„Das Drittl“: Ein junges Gastro-Projekt kocht in Wien groß auf
Auf dem Fensterbrett des Restaurants „Das Drittl“ mit Blick auf die im 9. Wiener Gemeindebezirk gelegene Wasagasse steht ein Plattenspieler, davor ein paar Kinderhochstühle. Es handelt sich um kein Gerät modernen Schlags, zumindest sieht es ganz schön altmodisch aus. Ein klein wenig Anachronismus kann manchmal herrlich entschleunigend und auch ganz schön hip sein.
Genau so ein hipper Anachronismus zieht sich auch durch die gesamte Küchensprache des „Drittl“. Dabei handelt es sich strenggenommen um kein alleinstehendes Lokal, sondern um die von Dienstag bis Samstag geöffnete abendliche Bespielung der Bäckerei „Ährlich“. Immer um 17.30 Uhr übernimmt dort das aus den (sehr) jungen Gastronomen Elie Reboul, Luca Presser, David Rotmanov und Moritz Arthur Blank bestehende „Blue Lime Project“ den Holzbackofen. In Wiener Foodie-Kreisen ist das „Project“ bereits aufgefallen – im letzten Jahr beglückten sie im ehemaligen „Loup Garou“ den 7. Wiener Gemeindebezirk.
Ein Germknödel (Bild ganz oben) ist vor diesem Hintergrund nicht das Erste, was einem in den Sinn kommt – ein bisschen altbacken-skihüttig eigentlich. Der flaumige, nicht süße Germteig bekommt es erwartbar mit Powidl zu tun, die koreanische scharfe Gewürzsauce Gochujang ist aber beigemengt – und das funktioniert prächtigst. Gefüllt wird die Dampfnudel dann noch mit Schweinsbauch, der drübergestreute Mohn darf nicht fehlen. Ein Highlight.
Nicht so recht begeistern kann das gewollt unspektakulär marinierte Beef Tatar (Bild oben). Es legt den Schwerpunkt auf Pfeffer und kommt auf einer für diese Belange jedenfalls zu dicken Scheibe Brot aus dem Holzofen. Die harte Rinde bereitet wenig Freude – die gebeizten Eierflocken verteilen sich über den ganzen Teller. Hidden Track: Die kleinen, frittierten Kapern sorgen für salzige Einschübe. Kann man mögen, ich tu es etwa zu einem Drittel.
Die Schwarzwurzel vollzieht dann, was der Knödel andeutete – sie schickt die Geschmacksknospen auf die Piste. Das Gemüse schmeckt so, wie es gute Käsespätzle tun würden, dank dem, so steht es in der Karte, „Stinkekäse Espuma von Jumi Käse“. Das grüne Öl entpuppt sich als Petersilien-Öl und sorgt für ein frisches Gegengewicht.
So viel zu den schnell weggeschnappten Singles, jetzt zu den kulinarischen Langspielplatten: Der Federkohl (Bild oben) mit arabischer Knoblauchsauce und Sonnenblumenkernen ist eigentlich eine recht fade Angelegenheit, aber das motivierte Team klärt auf: einmal durchrühren! Die sich unter den Blättern befindende Sauce nimmt dem Kohl dann die Monotonie. Der nächste Klassiker: Das über Holzkohle zubereitete Paprikahendl (Bild unten) präsentiert ein ausgelöstestes Hendlhaxerl mit sehr knuspriger Haut – und unternimmt mit Tarhonya und Paprikasauce einen Ausflug nach Ungarn. Neben Sauerrahm gibt’s dann wieder Petersilien-Öl – eine Rarität, so gut ist es.
Wäre es nicht abgedroschen, man würde beim Anblick der süßen Hauptspeise am liebsten sofort „I Am From Austria“ auflegen – die Mohnnudeln (Bild unten) firmieren dezidiert nicht unter dem Menüpunkt „Dessert“. Sie sind international geremixt – und lang gezogen; die breiten chinesischen Biángbiáng-Nudeln haben Pate gestanden. Dazu gibt’s Apfelkompott, das Großmutter eher als Apfelmus mit kleinen Apfelstückchen bezeichnet hätte. Die Nudeln sind al dente, die Mohn-Zucker-Sesam-Brösel sorgen für zusätzlichen Biss – fast so ein Highlight wie der Knödel.
Im „Drittl“ ist eine junge Truppe definitiv den gastronomischen Kinderhochstühlen entwachsen. Das „Blue Lime Project“ serviert unter dem Flackern von in Weinflaschen befestigten Kerzen einer Frischzellenkur unterzogene Klassiker der heimischen Küche, geht dabei aber schon auch darüber hinaus. Ein kleines Problem, das Foodies mit Vinylsammlern vereint, gibt’s allerdings: Beim Bestellen will man gar nicht wahrhaben, wie sehr die spaßigen Dinger ins Geld gehen. Trotzdem zuschlagen!
Stimmung: Candle-Light-Dinner in der Bäckerei
Empfehlung: nicht als Single kommen und alles durchprobieren
Preisverhältnis: Nibbles: 9-12 Euro, Shared Plates: 14-18 Euro,
größere Shared Plates: 10-28 Euro