#brodnig: Klassenunterschiede
In der Theorie klingt es simpel: Die Schule muss aus Angst vor der Verbreitung des Coronavirus zusperren, dafür werden die Kinder eben über E-Learning unterrichtet. In der Praxis gestaltet sich dieses Vorhaben aber alles andere als einfach: Denn einerseits müssen Eltern jetzt mehrere Jobs auf einmal bewältigen -neben dem oft anstrengenden Homeoffice sind sie Aushilfslehrer, Koch, Reinigungskraft, Mentalcoach und Fitnesstrainer ihrer Töchter und Söhne. Andererseits ist es längst nicht so, als ob jedes Kind erstklassigen Zugang zum Internet hätte. Wir glauben oft, unsere Gesellschaft wäre schon super digital, alle hätten unzählige smarte Geräte bei sich zu Hause stehen.
Aber in der Realität zeigt sich: Auch das Ausmaß der Digitalisierung ist eine Klassenfrage. Schon länger bieten karitative Einrichtungen technische Unterstützung an. In normalen Zeiten betreibt die Caritas Wien Lerncafés - 360 Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien bekommen dort in ihrer Freizeit Unterstützung, Ehrenamtliche gehen mit ihnen den Stoff durch, die Kinder können Unterrichtsmaterialien ausdrucken.
Als die Schulen geschlossen wurden, hat die Caritas im Eiltempo die Lerncafés in Ferncafés umgewandelt. Ab nun wird versucht, per Telefon oder digital mit den Kids oder ihren Eltern Kontakt aufzunehmen und sie aus der Ferne zu unterstützen. Das ist eine immense Herausforderung: Telekommunikation ist selbst im 21. Jahrhundert für manche Familien ein Luxusgut. Da gibt es oftmals keinen Laptop, keinen Internetzugang, keinen Drucker, in vielen Fällen gibt es nicht einmal einen Schreibtisch. Bildungsforscher warnen schon seit Jahren vor einem "digital divide" zwischen Schülern aus ärmeren und reicheren Familien. "Viele Kinder leben in Wohnungen, wo zum Beispiel vier Personen auf 50 Quadratmetern eng beisammen wohnen. Und natürlich mögen manche einwerfen, dass all die Jugendlichen ja Smartphones haben. Stimmt, in vielen Fällen haben die Teenager ein Handy, aber kein Guthaben, zu Hause gibt es oft kein Internet.
Normalerweise gehen sie im öffentlichen Raum zu offenen WLANs und loggen sich dort ein. Das können diese Jugendlichen derzeit nicht, und sie sind noch mehr sozial abgeschnitten als die anderen, weil sie sich derzeit nicht einmal richtig mit den Klassenkollegen austauschen können", sagt Martina Polleres-Hyll, Leiterin der Wiener Lerncafés. Sie selbst kennt die Mühen des Homeschoolings, hat einen 17-jährigen Sohn, eine zweijährige Tochter, um die sie sich und ihr Mann derzeit zusätzlich zum Homeoffice kümmern. "Wir selbst sind schon permanent am Anschlag - aber das sind Luxusprobleme verglichen mit dem, wie es sozial benachteiligten Familien derzeit geht." Was kann man also tun?
Erstens: Organisationen wie der Caritas kann man spenden - Geld oder auch Hardware. Computer und Tablets werden derzeit dringend benötigt. Und es gibt neben bekannten karitativen Einrichtungen ebenfalls eine neue Initiative, die in Zeiten der Corona-Krise betroffene Kinder unterstützen will: Unter computer-fuer-alle.at können sich Menschen melden, die ein funktionstüchtiges Gerät übrig haben. Auch Schulen aus ganz Österreich können sich dorthin wenden, wenn sie Geräte benötigen.
Zweitens kann man sein drahtloses Internet mit Nachbarn teilen. In vielen Häusern hängen bereits Zettel, auf denen Menschen anbieten, für ältere oder immungeschwächte Mitbewohner einkaufen zu gehen. Dort lässt sich zusätzlich vermerken, dass man bei Bedarf Zugang zum WLAN bietet.
Drittens: Ab September brauchen die Lerncafés (die hoffentlich dann keine Ferncafés mehr sind) wohl wieder ehrenamtliche Mitarbeiter. In diesem Fall muss man kein Geld und keine Hardware beisteuern, sondern kann mit eigener Zeit und eigenem Wissen helfen. Die Corona-Epidemie ist nicht schuld daran, dass es Klassenunterschiede gibt, sie macht diese nur noch sichtbarer. Das könnten wir uns übrigens auch für die Zeit nach der Corona-Krise merken: Dass es da draußen Kinder gibt, die es nicht so leicht haben, für die der Zugang zu höherer Bildung als auch zum Internet deutlich schwerer ist als für viele von uns.
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