, dann kann dieser den Supreme Court nicht einfach ignorieren.
Mein Eindruck ist: Die Mitglieder des Oversight Board sind renommierte Experten und nehmen ihre Arbeit ernst – sie versuchen, die Moderation bei Facebook stringenter, transparenter und fairer zu machen. Aber am Ende sind sie keine Richter, sondern gleichen eher einem Beirat.
Das wirft die Frage auf, ob wir in der EU oder die USA darüber nachdenken sollten, ob es eine neue Form der Medienaufsicht für dominante soziale Medien braucht oder eine erweiterte gerichtliche Zuständigkeit: Derzeit entscheidet oft eine Handvoll mächtiger Unternehmen (Facebook, YouTube, Twitter), welcher Politiker ein Millionen- oder gar Milliardenpublikum ansprechen kann – und welcher nicht. Hier wird ein relevanter Teil der öffentlichen Rede von einzelnen wenigen Unternehmen bestimmt.
Ich bin der Ansicht: Donald Trump hat mit seinen Falschmeldungen, mit seinen persönlichen Attacken und seiner Agitation einen Ausschluss aus den führenden Netzwerken zumindest für eine längere Zeit verdient. Aber da Facebook, YouTube und Co. enorm bedeutend geworden sind, da diese Plattformen Milliarden von Menschen erreichen, sollten wir ihnen nicht solche Entscheidungen ganz allein überlassen, sondern über neue Formen der Regulierung oder gerichtlicher Anlaufstellen nachdenken – denn „heiße Kartoffeln“ wie Trump gehen uns alle etwas an.