Christiane Hörbiger: Das Salonweib
„Beim Leiden darfst nicht lässig sein und mit einer 08/15-Gestik drübergehen", sagt sie, „da wird vor der Kamera bar bezahlt, sonst kaufen es einem die Leute nicht ab.” Denn schließlich könne man ja nicht jedem Zuschauer so etwas ins Ohr flüstern wie: „Bitte, es ist nur eine österreichische Serie. Wir haben weniger Zeit und schon gar nicht soviel Geld wie die Amerikaner.” Ich hatte sie in einem profil-Interview auf jene Szene angesprochen, in der ihr in der langjährigen ARD und ORF- Serie „Julia – Eine ungewöhnliche Frau” in einem Krankenhausgang die Nachricht vom Unfalltod ihrer Tochter überbracht wird. Wenn ihr der Schmerz des Verlusts über das Gesicht donnert, musste man an den Satz denken, den die Kritikerlegende Alfred Kerr einst über ihre Mutter Paula Wessely anlässlich ihrer Darstellung von Hauptmanns „Rose Bernd” in Berlin schrieb: „Heimkehr zum tiefen Abgrund der Alltäglichkeit.”
Vor dem Dreh hatte die Hörbiger im Fernsehen die Gesichter von schmerzverzerrten Frauen im Krieg studiert. Das schlechte Gewissen, dadurch eine Art Missbrauch zu betreiben, blendete sie aus, es ging um die Authentizität. „Der Beruf”, wie sie die Schauspielerei nannte, überschattete alles: „In der Probenzeit knapp vor einer Premiere hätte neben uns eine Bombe einschlagen können, und wir hätten es nicht einmal gemerkt.” Die letzten Jahre müssen für sie hart gewesen sein, hatte sie doch 2016 ihren Lebensgefährten (seit über 30 Jahren) Gerhard Tötschinger ganz plötzlich verloren, über den sie damals sagte: „Er wärmt mich von Kopf bis Fuss.” Sechs Tage nach seinem Tod wäre ursprünglich die Hochzeit geplant gewesen.
„Wir haben die stärksten Weiber”, sagte ihr Sohn Sascha Bigler, heute 55, Regisseur, der lange in Los Angeles lebte, damals in einem Telefonat „und sie haben vor allem keinen Zweifel darüber gelassen, wie ernst man den Beruf nehmen muss.” Er meinte damit die drei Schwestern Christiane und die Tanten Maresa und Elisabeth Orth ( sie hatte den Namen der Großmutter angenommen), die alle drei ihre Buben sehr bald allein und dabei mit voller Kraft auf der Bühne und vor der Kamera stehend, groß gezogen hatten. Um dem ständigen Vergleich, mit der Mutter Paula Wessely zu entgehen, war Christiane schon in jungen Jahren aus Wien nach Heidelberg, Salzburg und später Zürich geflüchtet, wo sie ab 1967 dem Ensemble des dortigen Schauspielhauses angehörte. Verletzt worden war sie vor allem in ihrer Anfangszeit im Überfluss. Die Mutter, von der sie sich „so sehnlichst gewünscht hätte, dass sie mich mit dem Jausenbrot in der Hand vom 38er abholt”, suchte ihre Mittlere vor der Schauspielerei zu bewahren. Als ihr der Vater mit 17 die erste Filmrolle zuschummelte, ohrfeigte die Frau Mama ihr Ego: „Damit du's gleich weißt, schön bist nicht, du musst doppelt so gut sein."
Ihr Burgtheaterdebut in „Nathan der Weise” als Recha 1959 entrang dem damaligen „Kurier”-Kritiker Blaha nicht mehr als die Charakterisierung: „Die unbegabte Tochter der Wessely.” Ursprünglich hatten die Eltern Paula Wessely und Attila Hörbiger für ihre Mittlere eine Zuckerbäckerinnen-Karriere vorgesehen; glücklicherweise ging die dafür auserwählte Konditorei bald in Konkurs. Der plötzliche Herztod ihres zweiten Mannes Rolf Bigler (nach dem Regisseur Wolfgang Glück), einem Schweizer Journalisten, riss sie 1978 brutal aus der Zürcher Idylle zwischen großen Klassikern und wohliger Kleinfamilie. Anfangs probierte sie in Whisky, um ihre Einsamkeit zu narkotisieren, dann fiel sie in die Arme „eines wesentlich jüngeren Mannes”, der ihr jede Menge pikierte Blicke in der Society einbrachte: „Das war damals noch nicht so modern wie heute." Schließlich brach sie aus der Sicherheit des Ensembles aus, „um mit 40, also wider jegliche Vernunft”, auf dem TV-Markt Fuß zu fassen.
Mitte der Achtziger wurde sie mit der Familiensaga "Die Guldenburgs" in den TV-Adelsstand erhoben. Damals lernte sie auch erstmals die Beklemmung der Massenzuwendung kennen. Bus-Touristen zwängten ihre Nasen durch den Zaun, um „Gräfin zu schauen”. Danach scheut sie sich nicht, das damals zementierte Salondamen-Image zu zertrümmern. Im deutschen Fernsehfilm „Alekander” spielt sie eine lebenshungrige Frau jenseits der Lebensmitte , die sich in Form eines polnischen Strichknaben nimmt, was sie zu brauchen glaubt: „Ich musste aus der Domäne der Sympathieträgerinnen ausbrechen. Ich habe Lust auf Irritation.” „Schauspielerisches Fleisch" will sie „zwischen den Zähnen” spüren, und dafür schminkte sie sich auch jede weibliche Gefallsucht ab: „Wenn es die Rolle braucht, gehe ich ganz schonungslos mit mir um."
Eine Sternstunde in Schonungslosigkeit gab sie in Helmut Dietls galliger Farce über die gefälschten Hitler-Tagebücher, „Schtonk” 1993, wo sie als Göring-Nichte Freya von Hepp Jammer und Jämmerlichkeit einer in die Jahre gekommenen Blondine erbarmungslos freilegte und ihrem Filmpartner Götz George (der den „Stern”-Reporter spielte) zu der Überzeugung brachte: „Sie ist das Weib, dem man alles glaubt.” Man könnte jetzt noch, wie in Nachrufen üblich, die Stationen des Triumphs weiter aufzählen, aber das hätte vor allem die Hörbiger gelangweilt: „Geh‘ hörn’s ma auf mit dem alten Plunder ”, hätte sie in ihrem unnachahmlichen Singsang gesagt und damit auch gezeigt, dass sie eine Tochter ihrer Mutter ist, deren Credo war (Quelle: Michael Heltau): „Ich bin zwar ka Dame, aber ich weiß, wie’s geht.” Die NS-Vergangenheit der Mutter war auch in unseren Interviews das Gegenteil von einem Tabuthema: „Den Film „Heimkehr” (einem NS- Propagandafilm von Gustav Ucicky aus dem Jahr 1941) wollte ich von meiner Mutter erklärt kriegen. Ich habe sie zu einem Gespräch gezwungen. Mit Ende Siebzig hat sie sich mir eine Nacht gestellt. Der Verlauf dieses Gesprächs gehört aber nur uns beiden.”
Die Mutter, jahrelang an Depressionen leidend, laborierte schwer an diesem Fehltritt. Der Vater Attila Hörbiger, der während des NS-Regimes sich durch leichte Unterhaltungskost schwindelte, „war immer der, dem alles leichter gefallen ist und der auch alles viel leichter genommen hat.” Der Papa sei derjenige gewesen, „der die jüdischen Freunde zum Bahnhof gebracht hat und sich lachend das Hakenkreuz angesteckt hat, damit sie unbehelligt blieben.” Wie ungerecht das Leben doch ist.” In einem unserer letzten Gespräch anlässlich einer profil-Coverstory über die Schauspielerdynastie („Eine schrecklich begabte Familie”, 2002) sagte sie über den Beruf und den damit verbundenen Leistungs-Anforderungen an sich selbst: „Man muss wirklich schauen, dass man nicht beim Psychiater landet. Und trotzdem jede Rolle so spielen, als ob sie die letzte wäre.” Sie hat sich nie was geschenkt, aber dafür uns soviel mehr. Christiane Hörbiger, die offensichtlich schon länger an Demenz litt, starb heute, Mittwoch, dem 30. November, in Wien.