Das Gutgefährt: Lastenräder als Symbol für einen neuen Zeitgeist
Aller Anfang ist wackelig, auch an den Wendekreis muss man sich erst gewöhnen, aber mit dem E-Motor kommt das Selbstbewusstsein. Vergangener Dienstag, ein Rauschen geht durch die Quellenstraße in Wien-Favoriten. Ich habe mir eines der 28 Wiener „Grätzelräder“ ausgeborgt und fahre einkaufen. Es handelt sich um eine spektakuläre Maschine, um ein Gefährt aus der Zukunft, konkret um ein Bakfiets Cargobike mit E-Motor, Sieben-Gang-Schaltung, Hydraulikbremsen und ganz schön viel Ausstrahlung. Ich sitze auf einer Ikone.
Auf einem Fahrzeug, das wie kein anderes – ausgenommen Tesla – für den Verkehr der Zukunft steht, und – anders als Tesla – außerdem auch noch für sehr viel mehr. Lastenräder sind nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Symbole: für einen Lebensstil, für eine Haltung zur Zukunft, die zugleich konsensfähig und umstritten ist. Es geht um die Frage, wie man die Welt verbessern und das Klima schützen könnte und ob man dabei eher leiden oder Spaß haben soll. Und falls Letzteres: wer sich das überhaupt leisten kann.
Lastenräder sind Teil einer Welt, in der auch pflanzliche Milchersatzprodukte getrunken und Fernreisen vermieden werden, in der Solarpanele auf Dächer montiert und Investmentfonds auf ihre CO2-Bilanz hin durchleuchtet werden.
Lastenräder sind so etwas wie die Jutetaschen des frühen 21. Jahrhunderts: praktisch, zeitgemäß, symbolisch ziemlich überfrachtet und gewiss nicht jedermenschs Geschmack.
Lastenräder sind auch fahrende Signale. Sie regen auf. Sie bedeuten etwas. Diese Bedeutung reicht über ihre tatsächliche Klima-Bilanz weit hinaus. In Wahrheit handelt es sich immer noch um ein Nischenphänomen. Mit der Betonung auf: noch, denn die Wahrheit ist eine Tochter des Zeitgeists, und dieser ist definitiv pro Lastenrad. In manchen städtischen Vierteln zählen sie bereits zum Grundinventar. Das ist erstens eine gute Nachricht, die zweitens auch sehr viel Ballast mitführt.
Aber sie können es tragen. Das ist schließlich ihre Grundlage. Dafür werden sie gebaut. Bei meinem Einkauf zum Beispiel war der Appetit eindeutig größer als die Vorausplanung. Das Einkaufswagerl quillt über. Niemals kann das alles in die Radtransportkiste passen. Wunderbarerweise passt es doch. Die Laune erholt sich, das Tempo steigt. Favoriten, vergangenen Dienstag: Der Antritt gelingt ohne Anstrengung, lockere 20 km/h sind immer drin, die Autos haben Respekt. Masse macht Macht.
Lastenräder kommen in allen möglichen Formen und Ausstattungen. Sie heißen Bakfiets oder Christiania, Bullitt oder Babboe, Nihola und Muli; es gibt Vorder- und Hinterlader, Tieflader und Bäckerfahrräder; es gibt sie zweispurig mit Kindertransportkiste und einspurig mit verlängertem Gepäckträger; es gibt sie mit E-Motor und ohne. Es gibt sie immer häufiger. In Österreich wurden im Jahr 2020 insgesamt 496.000 Fahrräder verkauft, das ist übrigens der höchste Wert seit Beginn der Erhebung im Jahr 2009. E-Bikes machen inzwischen einen Marktanteil von 41 Prozent aus. Am deutlichsten ist der Anstieg bei den E-Lastenrädern: von 514 im Jahr 2019 auf 943 im Jahr 2020. Der Boom beruht auch auf politischem Willen: Im Jahr 2021 förderte das Umweltministerium österreichweit 3151 Lastenfahrräder, davon 465 in Wien. Die Stadt Wien bezuschusste im Förderzeitraum 2020/21 weitere 614 Stück.
Der Boom ist groß, die Nachfrage übersteigt das Angebot. Aber auch das Wissen hinkt hinterher. Florian Weber gehört zu den heimischen Pionieren der Branche. Mit seinem Fahrradshop, -verleih und -botendienst „Heavy Pedals“ bietet er schon seit 2009 Lastenrad-Dienstleistungen in Wien an. „Am Anfang stand der Wunsch, gewerbliche Fahrten vom Pkw aufs Rad zu verlagern. Ein BMW Kombi ist sicher nicht das richtige Werkzeug, um eine Pizza auszuliefern.“ Inzwischen läuft auch die private Nachfrage heiß: „Am Anfang waren unsere Kunden Hardcore-Radfahrer:innen, mittlerweile sind wir im Mainstream angekommen. Heute kommen auch Leute zu uns, die sind seit drei Jahren auf keinem Fahrrad gesessen und wollen jetzt ein Cargobike.“
Nun sind Lastenräder wahrlich keine neue Erfindung: Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren Fahrräder im Warenverkehr gängige Transportmittel, das klassische Bäckerfahrrad ist in seiner heute wieder sehr angesagten Form ein lebendes Fossil aus dieser Zeit. Aber als vermeintliche Neuigkeit verkaufen sich Cargobikes eben besser, nämlich wie warme Semmeln. Laut dem Wiener Mobilitätsbericht 2019 haben 15 Prozent der Bevölkerung die Anschaffung eines Transportfahrrads zumindest schon einmal in Erwägung gezogen.
Aus dieser Zahl lässt sich, ganz objektiv betrachtet, Hoffnung schöpfen. Denn das Lastenrad hat tatsächlich das Potenzial, bei der Verkehrswende, also der Verlagerung des Personen- und Warenverkehrs auf umwelt- und klimaschonende Transportmittel, ein entscheidender Hebel zu werden.
Und es hat dabei einen entscheidenden Vorteil: seine zeitgemäße Strahlkraft. Lastenfahrräder sind auch deshalb ein Transportmittel in Richtung Zukunft, weil sie so verheißungsvoll strahlen. Ihr Glanz fällt auf den Fahrer, die Fahrerin zurück, und wenn er noch so verloren durch Favoriten kurvt.
Der Zeitgeist wäre jedenfalls bereit: Der Fahrradverkehr insgesamt ist in Österreich zuletzt deutlich angestiegen. Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) beziffert die Zahl der häufig Radfahrenden mit etwa 2,35 Millionen Menschen. Anteilsmäßig besonders stark ist dabei Vorarlberg. Dort fahren 49 Prozent der über 15-Jährigen täglich oder mehrmals pro Woche mit dem Fahrrad. In Wien sind es nur 21,8 Prozent (der Österreichschnitt liegt bei 31,2 Prozent).
In der Bundeshauptstadt ist die Anzahl der häufig Radfahrenden dafür in den vergangenen 15 Jahren am stärksten gestiegen – konkret um 86 Prozent (Österreichschnitt: plus 40 Prozent). Aktuell werden in Wien 38 Prozent der Wege mit Öffis bestritten, 30 Prozent zu Fuß, 25 Prozent mit dem Auto und 7 Prozent mit dem Fahrrad. Internationale Beispiele zeigen, dass hier noch deutlich mehr zu holen wäre. In der Fahrrad-Musterstadt Kopenhagen werden bereits 49 Prozent aller Arbeits- und Schulwege mit dem Fahrrad gemacht. 26 Prozent aller Familien mit zwei oder mehr Kindern besitzen dort ein Lastenfahrrad.
Aber Österreich ist nicht Dänemark. Das kann man, jedenfalls verkehrstechnisch, beklagen. Der VCÖ (Verkehrsclub Österreich) geht davon aus, dass vier von zehn Autofahrten kürzer als fünf Kilometer sind, sechs von zehn kürzer als zehn Kilometer. Das sind Distanzen, die sich auch per Velo gut überwinden ließen. Selbst der Autofahrerclub ÖAMTC attestierte in einem aktuellen Prüfbericht dem Lastenrad einiges Potenzial: „Das beachtliche Gepäckvolumen und die hohe Zuladung in Kombination mit dem Elektroantrieb ermöglichen auf kürzeren Strecken Transportaufgaben, die mit einem Kleinwagen vergleichbar sind.“ Dazu erklärt ÖAMTC-Testleiter Steffan Kerbl: „Lastenräder mit Elektroantrieb haben das Potenzial, im städtischen Raum und im Kurzstreckenverkehr eine ernsthafte und nachhaltige Alternative in der individuellen Mobilität zu werden.“
Ja, am Anfang haben sie die Nachbarn wahrscheinlich für Freaks gehalten, meint Elisabeth Steinlechner. Man kann die Nachbarn ein Stück weit verstehen: Seit sieben Jahren lebt Steinlechner mit ihrem Mann Jürgen und den beiden Kindern in der 8000-Einwohner-Gemeinde Landeck im oberen Inntal. Das Lastenrad, das sie zuvor schon Innsbruck in Gebrauch hatten, nahmen sie bei der Übersiedlung einfach mit. Es war, zugegeben, ein Experiment. „Wir haben die urbane Blase, in der wir uns davor bewegt haben, aufs Land transportiert. Das war schon auch eine gewisse Zeitreise. Wir waren Exoten.“ Allerdings mit Vorbildwirkung. Inzwischen gebe es im Ort schon drei weitere Lastenrad-Familien.
„Aber wir sind immer noch die Einzigen, die gar kein Auto haben. Üblicherweise ersetzt es halt das Zweitauto.“ Steinlechner betreibt mit ihrem Mann eine Beratungsagentur für erneuerbare Energien, das Lastenrad ist ihr nicht nur persönlich ein Anliegen, sondern auch als öffentliches Signal: „Es ist nicht nur praktisch, sondern ein sichtbares Zeichen, dass es auch ohne Auto geht und dass es lustiger und netter ist und praktisch sowieso. Es erfüllt alle Zwecke, die ein Fahrzeug erfüllen muss. Wir fahren damit zum Einkaufen und zum Bauhof und im Winter zum Skilift. Mit dem E-Motor schaffst du die paar Kilometer auch in Skischuhen. Wir haben das sorgloseste Leben überhaupt. Wir stehen nicht auf überfüllten Straßen, und wir müssen nicht um sechs Uhr früh beim Park-&-Ride-Platz sein, weil der danach garantiert voll ist.“ Tatsächlich sei die Radweg-Infrastruktur im Bezirk überraschend gut: „Wir profitieren sicher davon, dass der Tourismus die Radfahrer entdeckt hat. Das ist ja inzwischen ein wichtiger Faktor hier bei uns am Land.“
Und in der Großstadt? Ist zumindest die Ausgangslage unbestritten: Laut dem Wiener Mobilitätsreport ist der Verkehr in der Bundeshauptstadt der größte Treibhausgas-Emittent – mit insgesamt 40 Prozent des jährlichen -Ausstoßes. Die Rechnung ist also einfach: „Ohne ein Mehr an Rad- und Fußverkehr sind die Klimaziele der Stadt nicht zu erreichen.“ Wien möchte bis zum Jahr 2040 -neutral werden; schon 2025 sollen 80 Prozent aller Wege mit Öffis, zu Fuß oder mit dem Fahrrad absolviert werden. Dafür wurde nun auch eine Radweg-Offensive eingeleitet. Die Stadträtin für Verkehr, Ulli Sima, informiert: „Allein im Jahr 2022 entstehen über 17 Kilometer neue und verbesserte Radverkehrsinfrastruktur im Hauptradverkehrsnetz.“ Radhighways werden errichtet, verkehrsberuhigte „Supergrätzel“ installiert.
Aber: „Das Rad-Marketing ist wirklich sehr gut in Wien, die Umsetzung bleibt leider halbherzig.“ Das sagt Marina Mohr, Verkehrsplanerin in Wien. „Das Auto ist in der Realität immer noch das maßgebliche Verkehrsmittel, und die Parkplätze bleiben heilig. In der Planung neuer Verkehrsflächen sind sie den Bezirken vielfach wichtiger als zum Beispiel neue Bäume oder Radwege. Und auch von den 17 Kilometern neuer Radwege der großen Radweg-Offensive werden nur rund fünf Kilometer neu gebaut. Der Rest entfällt auf die Verbreiterung bestehender Radwege und Radrouten wie etwa Einbahnöffnungen.“ Tatsächlich lägen sehr gute Konzepte in den Schubladen der Stadtplaner, „aber es braucht auch Leute, die diese Konzepte umsetzen.
Die Stadt München beschäftigt allein 30 Personen für den Ausbau des Radverkehrs. In Wien sind es zwei.“ Mohr, die mit ihrem Mann Günter und zwei Kindern in dem neuen (und sehr Lastenrad-affinen) Stadtentwicklungsgrätzel beim Hauptbahnhof lebt und zuvor im dicht verbauten 9. Bezirk wohnte, hatte persönlich „in Wien noch nie das Bedürfnis, ein Auto zu brauchen. Ich wüsste nicht, wofür. Fürs Übersiedeln haben wir einen Transporter gemietet, sonst lässt sich alles mit dem Transportfahrrad machen.“ Der Umstieg vom KFZ sei fast immer eine Bequemlichkeitsfrage: „Der Mensch macht Dinge, wenn sie ihm einfach gemacht werden. Dazu braucht es gut erreichbare Abstellplätze, niederschwellige Förderungen und vor allem gut ausgebaute Radwege, auf denen die Menschen sich sicher fühlen. Mangelndes Sicherheitsgefühl ist die größte Schwelle für den Umstieg auf das Fahrrad.“
Dem kann Florian Weber, der Geschäftsführer von Heavy Pedals, nur zustimmen: „Es gibt ganz klare Schritte, die man unternehmen müsste und für die es leider in Wien am politischen Willen fehlt: Fahrradstraßen bauen oder umwidmen, mehr Einbahnen für Fahrräder öffnen. Viele Straßen sind lebensgefährlich, viele Fahrradwege unter jeder Richtlinie. Wo es gute Fahrradwege gibt, werden sie auch genutzt. Aber die Politik ist nicht mutig genug. Fahrradstraßen gibt es höchstens dort, wo es keine verärgerten Autofahrer geben könnte. Und jeder Bezirkskaiser kann einen Fahrradweg einfach overrulen.“
Aber vielleicht täuscht dieser Eindruck. Vielleicht findet der Wandel längst auch schon in Bezirkskaiserköpfen und Pkw-Bastionen statt. Andreas Rabl zum Beispiel ist sicher: „Auf der Bürgermeisterebene haben inzwischen alle die verkehrspolitische Bedeutung des Radverkehrs verstanden. Es gilt dabei natürlich immer abzuwägen, welchen Verkehrsteilnehmern man welche Fläche zur Verfügung stellt. Diese Entscheidung wird die Politik treffen müssen.“ Rabl ist in dieser Frage auch selbst Entscheidungsträger.
Seit November 2015 amtiert der FPÖ-Politiker als Bürgermeister der Stadt Wels. Seinen Wahlkampf im vergangenen September absolvierte Rabl unter anderem auch mit einem freiheitlichblauen Werbe-Lastenrad. „Ich war früher, bis die Kinder zu groß dafür geworden sind, auch selbst Lastenradbenutzer. Es ist einfach praktisch und als urbanes Verkehrsmittel eine gute Alternative. Natürlich wird es immer nur eine Sparte bleiben, aber ich finde es wichtig, Dinge in die Mitte der Gesellschaft zu holen, die einfach sinnvoll sind.“ Rabl weiß natürlich, dass er, bei aller Verbindlichkeit, ein Ausreißer ist: „Mir ist schon klar, dass das Lastenrad in erster Linie mit den Grünen in Verbindung gebracht wird. Aber für mich ist das kein ideologisch besetztes Fahrzeug. Es gibt nicht nur links der Mitte Menschen, denen Naturschutz und Klimafragen wichtige Anliegen sind.“
Ohne Zweifel aber gibt es links der Mitte deutlich mehr Menschen, die dieses Anliegen durch offensives Lastenradfahren selbstbewusst nach außen tragen. Das Cargobike ist ein tiefgrünes Leitmotiv – und auch ein linksalternatives Statussymbol. Es geht um die Moral, aber es geht auch ums Geld. Denn die modernen Lastenräder sind nicht billig. Für ein gut ausgestattetes E-Lastenrad werden locker 5000 Euro abgerufen, mehr ist immer möglich. Man zeigt mit dem Rad, was man hat: Geld und guten Willen. Die sprichwörtlichen Bakfiets-Mütter wurden in Holland auch schon als Vorboten der Gentrifizierung beschrieben, als apokalyptische Radlerinnen in selbstherrlicher Mission.
Aber ist das Lastenrad nun ein politisches Symbol, ein echtes Klimaschutzgerät oder gar nur modisches Lifestylegerät? Auf jeden Fall ist es ein Zankapfel. Das alternative Radweg-SUV ist – auch ohne elektrische Trittkraftverstärkung – hochgradig aufgeladen. Der Individualverkehr funktioniert auch als Verdrängungswettbewerb, und das Lastenrad beansprucht nicht nur auf überfüllten Radwegen, sondern auch in den Kommentarspalten ganz schön viel Raum.
Als die deutschen Grünen im vorjährigen Wahlkampf eine Milliarde Euro an Lastenfahrrad-Förderung forderten, war das Echo gewaltig. Autofahrer fühlten sich ignoriert, bürgerliche Kommentatoren ätzten über weltfremde Präpotenz, konservative Linke stellten die Klassenfrage. Und das Feuilleton der Wochenzeitung „Zeit“ deutete das Lastenrad gar zu einer Art postfeministischen Maschine um: Die Bakfiets-Mutter, „die momentan wohl präsenteste Figur des öffentlichen Raumes“, fuhr da direkt aus der „urbanen, akademisch-biodeutschen Traumblase“ hinein in die Realität der Frauenbewegung: „Und so pendeln sie also, die Lastenradmütter, und fahren unaufhörlich abwechselnd mit ihren Männern ihr Leben hin und her, von unbezahlter Care-Arbeit zu bezahlter Erwerbsarbeit und wieder zurück.“
Tatsächlich fährt im Lastenrad immer auch ein Klischee mit, das skandinavische Vorbild wirkt mächtig: Bullerbü ist nie weit, wenn Christiania vorn draufsteht. Auf Lastenrädern wird wohl auch einiges schlechtes Gewissen weggestrampelt und das Grenzgebiet zwischen ökologisch motiviertem Linksbürgertum und statusorientierter Bourgeoisie vermessen. Ja, das Lastenrad ist, vor allem in einer elektrisch unterstützten Form, ein Elitengefährt. Und ja: „Die, die es sich ohnehin leisten können, kennen sich auch mit den Förderungen am besten aus. Ich habe schon an Promis verkauft, da ging es um jeden Euro. Gleichzeitig verkaufen wir nur wenig in den 10. Bezirk. Ich weiß nicht, wie viele migrantische Menschen wirklich über die Förderung Bescheid wissen.“ Das erzählt der Radhändler Florian Weber, dessen ursprüngliche Mission, siehe oben, zwar sehr viel pragmatischer war, aber in der Logistik-Branche inzwischen unter einer fast schon poetischen Bezeichnung firmiert: greening the last mile – also: Zustellung per Lastenrad statt Kleintransporter. Hier liegt des Radls Kern, der eigentliche Hebel zum klimasensiblen Verkehr. Bullerbü interessiert dabei niemanden, es geht um Micro Hubs und Lieferketten, um blanke Lagerlogistik.
Die Branche erlebt gerade umwälzende Veränderungen: Anzahl und Frequenz der Bestellungen nehmen rasant zu, die Pakete werden kleiner, müssen dafür schneller ans Ziel. UPS liefert in deutschen Großstädten schon seit zehn Jahren (auch) per Lastenrad, GLS, DHL, DPD sind nachgezogen; es rentiert sich auch für die Großen in der Branche. Ein Konzeptpapier des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin formuliert die Vorteile: „Die Lastenräder sind günstiger in der Anschaffung und im Unterhalt, sie sind in der Rushhour schneller und verlässlicher, Mitarbeitende benötigen keinen Führerschein und – vor allem in verdichteten Innenstädten wichtig – sie können näher beim Kunden parken.“
Erfahrungen aus einem Hamburger Pilotprojekt zeigten, dass elf Lastenräder im innerstädtischen Zustelldienst eine tägliche KFZ-Fahrstrecke von 800 Kilometern ersetzen konnten, was aufs Jahr gerechnet etwa 120 Tonnen einsparte (sowie etliche Parkplätze und Dezibel). In der Schweiz werden Supermarkteinkäufe schon seit 1997 in 21 Städten auf Wunsch per Lastenrad zugestellt, in Kopenhagen sind über 40 Cargobikes in der kommunalen Straßenreinigung aktiv, und in Linz kommt neuerdings auch der Rauchfangkehrer mit dem Fahrrad. Im englischen Cambridge existiert gar ein Gütesiegel für Waren, „zugestellt mit dem Rad“.
Mittagstermin in Wien-Sechshaus. Nebenan braust der Wienzeilenverkehr, aber Prima Triwibowo strahlt Ruhe aus. Er hat seine Schicht für heute schon beendet und steht grinsend in der Garage des regionalen Samariterbund-Stützpunktes. Der 37-Jährige fährt seit Juni 2018 täglich „Essen auf Rädern“ aus, und zwar ganz buchstäblich und natürlich bei jedem Wetter: „Es gibt keine Ausnahmen“, die Kundschaft wartet, und sie hat meistens Hunger.
Triwibowo ist an diesem Stützpunkt Außenstellenkoordinator der Lastenrad-Flotte. Sieben Bezirke werden von hier aus versorgt, von sechs Fahrerinnen, die jeweils rund 30 Kunden bedienen und im Schnitt zwischen zehn und 13 Kilometer pro Tour absolvieren. Triwibowo ist erkennbar stolz auf seinen Job und auf sein Bike sowieso: Christiania, customized, Alurahmen, E-Motor, Kühlcontainer. Insgesamt hat der Samariterbund in Wien 30 Lastenräder im Einsatz, 120.000 Kilometer werden damit im Jahr abgefahren, das ist klimatechnisch eindeutig nicht nichts. „Außerdem macht es Spaß“, sagt Triwibowo. Zusatzplus, ganz pragmatisch: „Ich bin ziemlich fit.“
Mitarbeit: Daniela Riess