Da drüben brennt der Joe
Es ist gar nicht so einfach, ein Feuerbändiger zu sein. Das merkt man spätestens in dem Moment, in dem man einen Feuer-Stunt-Workshop in Hall in Tirol organisieren will – und ihn dann mangels Teilnehmern absagen muss. Am Ende wären nur zwei Leute gekommen, unrentabel – Tirolerinnen und Tiroler brennen offenbar nicht besonders gerne. Das tun ja generell überhaupt nur sehr wenige Menschen, wenn man darüber nachdenkt. In Liedern vielleicht oder in Gedichten, aus Liebe oder vor Zorn, aber so ganz in echt dann eben doch eher selten.
Josef „Joe“ Tödtling ist da anders. Mit seinem Beruf als Stuntman (Spezialgebiet: Feuer, das steht zumindest auf seiner Website) gehört er zu einer ziemlich kleinen Minderheit – nicht nur wegen seiner Affinität fürs Sich-selbst-Anzünden, sondern wegen seines Hangs zum Extremen insgesamt. Er brennt nämlich nicht nur erstaunlich oft, er fällt auch immer wieder aus großen Höhen herunter, kämpft mit Schwertern, fliegt, reitet, schießt, baut Autounfälle, erlebt Explosionen aus nächster Nähe. Der 43-jährige Steirer hält überdies mehrere Weltrekorde. Unter anderem für den längsten „Full Body Burn“ ohne Sauerstoffunterstützung – da stand er, ganzkörperlich, fünf Minuten und 41 Sekunden in Flammen. Oder jenen, bei dem ihn ein Pferd 500 Meter an einem Seil hinter sich herzog – während er brannte. Retour ging’s mit einem Quad, 582 Meter, ebenfalls brennend, ebenfalls Weltrekord. Tödtling koordinierte auch die Stunts in zahlreichen Filmen, stand selbst als Stuntman vor der Kamera, etwa für „Matrix Resurrections“, „Babylon Berlin“, „Guglhupfgeschwader“ (und nein, der Kuchen ist nicht angebrannt). Letztes Jahr war er sogar das Stunt-Double von David Hasselhoff. Ja, dem David Hasselhoff.
Wenn man, wie Tödtling, so oft brennt, so oft herumfliegt, hat man da mit der Zeit irgendwann einen Lieblingsstunt? Etwas, das man besonders gerne macht? „Na ja, ich kann mich grundsätzlich an jeden einzelnen Stunt erinnern. Aber es ist schwer, sie miteinander zu vergleichen – in meinem Beruf macht man halt nicht jeden Tag das Gleiche. Letztlich ist man einfach froh, wenn es vorbei ist und alles gut funktioniert hat“, sagt Tödtling. Und das soll, wenn es nach ihm geht, am besten gleich beim ersten oder zweiten Versuch gelingen. „Schließlich will man nicht zehnmal gebrannt haben, und am Schluss heißt es dann: Na ja, richtig geil war es nicht. Das ist bei uns das Gleiche wie bei Bäckern. Dort will man ein Brot backen, das den Leuten schmeckt. Und wir wollen eben Stunts machen, die Leute beeindrucken.“
Prügel in der Staatsoper
Wenn man ehrlich ist, kann Tödtling diesbezüglich eigentlich fast nichts falsch machen – also, wenn es ums Eindruckschinden geht. Denn wenn „Burning Joe“ seinen Formel-1-Schutzanzug anzieht, das Feuergel auf seinen Körper schmiert, die Schutzpaste für sein Gesicht aufträgt und schließlich Feuer fängt, lässt das ausnahmslos niemanden kalt. Das konnte man zuletzt etwa in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin beobachten. Dort ließ sich Tödtling bei einer Aufführung von „La fanciulla del West“ brennend mit Baseballschlägern verprügeln. Oder in Paris: Während der Oper „Die Trojaner“ schritt Tödtling brennend über die Bühne, anschließend mussten ihn die anwesenden Feuerwehrleute backstage mit einer Löschdecke versorgen, im Hintergrund spielte immer noch das Orchester. „Davon bin ich eigentlich kein Freund. Es ist sehr schwierig, mit einer Decke das Feuer richtig auszubekommen, weil immer wieder Sauerstoff dazukommt, es immer wieder aufbrennt. Aber die Lärmbelästigung durch CO2-Feuerlöscher ist eben sehr hoch. Das Zischen stört bei einer Oper. Deswegen: Wenn ich’s mit Löschdecke machen muss, dann mach ich’s. Es hilft ja nichts.“
„Es hilft ja nichts“ ist eine außerordentlich optimistische Herangehensweise an einen Beruf, der einen zwangsläufig dazu bringt, immer wieder das eigene Limit zu überschreiten. Wenn bei einem „Full Body Burn“ etwas schiefgeht, besteht die Gefahr, in den Flammen zu ersticken oder sich die Atemwege, die Lungen zu verbrennen. Durch die Hitze könnte sich die Netzhaut in den Augen ablösen. Wahrscheinlich steht auch deshalb der folgende Satz auf Tödt-lings Website: „Da wir bei der Durchführung der gewünschten Stunts nicht nur auf unsere eigene Sicherheit, sondern auch auf die Sicherheit aller Anwesenden bzw. aller Utensilien großen Wert legen, sind alle unsere Stuntleute haftpflicht- bzw. auch unfallversichert.“ Wer hätte gedacht, dass sich Bürokratie einmal so beruhigend anhören kann? Und was, wenn trotzdem einmal etwas nicht klappt? „Wer mit dem Feuer spielt, muss damit rechnen, dass er sich verbrennt“, sagt Tödtling unbeeindruckt. Seine Eltern können das mittlerweile ebenfalls gelassen sehen. „Sie vertrauen darauf, dass ich keinen Scheiß baue.“
Ein bisschen hätten sie es ja auch schon ahnen können. Das Feuer faszinierte Tödtling bereits als Kind. Irgendwann habe sich sein infantiles Zündeln halt weiterentwickelt. Zuerst in Richtung Rauchfangkehrer-Lehre. Und als er dann nach seinem Grundwehrdienst nicht für eine Ausbildung als Militärpilot infrage kam, war recht schnell klar: Irgendwas mit Risiko wird es wohl werden. Also besuchte er die Stuntschule des amerikanischen Schauspielers, Stunt-Performers und Action-Choreografen Kim Kahana in den USA. Den Rest kann man auf imdb.com nachlesen, einer Online-Datenbank, die alle Beteiligten an Film- und Serienproduktionen auflistet. 86 Einträge hat er dort bereits.
Findet Tödtlings Umfeld seinen Job eigentlich außerordentlich mutig oder doch außerordentlich dumm? Wie reagieren Menschen auf seinen Beruf? Schließlich lassen sich die wenigsten regelmäßig anzünden, geschweige denn brennend von einem Pferd herumziehen – und das aus sehr guten Gründen. „Wenn Leute Videos von dem sehen, was ich mache, hört man schon immer wieder: ‚Bist du deppat! Das ist extrem!‘ Allerdings nicht abwertend, sondern meistens sogar aufbauend“, sagt Tödtling.
Für ihn steht außerdem fest: Auch das österreichische Filmpublikum sehnt sich nach mehr „Action“. „Ich lese viele Drehbücher, und in Österreich wird die ganze Action meistens herausgestrichen, weil es sich einfach keiner leisten will. Derweil versuchen sie eigentlich in jedem anderen Land mehr Action zu drehen – außer bei uns, da wird wegen ein paar Tausend Euro herumgekaspert.“
Das spürt Tödtlings Branche. Vor allem, weil durch die derzeitigen Autoren- und Schauspieler-Streiks in Hollywood aktuell kaum noch gedreht wird. „Durch die Streiks in Amerika ist der komplette Markt eingebrochen. Die großen Produktionen, bei denen viel zu tun ist, wurden entweder verschoben oder abgesagt. Die kleineren finden nach wie vor statt, schauen aber aufs Budget und wollen nicht zu viel ausgeben. Es ist alles ein bisschen schwierig gerade.“ Umso mehr freut er sich auf den österreichischen Kinofilm „Operation White Christmas“. Bei dem übernahm Tödtling die Stunts und Stuntkoordination. „Bei den Amis ist klar, dass die Action drinnen haben, aber bei einem österreichischen Film ist das schon etwas Besonderes“, sagt er.
Dass sich Tödtling auf diesem Filmset einfach wohlfühlen musste, wird einem spätestens beim Ansehen des Trailers klar: haufenweise Waffen, Motorsägen, Explosionen, Schlägereien. Ein echtes Stuntman-Paradies. Nur brennen tut da niemand. Aber wer weiß, vielleicht zündet sich Joe Tödtling irgendwo im Hintergrund trotzdem selbst an. Er ist schließlich der „Burning Joe“.