#brodnig: Schranken für die Schrankenlosen
Wir sehen dieser Tage, wie wichtig es ist, dass die EU klare Regeln für das Internet – und große Internetkonzerne – vorgibt. Denn ohne klare, demokratisch verankerte Regeln sind wir dem Gutdünken einzelner weniger Mächtiger im Internet ausgeliefert: Mark Zuckerberg oder bald wohl auch Elon Musk können weitgehend die Regeln auf ihren eigenen Plattformen (Facebook, WhatsApp, Instagram; Twitter) vorgeben. Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es eine solche Machtkonzentration, bei der eine Handvoll Unternehmen maßgeblich beeinflusst, mit welchen Informationen, welchen Produkten oder welcher Werbung Milliarden von Menschen weltweit in Kontakt kommen. Und noch dazu werden einzelne dieser Unternehmen maßgeblich von einer einzelnen Person gesteuert.
Zwei Beispiele für die Machtkonzentration: Nachdem Elon Musk Twitter kauft, kann er im Grunde selbst entscheiden, ob Donald Trump – womöglich auch als Kandidat bei der nächsten US-Präsidentschaftswahl 2024 – auf Twitter aktiv sein darf oder nicht. Egal was man von Trump oder einer potenziellen politischen Rückkehr seinerseits hält, ist es schon bemerkenswert, dass eine so wichtige Entscheidung nicht von einem Gericht, einem Parlament oder einer rechtsstaatlich verankerten Behörde gefällt wird, sondern von einem einzelnen Unternehmen und seinem Eigentümer. Musk wird voraussichtlich noch mehr Macht haben als Twitters bisherige Führungsebene: Er will das Unternehmen von der Börse nehmen. Als künftiger Eigentümer muss er sich dann nicht einmal mit einem Verwaltungsrat herumschlagen, der die operative Geschäftsführung kontrolliert.
Zweites Beispiel: Im Jahr 2018 gab es gewalttätige Übergriffe auf die Rohingya – der muslimischen Minderheit in Myanmar. Die UN sprach damals von einem Völkermord. Auch über den Facebook-Messenger wurden Gewaltaufrufe weitergeleitet. Mark Zuckerberg erzählte einmal: Er wurde von seinem Team an einem Samstagmorgen wegen diesen Gewaltaufrufen angerufen – und man beschloss, solche hetzerischen Nachrichten in der App zu blockieren. Ich glaube, dass Zuckerberg hier die richtige Entscheidung traf. Aber es ist schon bemerkenswert, dass einfach er mit seinem Team an einem Wochenende so eine relevante Entscheidung fällt und nicht ein Gericht oder eine internationale Organisation dies tut.
Wir haben ein demokratisches Vakuum im Internet – und wir brauchen neue Gesetze, um Grenzen einzuführen, was die großen Plattformen im Alleingang entscheiden dürfen. Darauf zielt auch der Digital Services Act ab, auf den sich die EU nun einigte. Mit diesem Dokument werden neue Regeln für Online-Dienste vorgegeben: Zum Beispiel müssen Online-Plattformen die Meldungen von strafbaren Postings (wie rechtswidriger Hetze) ermöglichen und zeitnah beantworten. Solche rechtlich vorgeschriebenen Meldesysteme kennen wir in Österreich und Deutschland schon, weil hier das bereits nationale Gesetze vorschreiben. Für die Europäische Union als Ganzes ist es aber eine Neuigkeit. Positiv ist auch, dass die EU ein Einspruchsrecht für Bürger:innen schafft. Wenn man mit der Moderationsentscheidung einer Plattform nicht zufrieden ist, kann man sich auch an eine unabhängige Stelle wenden. Man muss die Entscheidung Twitters, ob ein Account gesperrt wird, nicht hinnehmen, sondern kann diese anfechten.
Besonders streng sind die Auflagen für „sehr große“ Plattformen, die monatlich mehr als 45 Millionen Nutzer:innen in der EU erreichen. Sie müssen jedes Jahr eine Risikoanalyse veröffentlichen, inwieweit ihr Dienst beispielsweise für die Verbreitung illegaler Inhalte genutzt wird oder auch demokratische Vorgänge darüber gefährdet werden könnten. Und sie sollen mögliche Gegenmaßnahmen anführen. Notfalls kann die EU Vorgaben machen, wenn zum Beispiel eine Plattform nicht genügend zum Schutz der Demokratien macht. Übrigens sieht der Digital Services Act auch vor, dass sehr große Plattformen mit Behörden und der Forschung Daten austauschen müssen – was die Transparenz fördern soll.
Elon Musk wird noch mehr Macht haben als die bisherige Twitter-Führung.
Es ist gut, nicht vom Gutdünken einzelner Plattformen abhängig zu sein: Elon Musk hat jetzt angekündigt, dass er Twitters Algorithmus offenlegen möchte – das wäre tatsächlich ein beeindruckender Schritt. Allerdings hat Musk auch bei seinem Auto-Unternehmen Tesla visionäre Entwicklungen angekündigt und manches davon nicht eingelöst. Es ist besser, nicht von den Versprechungen der einzelnen Digitalunternehmen abhängig zu sein, sondern klare Regeln zu haben.
Der Digital Services Act geht in die richtige Richtung – jedoch stellt sich die Frage, wie groß der Schritt ist, den die EU hier setzt. Der fertige Gesetzestext liegt noch nicht vor. Bisher sind nur die wichtigsten Eckpunkte bekannt, auf die sich EU-Parlament und Mitgliedstaaten einigten. In ein paar Wochen werden Expert:innen und Journalist:innen anhand des finalen Textes analysieren können, ob manche Formulierungen Schlupflöcher für Unternehmen offenlassen.
Auch sollte man davon ausgehen, dass vor Gericht in den nächsten Jahren gestritten wird, wie einzelne Artikel auszulegen sind. Der Kauf von Twitter durch Elon Musk zeigt, dass manche Entscheidungen in der Tech-Branche schnell getroffen werden – im Vergleich dazu ist die Einführung neuer Gesetze ein langwieriger Prozess. Aber es ist gut, dass hier die EU in die Gänge kommt.