Die Welt im Rücken: Meyerhoff bei den Proben für seine nächste Rolle -
einem Schriftsteller mit zerfetzter Psyche
Burgtheater-Star Meyerhoff: "Ich bin nahezu hanebüchen normal“

Joachim Meyerhoff: "Ich bin nahezu hanebüchen normal“

Burgtheater-Star Joachim Meyerhoff taucht in die Welt eines bipolaren Schriftstellers und erzählt vom Aufwachsen in der Psychiatrie und der Kunst, nicht durchzudrehen.

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Die Garderobe im Akademietheater, in der das Interview mit Joachim Meyerhoff stattfindet, ist in ihrer schmucklosen 1970er-Jahre-Sachlichkeit ein Ambiente von brutaler Kargheit. Meyerhoff, der heuer 50 wird, füllt sie trotzdem spielend aus. Die Proben für die Dramatisierung von Thomas Melles Krankheitsbericht "Die Welt im Rücken“ haben länger als geplant gedauert. Er entschuldigt sich. Meyerhoffs unprätentiöse Bescheidenheit wirkt echt und einnehmend. Andererseits ist der Mann Schauspieler, und zwar einer der besten seiner Generation - einem wie ihm würde man wahrscheinlich auch locker auf den Leim gehen.

INTERVIEW: ANGELIKA HAGER

profil: Sie stecken derzeit in den Probenarbeiten für die Dramatisierung von Thomas Melles autobiografischem Roman "Die Welt im Rücken“. Wie schwierig ist Ihre Rolle? Joachim Meyerhoff: Ich habe sicher nicht vor, dabei die große bipolare Nummer zu spielen, wie man sie aus Hollywoodfilmen kennt. Hier geht es um viel mehr als nur um eine Krankengeschichte. Der Text hat eine derart sogartige Wirkung, als würde in einigen Passagen das erkrankte Organ selbst zu einem sprechen. Er haut einen um - in seiner Genauigkeit, in seiner Mischung der Genres, in der Art, wie Melle Sprache dreht und wendet, wie er ein Konglomerat seiner inneren Stimmen erschafft.

profil: Ich fand das Buch manchmal so schmerzhaft, dass ich es kaum ertragen konnte. Meyerhoff: Mir ging es nicht so. Melles Schonungslosigkeit ist immens, aber ganz bewusst gestaltet. Dass dieses Buch überhaupt existiert, ist von geradezu utopischer Schönheit und macht auch Hoffnung. Es hat etwas sehr Tröstliches, dass jemand, der in Manien schießt, Depressionen abrutscht und seinen fragilen Zustand mit Medikamenten zu stabilisieren sucht, diesen Zuständen etwas Gefasstes entgegenzusetzen vermag - etwas, das dann sicher zwischen zwei Buchdeckeln wohnt.

profil: Was halten Sie vom Mythos und Klischee des Künstlers, der seine Manien in geniale Werke umsetzen kann? Meyerhoff: Der Wahnsinn wird in diesem Kontext oft verklärt, zu einem heiligen Zustand stilisiert. Ich bin überzeugt davon, dass auch Melle gern weniger genial wäre, wenn er auf diese Eskalationen hätte verzichten können.

profil: Ist das Theater der ideale Ort für Menschen, die von der Norm abweichen? Meyerhoff: Schauspieler und Schauspielerinnen, die, vorsichtig formuliert, gewisse psychische Exaltiertheiten mitbringen, können sich an diesem geschützten Ort natürlich ganz anders ausleben als ähnlich geartete Menschen in anderen Berufen.

Natürlich braucht man eine gewisse Extrovertiertheit und eine Portion Narzissmus, um sich überhaupt auf die Bühne zu stellen.

profil: Das lässt den Umkehrschluss zu, dass eine Wurstverkäuferin mit ähnlichen Befindlichkeiten, die sie aber nicht ausleben kann, wahrscheinlich irgendwann durchdrehen muss. Meyerhoff: Dazu weiß ich eindeutig zu wenig über Wurstverkäuferinnen. Aber um auf das Theater zurückzukommen: Natürlich braucht man eine gewisse Extrovertiertheit und eine Portion Narzissmus, um sich überhaupt auf die Bühne zu stellen.

profil: Wie normal oder verrückt sind Sie? Meyerhoff: Ich bin nahezu hanebüchen normal. Nach der Lektüre des Buchs von Melle weiß ich aber genauer, wo die Schleuse liegt, durch die Menschen in unkontrollierte Welten hinausgeschwemmt werden - wo es richtig existenzbedrohend werden kann und man tatsächlich nicht mehr Herr über seine Biografie ist.

profil: In Ihrer Erinnerungstrilogie erzählen Sie immer wieder, wie Sie als Kind von Wellen des Jähzorns übermannt wurden und regelrecht ausrasteten. Kommt das noch manchmal vor? Meyerhoff: Ich muss Ihnen dazu eine bittere Antwort geben: Die Trauer über die frühen Verluste meines Bruders und meines Vaters hat meinem Zorn den Stecker gezogen. Da kam eine gewisse Lethargie über mich. Aber es gibt den Zorn noch. Manchmal taucht er plötzlich auf wie ein schreckliches U-Boot.

profil: Würden Sie in solchen Zuständen auch jemanden schlagen? Meyerhoff: Nein, das natürlich nicht. Ich schreie nur und kann gar nicht mehr aufhören. Ich bin regelrecht gefangen in meinem Geschrei und schieße in eine einzige Richtung, bis ich irgendwann wieder vom Himmel falle. Das ist aber sehr selten und natürlich enorm anstrengend für die Mitmenschen.

profil: Ist das ein blinder Zorn, bei dem man nicht mehr Herr seiner selbst ist? Meyerhoff: Nein, das ist merkwürdigerweise ein total kontrollierter Vorgang des Außer-sich-Seins. Das war schon in meiner Kindheit so. Ich wusste immer, jetzt kommt die Welle. Ich kann in solchen Zuständen durchaus überlegt sehr böse und gemein sein. Zwar habe ich prinzipiell ein Bild eines zufriedenen Menschen von mir, aber irgendwo da drinnen scheint auch etwas zu schlummern, was noch nicht erlöst ist.

Es gibt für uns alle Gründe sonder Zahl, zornig, traurig oder verzweifelt zu sein. Aber man muss wegdrücken, ausblenden und verdrängen können, um nicht durchzudrehen.

profil: Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen generell aggressiver werden? Meyerhoff: Das halte ich für pure Verklärung. Die Menschen waren vor zehn Jahren nicht weniger aggressiv. Es gibt für uns alle Gründe sonder Zahl, zornig, traurig oder verzweifelt zu sein. Aber man muss wegdrücken, ausblenden und verdrängen können, um nicht durchzudrehen. Nur dann kommt es zu jener Grundsedierung, die Normalität heißt. Bei der Arbeit an diesem Theatertext merke ich, dass das Wegschießen in Manien oder Depressionen vor allem damit zu tun hat, dass Schutzmechanismen abbröckeln. Das Korsett, das das wilde, unberechenbare Hirn schützt und stützt, ist dann einfach nicht mehr da. Jede biografische Kontinuität, nach der sich der Mensch doch so sehr sehnt, wird in solchen Zuständen zerfetzt.

profil: Was genau meinen Sie mit Kontinuität? Meyerhoff: Schule, Studium, Arbeit, Ehe, Kinder. Ich selbst bin da ganz bürgerlich: Diese Strukturen geben mir Halt, ohne sie wäre ich regelrecht verloren.

profil: Die Menschen rennen heute scharenweise in die Psychotherapie. Was halten Sie davon? Meyerhoff: Viele basteln sich ihren kleinen Beschädigungsmythos, der dann den Kern ihrer Biografie verkörpert. Wenn jemand tatsächlich darunter leidet und 140 Euro für eine Stunde zahlt, muss man das aber auch anerkennen und entsprechend ernst nehmen.

profil: Ihr Vater war Psychiater und Direktor einer psychiatrischen Anstalt, in der Ihre Familie auch lange Zeit wohnte. Am Ende des zweiten Bands Ihrer Erinnerungen schreiben Sie, wie sehr Sie die "Deutlichkeit“ der Patienten vermissten. Meyerhoff: Ich fühlte mich total zu Hause in diesem Paradies der Andersartigkeit. Ich habe die Menschen dort aus der Perspektive des Kinds betrachtet - ungefiltert und unmoralisch. Da herrschten ständig Sensation und Spektakel. Ich fühlte mich wie im Dauerzirkus und nahm natürlich nicht wahr, dass die Psychiatrie auch ein Höllenort war und bis heute ist. Zu Zeiten meines Vaters war das eine Anstalt mit bis zu 1000 Patienten. Man sah dort alles rund um die Uhr, das fand ich toll. Ohne das nächtliche Gebrüll der Patienten konnte ich später lange Zeit nicht einschlafen.

profil: Haben Sie von den Ver- und Entrückten etwas gelernt? Meyerhoff: Überhaupt nicht. Meine Faszination für diese Menschen macht mich 0,0 Prozent zu einem kompetenten Berichterstatter für psychiatrische Erkrankungen. Es wäre auch unzulässig, zu behaupten, dass der Weg aus der Gummizelle mich linear ins Burgtheater führte. Mir wurde ja erst mit 30 überhaupt bewusst, dass es doch sehr eigenartig für ein Kind ist, in einer psychiatrischen Anstalt aufzuwachsen.

profil: Trotz der Radikalität des Orts scheint Ihre Kindheit sehr glücklich gewesen zu sein. Der Vater wirkte nahezu beneidenswert verständnisvoll. Meyerhoff: Mein Vater war durch den Geist der 1970er-Jahre geprägt, auch in seiner Arbeit als Psychiater. Ich war ein hyperaktives Kind. Doch damals existierte die Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, Anm.) noch nicht. Ich habe keinerlei Medikamente bekommen und auch irgendwie überlebt.

Es ist mir bis heute ein Rätsel, warum ich Schauspieler geworden bin.

profil: Heute wird ADHS nachweislich überdiagnostiziert. Meyerhoff: Durchaus möglich, dass da jetzt ein Lawineneffekt eingetreten ist. Aber für manche Eltern, die wahrscheinlich total überfordert sind, kann eine solche Diagnose wohl auch erleichternd wirken.

profil: Sie sind extrem erfolgreich als Schauspieler, haben den Beruf aber regelrecht verachtet, als Sie auf die Schauspielschule gingen. Meyerhoff: Es ist mir bis heute ein Rätsel, warum ich Schauspieler geworden bin. Und ich sage das ohne jede Koketterie. Mir geht allein schon die Berufsbezeichnung auf die Nerven. Wenn mich wer fragt, was ich mache, würde ich mich nicht als Schauspieler bezeichnen.

profil: Was stört Sie denn am Schauspielersein? Ist es die Fremdbestimmtheit? Meyerhoff: Diese total selbstverschuldete Unfreiheit. Seit über 30 Jahren muss ich einen Urlaubsschein ausfüllen, wenn ich einmal einen Tag wegbleiben möchte. Aber das Gute an meinem neuen Beruf als Schriftsteller ist, dass ich jetzt Ausweichmöglichkeiten habe und ich sowohl am Theater als auch im Verlag sagen kann, dass ich eigentlich etwas ganz anderes mache. Ich fühle mich aber weder als Schriftsteller noch als Schauspieler.

profil: Was würde passen? Meyerhoff: Ich wäre gern etwas anderes, aber ich weiß tatsächlich nicht, was.

profil: Das ist schwer nachzuvollziehen. Freuen Sie sich denn gar nicht über den immensen Erfolg Ihrer Bücher? Meyerhoff: Doch, ich freue mich wahnsinnig. Ich schreibe auch wirklich mit Genuss. Ich spiele die Premiere von "Welt im Rücken“ und muss danach sofort wieder an den Schreibtisch.

profil: Wie viel von Ihrem Leben passt denn noch zwischen zwei Buchdeckel? Meyerhoff: Das wird jetzt tatsächlich schwierig, denn die Menschen aus den nächsten Lebensphasen sind alle noch sehr lebendig und könnten sich zur Wehr setzen. Ich habe mir aber überlegt, vielleicht doch noch einen fünften und letzten Teil zu schreiben - der zwar als Autobiografie daherkommt, aber tatsächlich völlig frei erfunden ist. Das wäre natürlich Betrug am Leser, aber sehr verlockend.

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 9 vom 27.2.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort