Ingrid Brodnig
#brodnig

#brodnig: Wie hyperaktive Profile die Debatte verzerren

Eine neue Untersuchung zeigt: Eine winzige Minderheit postet überdurchschnittlich viel auf Facebook - und streut vielfach Falschmeldungen und Hassbotschaften ein.

Drucken

Schriftgröße

Viele Menschen nutzen zwar Facebook, sind dort aber kaum aktiv - sie posten vielleicht ab und zu Geburtstagsglückwünsche oder verteilen hier und dort ein paar Likes. Das heißt, viele sind eher stille Mitlesende als laut Diskutierende. Daneben gibt es jedoch sogenannte hyperaktive Nutzer:innen. In Auswertungen fällt immer wieder auf, dass eine kleine Anzahl von Accounts viel Zeit auf der sozialen Plattform zu verbringen scheint, viel kommentiert, likt, Inhalte teilt - und damit dann überraschend stark die Facebook-Debatte dominiert.
Das zeigte sich schon im Nationalratswahlkampf 2017. Damals hat die Online-Redaktion mokant.at rund 40 Facebook-Sites mit politischen Inhalten im Wahlkampf untersucht und insgesamt 2,9 Millionen Facebook-Kommentare von Nutzer:innen gesammelt. Es stellte sich heraus: 8900 Menschen hatten die Hälfte aller Kommentare verfasst. Eine winzige Minderheit lieferte also einen großen Teil der Debattenbeiträge.

In den USA gibt es nun eine weitere und ebenfalls interessante Auswertung: Der Politikwissenschafter Matthew Hindman und Kollegen haben jene 500 US-amerikanischen Facebook-Sites über die Dauer von zwei Monaten hinweg untersucht, die am meisten Interaktion (also etwa Likes, Kommentare, Shares) erhalten. Überdies wurden Millionen von Postings in den mitgliederstärksten öffentlichen Facebook-Gruppen in den USA analysiert, die im Lauf von zwei Wochen gepostet worden waren. So sammelten die Forschenden Daten über das Nutzungsverhalten von 52 Millionen Facebook-Profilen, die auf diesen Sites oder in diesen Gruppen aktiv waren. Hier tauchten ebenfalls hyperaktive Profile auf. Das aktivste Prozent aller Nutzer:innen war für 35 Prozent - also ein gutes Drittel - aller Interaktionen verantwortlich. Einfach gesagt: Eine winzige Minderheit sorgte für einen großen Teil der Kommentare, Likes, Shares etc.

Die Forscher sprechen dabei von "hyper-influental users". Im Magazin "The Atlantic" haben sie ihre Ergebnisse erstmals vorgestellt, sie werteten auch ein kleineres Sample dieser hypereinflussreichen Nutzer:innen näher aus. In vielen Fällen verbreiteten die untersuchten Profile Falschmeldungen, rassistische, sexistische, homophobe und antisemitische Inhalte, publizierten Gewaltfantasien oder posteten in einer spamartigen Weise wiederholt dieselben Kommentare. Einige zeigten auch eine Kombination mehrerer dieser Verhaltensmuster. Es fiel auf, dass viele hyperaktive Accounts besonders aggressiv auftreten. Natürlich heißt das nicht automatisch, dass alle Menschen, die viel Zeit auf Facebook verbringen und gerne diskutieren, derartige Umgangsformen zeigen. Man findet zum Glück auch online aktive Menschen, die freundlich oder sachlich sind. Aber anscheinend gibt es diesen speziellen hyperaktiven Typ, der überdurchschnittlich aktiv und auch aggressiv in der Tonalität ist.

Die Gefahr besteht, dass soziale Medien ein Zerrspiegel sind. Wenn man online bei Diskussionen mitliest, denkt man sich vielleicht manchmal: Arg, so denkt die Bevölkerung. Aber Vorsicht! Was in Online-Foren oder auf sozialen Medien gepostet wird, ist eben nicht unbedingt ein repräsentatives Abbild der Bevölkerung. Man muss davon ausgehen, dass manche Menschen überdurchschnittlich mitteilungsfreudig sind. Außerdem lässt sich oft beobachten, dass gerade wütende beziehungsweise auch sehr überzeugte Personen besonders viel posten. Was ich online lese, ist also demnach nicht die Meinung des Querschnitts der Bevölkerung. Die Gefahr dabei ist, dass aggressive Accounts ein so negatives Diskussionsklima schaffen, dass viele andere gar nicht mehr mitdiskutieren wollen.

Die Forschenden werfen Facebook übrigens vor, zu wenig gegen hyperaktive und hyperaggressive Accounts zu machen: Konkret haben Hindman und seine Kollegen 150 Accounts betrachtet, die in ihren Augen besonders deutlich "abusive behavior", also ein unzulässiges Verhalten, auf Facebook zeigten. Ein Jahr nach der Datenerfassung hatte Facebook nur sieben dieser 150 Accounts gesperrt - was auf eine nicht ausreichende Moderation bei Facebook hindeutet. "Wenn die Lage in den USA derart schlecht ist, wo Facebooks Moderationsaufwand am größten ist, dann ist es wahrscheinlich anderswo noch viel schlimmer", notieren Hindman und Kollegen in "The Atlantic". Sie fordern, dass die Moderationsteams von Facebook einen genaueren Blick auf hyperaktive Accounts werfen und prüfen sollten, ob diese gegen Regeln verstoßen. In meinen Augen wäre das ein guter Plan.

Das Tolle am Internet ist ja, dass jede:r leichter die Stimme erheben kann. Es ist eine gute Sache, dass Bürger:innen online Zugang zu öffentlichen Arenen bekommen. Die allermeisten Menschen gehen verantwortungsvoll mit dieser Möglichkeit um. Allerdings gibt es eine winzige Minderheit, die mit Quantität und Aggressivität äußerst stark in Erscheinung tritt. Hier sollten wir als Gesellschaft genau hinschauen. Unsere demokratische Debatte baut nicht nur darauf auf, dass möglichst alle daran teilhaben können, sondern dass möglichst alle die Umgangsformen wahren und ein Mindestmaß an Respekt gegenüber anderen zeigen.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

war bis Dezember 2023 Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.