#brodnig: Niederösterreich-Wahl: Hallo du, ja, genau, du!
Erinnern Sie sich vielleicht noch an Frank Zander? Das ist ein deutscher Schlagerstar, der Ende der 1990er-Jahre in einer berühmten Fernsehwerbung auftrat. Man konnte damals per Telefon eine CD mit persönlicher Geburtstagswidmung von ihm bestellen – egal ob man Irene, Ilse oder Ingeborg ein Geschenk machen wollte, Frank Zander hatte all diese Namen eingesprochen, und um 19,99 Euro plus Versandkosten konnte man eine CD bestellen, auf der das Geburtstagskind mit Vornamen angesprochen wurde.
Ich muss gestehen: Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner erinnerte mich dieser Tage an Frank Zander. Auch sie hat sehr viele Namen eingesprochen, laut der Gratiszeitung „Heute“ waren es rund 500 Vornamen, von Achim bis Zoran. Auf der Website wir-muessen-reden.johanna-mikl-leitner.at konnte man auf diese Weise eine personalisierte Botschaft erstellen und an Bekannte schicken. Zum Beispiel wählt man, dass die Empfängerin Ingrid heißt und gibt an, die Oma, das Kind oder etwa der Kollege der Person zu sein. Dann erscheint ein Video – in dem Johanna Mikl-Leitner den passenden Text spricht.
Parteien sind klug, wenn sie im Wahlkampf ihre Fans stärker einspannen.
Zum Beispiel: „Liebe Ingrid, es geht um unser Zuhause, um Niederösterreich. Deshalb hat sich deine Oma an mich gewandt. Niederösterreich wählt am 29. Jänner …“ Erwartungsgemäß legt die Landeshauptfrau in diesem Video einem dann nahe, ihr die Stimme bei der Wahl zu geben. Wer sich die Mühe antut, rund 500 verschiedene Vornamen in die Kamera einzusprechen, will schließlich etwas damit erreichen. Die Frage ist natürlich: Bringen solche Videos überhaupt etwas?
Immerhin: Sie sind ein Eyecatcher. Wir alle sind die typischen Wahlplakate, Online-Werbungen und Postwurfsendungen der Parteien gewohnt. Die Partei, die als Erste ein derartiges Wunschvideo erstellt, profitiert vom Neuigkeitswert. Auch die Gratiszeitung „Heute“ hat über diese Wahlkampfmaßnahme berichtet, und womöglich wurden diese Videos in manchen niederösterreichischen Haushalten diskutiert. Andererseits: Es ist leicht durchschaubar, dass die Botschaft von Mikl-Leitner nur sehr oberflächlich personalisiert ist. Die ÖVP-Politikerin hat Hunderte Namen in eine Kamera gesprochen – ebenso wie Frank Zander kennt sie ihr jeweiliges Publikum aber nicht wirklich.
Clever ist dabei zumindest die Idee, dass Menschen solche Videos für ihr persönliches Umfeld erstellen und dann per Klick auf WhatsApp an die Freundin, Tante, Oma etc. mit richtiger Adressierung weiterleiten können. Die wirkliche Personalisierung in diesem Fall ist nicht, dass Johanna Mikl-Leitner Agnes, Bernd oder Claus anspricht, sondern dass Freund:innen von Agnes, Bernd oder Claus oder deren Familienmitglieder solche Videos für sie erstellen. Parteien sind klug, wenn sie im Wahlkampf ihre Fans möglichst gut einspannen und ihnen Möglichkeiten bieten, selbst im eigenen Umfeld aktiv zu werden.
Zum Beispiel haben die NEOS im Wahlkampf 2013 sogenannte Tupper-Partys veranstaltet – das heißt, Engagierte bei der Partei luden zu sich nach Hause ein und erzählten über diese neue Partei, und man diskutierte gemeinsam über Politik (übrigens mussten die NEOS dann den Namen dieser Abende ändern, weil sie laut dem damaligen Parteichef eine Unterlassungsaufforderung des Tupperware-Konzerns zugeschickt bekamen – von da an hießen diese Veranstaltungen „NEOS@home“). Es ist intelligent, den eigenen Fans Möglichkeiten zu bieten, für die jeweilige Partei besonders aktiv zu werden. Man sollte wohlgemerkt solche Wahlkampfformate nicht überschätzen, sie sind kein Wundermittel. Wenn ein Wahlkampf gut läuft, können sie aber zur Sichtbarkeit beitragen. Und wenn der Wahlkampf einer Partei schlecht läuft, dann hilft selbst das cleverste Online-Tool nichts mehr.
Die Videos mit Mikl-Leitner zeigen jedenfalls einen größeren Trend auf, der seit einigen Jahren Wahlkämpfe prägt: Sie sind zunehmend personalisiert, oft auch datengetrieben. Anders als zu den Zeiten von Frank Zander ist es heute sehr leicht, Hunderte verschiedene Versionen eines Videos zu erstellen und zu versenden (man muss dafür gar keine CDs mehr pressen, und einen Link zu versenden, kostet auch nichts). Übrigens sind hier auch noch weitere technische Entwicklungen denkbar: Vielleicht muss sich Johanna Mikl-Leitner künftig gar nicht mehr ins Studio setzen und 500 Namen einsprechen, vielleicht kann Software einen Teil dieser Arbeit übernehmen.
Schon jetzt experimentieren manche Medienhäuser mit künstlicher Intelligenz (KI) – zum Beispiel lernt die Software, die Stimme eines bekannten Journalisten oder einer bekannten Journalistin nachzuahmen und dann in Podcasts einzusprechen. So spart sich der jeweilige Mensch die Zeit, derartige Texte einzulesen. Sollte derartige Technologie verbreiteter und leicht nutzbar werden, könnte man zum Beispiel im Wahlkampf eine KI personalisierte Texte sprechen lassen, ohne dass sich der jeweilige Spitzenkandidat oder die -kandidatin vors Mikro setzen muss. Hier gibt es noch Raum für technische Innovation, aber ein grundlegendes Problem kann auch Software nicht lösen: Selbst wenn sich personalisierte Botschaften zunehmend leichter erstellen lassen, bringt das wenig, wenn manche Menschen so desillusioniert von politischen Ereignissen oder einer Partei sind, dass sie überhaupt keine Politik auf ihrem Smartphone wollen.
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