#brodnig: Wie wahr!
Der Duden spricht von Wahrheit, wenn eine "Aussage mit der Sache, über die sie gemacht wird", übereinstimmt. Wahr ist also eine Behauptung, wenn sie der Realität entspricht. Wichtig dabei: Was real ist, ist keine Ansichtssache -oder wie es der Autor Philip K. Dick formulierte: "Realität ist das, was nicht weggeht, auch wenn du nicht mehr daran glaubst."
Was ist "Wahrheit"?
Das Problem ist aber, dass das Wort "Wahrheit" oft für faktenferne Behauptungen missbraucht wird. Gerade in sozialen Medien lautet meine Faustregel: Je vehementer jemand Wahrheit verspricht, desto größer die Chance, dass es sich um Spekulation, um Falschmeldungen, auch um Verschwörungstheorien handelt. Nur leider ist es ein Trick, Menschen "Wahrheit" und somit Gewissheit zu versprechen. Unsere Welt erscheint oft unüberschaubar, das Coronavirus verstärkt die Unsicherheit auch noch. Mit dem eindrucksvollen Wort "Wahrheit" wird suggeriert, es gäbe eine eindeutig ausmachbare Erklärung, oft auch einen Schuldigen ("die Juden" oder Bill Gates). So absurd solche Thesen klingen mögen: Das Gefühl zu haben, Dinge zu durchblicken, fühlt sich womöglich angenehmer an, als Unsicherheit und Kontrollverlust zu erleben, aber kein Ventil dafür zu finden. Je mehr man einen absolutistischen Anspruch auf Wahrheit erhebt, desto mehr dient das auch als Schutzschild gegen Widerspruch. Dann werden Fakten weggewischt, mit der Behauptung, Journalisten oder Wissenschafter würden die "Wahrheit unterdrücken" wollen. Es ist geradezu paradox, dass ausgerechnet im Namen der Wahrheit die wichtige Frage ausgeblendet wird, ob eine Aussage mit der Realität im Einklang steht.
Wahr ist: Manches ist wissenschaftlich belegbar - etwa dass Viren existieren, auch wenn das manche anzweifeln. Manches wissen wir nicht und werden wir womöglich nie wissen. Schlimme Weltereignisse wie die aktuelle Pandemie können passieren, ohne dass es eine vollständige Erklärung dafür gibt. Gerne wird Ingeborg Bachmann zitiert: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." Ich möchte ergänzen: Dem Menschen muss auch zumutbar sein, dass in manchen Punkten keine klar ersichtliche Wahrheit existiert.
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