Chronische Krankheit Me/Cfs

Chronisch krank in Österreich: Judith beschloss zu sterben

Judith S., 43, entschied sich nach jahrelanger Krankheit für den assistierten Suizid. Ihr Lebensgefährte schildert profil einen Leidensweg, der auch aufzeigt, wie Österreichs Gesundheitssystem die chronisch Kranke im Stich ließ.

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„Ich kann nicht sprechen, also kein Wort mit meinen Eltern, sondern sende die Nachricht, was ich brauche und wie es mir geht, in der Früh auf WhatsApp, meine Füße und mein Mund brennen, und mein HNO-System ist komplett entzündet (danke auch Kranialnerven- und Liquorzirkulationsproblem). Mein Gehirn ist Matsch, aber Gefühle beschreiben und Tippen geht grad noch“, schreibt Judith am 10. September auf Facebook.

Die letzten drei Jahre ihres Lebens hat sie dort ausführlich dokumentiert. Diese Zeit verbrachte sie ausschließlich im Bett, zwischen Kuscheltieren und ihren Zeichnungen. Ihr Fenster zur Welt, draußen vor dem Zimmer im Haus ihrer Eltern in Oberösterreich, war ihr abgedunkeltes Handy. Online zu schreiben, das war bis zu ihrem Tod möglich – ein Leben außerhalb des Schlafzimmers nicht. Judith litt an einem Bündel von Krankheiten, eine davon war eine schwere Form der Multisystemerkrankung ME/CFS.

In Österreich leiden laut Schätzungen der MedUni Wien bis zu 80.000 Menschen an Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome. Jede körperliche oder psychische Anstrengung kann bei den Betroffenen zu einer dauerhaften gesundheitlichen Zustandsverschlechterung führen.

profil traf Judiths Lebensgefährten Matthias Mollner, der als Künstler und Gesundheitsaktivist die Situation chronisch Kranker sichtbar machen will. Abseits der Liebesbeziehung verband den 40-Jährigen und Judith auch die gemeinsame Kunst. „Black Ferk Studio“ nannten sie ihr Projekt, beide konnten sich für Schweine begeistern – als Stofftiere und Kunstobjekte.

„Ganz schnell massiv abwärts“

Judith war Künstlerin, Aktivistin, Partnerin, Tochter, Patientin und Kollegin. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Donau-Universität Krems am Institut für E-Governance und promovierte dort 2023, bereits schwerstbehindert und hundertprozentig bettlägerig. Sechs Jahre lang war Judith chronisch krank. 2021 hatte sich ihre Situation so verschlechtert, dass sie begann, sich mit Sterbehilfe auseinanderzusetzen.

Ihre Krankheitsgeschichte kennt Matthias in- und auswendig. 2015 wurde Judith die Schilddrüse entfernt, weil ein Knoten gefunden wurde – im Nachhinein bleibt fraglich, ob das wirklich notwendig gewesen ist. Im Jahr 2019 war Judith für einen Forschungsaufenthalt in Hongkong, wo sie sich eine Viruskrankheit mit unbekanntem Erreger einfing. In Österreich wurde eine Bauchspeicheldrüsen-Insuffizienz diagnostiziert. Diese war einigermaßen gut mit Medikamenten zu behandeln, erzählt Matthias. 2020 folgten erste leichte ME/CFS-Symptome, etwa eine extreme Erschöpfung nach dem Essen. Sport ging bald überhaupt nicht mehr, dann nur noch ein kleiner Spaziergang einmal wöchentlich. Nach ihrer ersten Corona-Impfung 2021 „ging es ganz schnell massiv abwärts“, erinnert sich Matthias.

An einem Dienstag im Advent, dem 10. Dezember 2024, unterstützte Matthias Judith beim assistierten Suizid. Hätte sie das todbringende Präparat nicht eingenommen, dann wäre sie bald verhungert, ist er sich sicher.

ME/CFS ist eine Krankheit, die seit 1969 von der Weltgesundheitsorganisation WHO anerkannt wird. Wie genau sie entsteht, ist unklar. Das Long- oder Post-Covid-Syndrom als Folge einer Corona-Infektion kann in ME/CFS enden. Laut aktuellem Forschungsstand handelt es sich dabei um eine Fehlregulation des Immunsystems und des autonomen Nervensystems. Ausgelöst wird die Krankheit in erster Linie durch bakterielle oder virale Infektionen. ME/CFS zeichnet sich durch die sogenannte Post-Exertionelle Malaise aus – nach körperlicher oder geistiger Anstrengung kann sich der Gesundheitszustand stark verschlechtern. Eine Möglichkeit für Betroffene, mit der Erkrankung umzugehen, ist das sogenannte Pacing – der Versuch, sich die eigenen Kräfte einzuteilen und sich nicht zu überanstrengen. Eine Strategie, die den Ansprüchen der Leistungsgesellschaft diametral gegenübersteht. Es gibt verschiedene Schweregrade der Erkrankung, etwa 60 Prozent der Menschen mit ME/CFS sind laut MedUni Wien nicht in der Lage, einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. Aber manche werden auch wieder gesund.

Wer in Österreich pflegebedürftig ist, der oder die bezieht Pflegegeld von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA). Die Höhe der Zuwendungen richtet sich nach der Schwere der Erkrankung – eingestuft nach einem Gutachten der PVA. Neben dem Pflegegeld entscheiden die Gutachter:innen der PVA auch über eine mögliche Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension: Dieser Antrag wird von der PVA bewilligt – oder eben nicht.

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz ist seit Dezember 2024 im Digitalteam. Davor arbeitete sie als Redakteurin bei PULS 24, und als freie Gestalterin bei Ö1. Sie schreibt über Politik, Wirtschaft und Umwelt.