Über die Wichtigkeit des Abschaltens
Wir befinden uns in einer Situation, die eigentlich niemand ein weiteres Mal erleben wollte: Schon wieder sitzen wir im Lockdown. Ich habe in den vergangenen Wochen viel Kritik geübt - an politisch Verantwortlichen, die nicht rechtzeitig die notwendigen Schritte setzten; an Falschmeldungen, die die Impfskepsis befeuern. Die Situation ist aufreibend. Vor allem weil Menschen sterben, deren Tod mit einer Impfung zu verhindern gewesen wäre. Aber ich will aktuell nicht meinen Frust loswerden - sondern im Gegenteil: Ich will in dieser anstrengenden Phase dafür plädieren, dass wir uns genügend Freiräume und Erholungsphasen einräumen.
Schon im zweiten Lockdown schrieb ich in dieser Kolumne: "Wir Internetnutzer:innen sind manchmal wie das Kaninchen vor der Schlange: Wir sind fixiert auf das, was uns Angst oder wütend macht. Gerade in unbehaglichen Zeiten kann man stundenlang, tagelang auf die Bildschirme schauen, ständig in der Erwartung, eine weitere schlechte Nachricht in den Social-Media-Feeds oder den Online-Medien zu finden. In den USA wird diese masochistische Praktik mittlerweile Doomscrolling genannt. Die Gefahr ist bei vielen (inklusive mir), dass wir in belastenden Zeiten Doomscrolling betreiben, also unentwegt an den Geräten kleben, und dass wir auch gedanklich ständig Corona mit uns herumtragen."Daher zwei Empfehlungen:
1. Seien Sie gut informiert, verfolgen Sie seriöse Nachrichten - aber achten Sie auch darauf, sich jeden Tag Pausen zu gönnen, in denen Sie keine Nachrichten oder Social-Media-Posts konsumieren und auch keine Gespräche über Corona führen. Durchlüften ist wichtig - und zwar nicht nur physisch, sondern auch gedanklich.
2. Es gibt ein Buch, das beim geistigen Durchlüften hilft. Die US-Amerikanerin Jenny Odell hat "Nichts tun" 2019 verfasst - also vor der Pandemie. Sie beschreibt, wie soziale Medien einen Zustand der Aufgeregtheit herstellen. Sie plädiert nicht wirklich fürs Nichtstun, sondern dafür, dass wir unserer unmittelbaren Umgebung mehr Aufmerksamkeit schenken. Für Odell ist zum Beispiel das Vogelbeobachten eine Aktivität, bei der sie innehält und den Moment (ohne Ablenkung) wahrnimmt.
Für den jetzigen Lockdown nehme ich mir vor, neben all dem Frustrierenden mir selbst genug Pausen zu gönnen - Musik hören, spazieren gehen, einen Roman lesen. Denn diese Pausen brauchen wir, um uns dann wieder dem Ernst der Situation stellen zu können.