Christian Tschida: Winzer, Teilzeit-Rockstar, Prophet
Der Illmitzer Winzer Christian Tschida ist die Lichtgestalt einer neuen, coolen Weinwelt. Sturheit und Kunstverständnis haben ihn so weit gebracht. Aber wie geht es dem Helden im eigenen Land?
Das Land ist flach und der Horizont weit im Seewinkel, und trotzdem schafft es nicht jeder hier, darüber hinaus zu blicken. Christian Tschida, Winzer in Illmitz, gelingt diese Übung erstaunlich gut und regelmäßig, und er schaut nicht nur, er fährt auch hin, zwecks anderer Perspektiven oder wenigstens guter Anekdoten. Von seinen Expeditionen ins Darüberhinaus bringt er verlässlich alle möglichen Erfahrungen mit und meistens auch gute Geschichten. Aus dem Small Talk vor dem Interviewtermin: „Letzte Woche war ich in L.A. und hab mit dem Action Bronson Armdrücken müssen. So geht’s mir.“
So geht es ihm: auf Du und Du mit den Opinion Leaders der internationalen Kulinarik-Szene (Herr Bronson stammt aus New York, ist hauptberuflich Rapper, aber auch gelernter Koch und seit Jahren ein überaus einflussreicher Gastro-Influencer). Sehr oft ist Mr. Tschida aber auch als Meinungsführer in eigener Sache unterwegs, was man zum Beispiel sehen kann, wenn man sich die Bilder von der New Yorker Ausgabe der ausgesprochen hippen Weinmesse „Karakterre“ anschaut. Auf diesen Bildern sieht man CT (sprich: Si Ti) im Kreis seiner Jünger, angestarrt bis angehimmelt, im zeitlosen Ambiente des Rockefeller Center oder in New Yorker Wein-Hotspots wie der Neo-Pizzeria OPS. Christian Tschida ist – in der derzeit durchaus tonangebenden Natural-Wine-Szene – ein Superstar. Im Kopenhagener Noma waren seine Weine schon in der Menübegleitung, als in Österreich noch niemand „Maischestandzeit“* buchstabieren geschweige denn erklären konnte. Weinjournalisten aus London, Weinhändler aus Tokio pilgern zu Tschida-san nach Illmitz – und lassen dafür so manches und manchen links liegen, was im Ort auch nicht immer für gute Laune sorgt.
Davon ist heute zum Glück nichts zu bemerken, in Illmitz wird ein Feuerwehrfest aufgebaut, in der Seegasse steht eine Tür offen, dahinter riecht es nach Mittagessen. Christian Tschida empfängt im Vintage-Pink-Floyd-Leiberl. Man wird keine Bilder von ihm in Kellerschürze finden und auch keine bunten Werbeprospekte in seinem Wohnzimmer. Dort hängen großformatige Grafiken und Pop-Art-Gemälde, und Tschida erzählt von „dem neuesten Blödsinn“, der ihm in Los Angeles untergekommen sei: „Die brunchen dort den ganzen Tag.“
Reisen bildet nämlich auch ex negativo. „Bei meinen Trips hab ich in Wahrheit gelernt, wie ich es nicht machen will“, sagt Christian Tschida (der diese Erfahrung allerdings auch in Österreich schon gemacht hat). „Einmal waren wir in Georgien und haben uns angeschaut, wie sie dort mit Amphoren arbeiten. Da hab ich zum ersten Mal verstanden – und musste dafür sehr weit fahren –, dass Wein zu machen keine rein technische Arbeit ist, sondern im besten Sinne eine kulturelle Errungenschaft. Diese Tongefäße oder Qvevris haben in Georgien mehrere Tausend Jahre Geschichte, die brauche ich nicht mitnehmen und in meinem burgenländischen Presshaus aufstellen. Ich bin also mit leeren Händen zurückgekommen, dafür aber mit dieser Erkenntnis. Und mit der Idee, mich auf die Suche zu begeben: Was ist unser Erbe in Österreich, was ist unsere Tradition im Burgenland?“
In seiner Kolumne im neuen, sehr zeitgeistigen Gastro- und Kulturmagazin „Popchop“ berichtet Tschida von seinen kulinarischen Erlebnissen in Tokio, Kopenhagen, New York. Sehr oft enden diese mit nachsperrstundlichen Besuchen in exquisiten Weinkellern oder „Sex Pistols in Konzertlautstärke“. Tschida ist ein Star in einer neuen Weinwelt, in der Weinkennertum nicht mehr viel mit Jahrgangs-Vertikalen von Wachauer Smaragd-Rieslingen oder Blindverkostungen von 1982er-Bordeaux zu tun hat, sondern mit einem popkulturell aufgeladenen, niederschwelligen Hedonismus.
Ein schönes Anschauungsbeispiel für diese Szene ist die erwähnte Weinmesse Karakterre, die dieser Tage in der Orangerie des Schlosses Esterházy in Eisenstadt tagte: Die Gäste sind tendenziell unter 40, tragen Baseballkappen und Oversize-Shirts, Sneaker und Unisexlook, sehen also eher aus wie Vernissagenbesucher als Weinverkoster. Die Szene ist divers (aber doch deutlich männerlastig) und naturverbunden (aber schon auch sehr urban geprägt). Man schätzt Kunst und Popmusik und ausgefallene Weinstile, organisiert Städtetrips um Restaurantbesuche herum, betreibt Podcasts und Instagram-Kanäle, Ästhetik ist wichtig in diesem Bereich, aber auch der „bewusste Konsum“.
Der steirische Sommelier Willi Schlögl, Wein-Podcaster und Betreiber der Berliner Weinbar „Freundschaft“, hat es im profil-Gespräch einmal so formuliert: „Natural Wine ist für viele Junge die Eintrittskarte in die Weinwelt. Er nimmt die Schwellenangst, die darin besteht, dass man sich eben nicht auskennt und nie aufholen kann, was sich der Schwiegervater über 20 Jahre an Weinwissen angetrunken hat. Beim Natural Wine hat ja am Anfang auch niemand gewusst: Wie soll das schmecken, wie darf das schmecken?“ Man startet, gemeinsam, bei null. Die neue Weinwelle hat zig Facetten, aber die große Gemeinsamkeit, dass es in der Szene niederschwelliger, „unkomplizierter“ zugeht. Hier werden zwar auch die Gläser der Waldviertler Edelmarke Zalto geschwenkt, aber die Farben sind bunter und die Aromen lauter.
MMA-Fighting ist ja eigentlich wie Weißweinmachen: Da geht es 1 zu 1, ohne Handschuhe, ohne Filter, da gibt’s nichts anderes. Der mit dem härteren Punch gewinnt. Ist das ein guter Vergleich? Oder ein Blödsinn? Keine Ahnung.“
Christian Tschida
Die Wiener Weinfachfrau Dorli Muhr macht nicht nur selbst – in ihrem Weingut am Spitzerberg in Prellenkirchen – international renommierte Weine, sie begleitet die Branche auch als Geschäftsführerin einer einschlägigen PR-Agentur seit vielen Jahren. Das veränderte Konsumverhalten jüngerer Weintrinker:innen kennt sie aus persönlicher Anschauung: „Meine Tochter ist jetzt 20, in dieser Generation wird definitiv weniger Alkohol konsumiert. Aber was getrunken wird, darf eine höhere Qualität haben, das leistet man sich dann. Dabei wird aber viel genauer auf die Persönlichkeit der Winzer, die Geschichte der Betriebe und die Nachhaltigkeit in der Produktion geschaut. Das passt natürlich zum Spirit der Naturwein-Szene.“ Muhr sieht das Aufblühen dieser Szene allerdings mit gemischten Gefühlen: „Natürlich ist es grundsätzlich positiv, wenn in der Weinwelt etwas passiert, wenn sich neue Emotionen, neue Stimmungen bilden. Ich sehe aber mit einer gewissen Sorge, dass hier unnötige Fronten gebildet werden, dass verschiedene Cliquen in Opposition stehen.“ In den 1990er-Jahren, als sich die österreichische Weinbranche nach dem Weinskandal 1985 neu erfand und zusammenraufte, „zogen alle am gleichen Strang. Wenn ein Winzer einen Preis gewann, freuten sich die anderen. Diesen Zusammenhalt vermisse ich heute ein bisschen.“ Den Aufstieg der neuen Bio-Welle vergleicht sie mit einem bekannten Schlapfen: „Birkenstock war vor 30 Jahren kein Schuh, mit dem man Stilbewusstsein demonstriert hätte. Heute tragen alle Models Birkenstock. Der Schuh ist der gleiche geblieben, aber die Kommunikation und die Konnotation haben sich verändert.“
Christian Tschidas Weine sind bestimmt keine üblichen Natural Wines. Sie sind zwar ungefiltert und naturbelassen, aber nicht besonders laut oder gar freaky. Allerdings passen sie sehr gut in diesen Kosmos, auch in ihrer Kommunikation. Sie heißen „Himmel auf Erden“, „Felsen“ oder „Laissez-faire“, tragen künstlerisch gestaltete Etiketten, etwa von dem Pop-Artist Mel Ramos, dem isländischen Maler Erró oder dem großen Alfred Hrdlicka. Christian Tschida sagt: „Wein ist in der Popkultur angekommen.“ Die Einschränkung folgt am Fuß: „Wir haben damit eher wenig Identifikationsbasis.“ Er mag vieles nicht, was diese Szene ausmacht, er mag die Poser nicht, die es bei den Konsumenten genauso gibt wie bei den Produzenten. Was für Foodies gilt, gilt auch für „Wine-ies“, und Letzteres klingt nicht nur auf Englisch ein bisschen nach einer Beleidigung: Manchen in der Szene mangelt es wirklich an der Selbstreflexion oder einfach nur an der nötigen Bescheidenheit. Andererseits: Gesteht Christian Tschida wenigstens zu, dass er selbst wie ein Popstar funktioniert? „Ich weiß nicht recht. Wenn mir wer sagt, ich lebe ein Rockstarleben, dann sag ich: Ja, aber vielleicht 20 Tage im Jahr. Den Rest verbringe ich im Weingarten. Ich bin also maximal ein Teilzeit-Rockstar.“
Allerdings blickt man an diesen Rockstartagen halt besonders weit über den Horizont, lernt Menschen kennen, die einen inspirieren, „und dann läuft es eigentlich aufs Selbe hinaus: Die wirklich interessanten Typen sind erstens immer sehr nette Menschen und haben zweitens immer einen Drang, etwas weiterzubringen.“ Und da hat Christian Tschida nun doch eine Identifikationsbasis. Einer dieser Typen, die ihm da vorschweben, heißt Marlon „Chito“ Vera, stammt aus Ecuador und ist ein erfolgreicher Mixed-Martial-Arts-Fighter. „Den kenn ich schon länger, er hat mich inspiriert to eat less speck and sausages. Das ist ein Supertyp. Und der normalste Mensch auf der Welt, der auch mal gern ein Glas Himmel auf Erden trinkt. MMA-Fighting ist ja eigentlich wie Weißweinmachen: Da geht es 1 zu 1, ohne Handschuhe, ohne Filter, da gibt’s nichts anderes. Der mit dem härteren Punch gewinnt. Ist das ein guter Vergleich? Oder ein Blödsinn? Keine Ahnung.“
Was der Vergleich sagen soll: Weißwein, wie ihn Christian Tschida versteht und macht – möglichst schonend, direkt abgepresst, ohne Intervention verarbeitet – zeigt weniger die Handschrift des Winzers, sondern den Abdruck der Natur: „Das ist ja kein Stil, den ich mir ausdenke. Das ist einfach der natürlichste Abdruck des Terroirs. Im optimalen Sinne ist unbehandelter Wein eine Abbildung und keine Kreation. Na, da werden wir jetzt am Freitagnachmittag auch noch philosophisch.“
Auf Christian Tschidas Website findet man keine Philosophie, aber auch keine blumigen Weinbeschreibungen oder Rebzeilen im herbstlichen Schräglicht, sondern ein schlichtes Standbild. Es zeigt die Rückseite einer Postkarte, offensichtlich aus Japan nach Illmitz geschickt und mit der schönen Botschaft versehen: „Danke for leading the way to the universe, which is totally out of this earth. By your wine, people can talk with the cosmos.“ Wer hat ihm diese berührende Post geschickt? „Na der Terry. Ein Japaner. Eine Ausnahmeerscheinung. Der ist um die Welt gereist und hat mit unglaublicher Hingabe verschiedene Bodentypen in berühmten Weingärten verkostet. So hat er vom Geschmack des Bodens Rückschlüsse auf Potenzial und Aroma des Weins gezogen. Solche Leute sind in der komischen Welt, in der wir leben, natürlich völlig deplatziert. Versteht keiner. Wenn du das hier jemand erzählst, sagt der: ‚Was ist das für ein Trottel, kostet den Boden!‘ Ja, deinen will er eh nicht kosten!“
Man sollte nicht vergessen, dass Christian Tschida immer noch in erster Linie Landwirt ist. Er verdankt seinen Erfolg nicht dem Schmähführen und auch nicht den Rockstar-Eskapaden, sondern sehr vielen Stunden sehr handwerklicher Arbeit im Burgenland. Er bewirtschaftet da rund 15 Hektar Rebfläche, selbstverständlich ohne Erntemaschinen. Er versteht nicht, wie jemand Wein machen kann und dafür nicht händisch arbeiten will. „Wenn du dir die Strukturen in Österreich anschaust, dann sind auch unsere größten Betriebe im internationalen Vergleich gerade einmal Boutique-Weingüter, und das, was wir hier machen, ist nach australischen oder kalifornischen Verhältnissen sowieso nur wie ein teures Hobby. Ich kapier nicht, warum es so verpönt ist, dass man sich bei der Arbeit schmutzig macht. Wollen die denn alle nur Generaldirektoren sein?“
Ich habe aufgehört zu glauben, dass ich irgendjemanden missionieren muss. Ich bin nicht Jesus, sondern Christian Tschida.
Christian Tschida hat (sprichwörtlich) Dreck unter den Fingernägeln und (nach eigenem Bekunden) ein ausgeprägtes Gespür fürs Naturwüchsige. „Ich glaube ja stark an Wiedergeburt, unter anderem war ich schon ein japanischer Tennō (Anm.: Herrscher oder Kaiser), aber eben auch ein Hirschkäfer im Wald. Darum verstehe ich die Pflanzen so gut. Hört sich das komisch an? Ich red nicht mit den Pflanzen, aber ich glaube zu verstehen, wie es ihnen geht. Ich hab ein sehr gutes Feeling für das, was da draußen wächst, vielleicht mehr als für die Menschen. An die hab ich mich erst gewöhnen müssen.“
Bei der an diesem Wochenende in der Wiener Hofburg abgehaltenen großen österreichischen Weinmesse VieVinum macht Tschida gemeinsam mit seinen burgenländischen Kollegen Roland Velich und Hannes Schuster auf das gemeinsame Projekt „Re-imagine Pannonia“ aufmerksam. Darin widmen sich die Winzer unter anderem auch der „Legacy“ ihres Bundeslands, also der Frage, ob in dieser Weinbauregion nun hoch konzentrierte Merlots eher zu Hause sind als schlanke Blaufränkische oder charakterstarke Welschrieslinge, und die Antwort schwingt in der Frage schon ein bisschen mit.
Wie aber ist nun wirklich sein Renommee in der Nachbarschaft? Die alte Geschichte, dass der Held erst einmal nach Amerika gehen und dort Erfolg haben muss, bis er im eigenen Land, also vor allem im eigenen Bundesland akzeptiert wird, kennt Christian Tschida sehr gut. „Dann sagen sie: Das ist ja eh einer von uns, das ist ja unser Chrissi.“ Wobei: „Respekt kriegst du, aber Akzeptanz und Verständnis eher nicht. Aber das tut mir emotional nicht weh. Ich habe aufgehört zu glauben, dass ich irgendjemanden missionieren muss. Ich bin nicht Jesus, sondern Christian Tschida. Die, die mich finden wollen, die finden mich, und das sind weltweit Gott sei Dank sehr viele. Es gibt in Österreich wahrscheinlich an die 10.000 Weinbauern. Wenn dir das, was ich mache, nicht taugt, dann such dir einen anderen. Dann musst du mich ja nicht sekkieren.“