David Schalko: "Man kann auch in Vernunft ertrinken"
David Schalko über Alkohol, Kreativität, intelligente Melancholie und andere Nebenwirkungen.
"Wir lassen uns gehen" heißt der Titel Ihres Erzählbands. Inzwischen ist vor allem in der Generation Z eine Art Gesundheitskult entstanden.
Schalko
Man kann auch in Vernunft ertrinken. Überhaupt ist mir der Wunsch, ein berechenbares Leben zu führen, fremd. Man merkt ja auch, wie einfältig und humorlos viele Diskurse im Augenblick geführt werden. Die Gesellschaft versucht im Sinne der Algorithmen alles richtig zu machen. Was Algorithmen aber nie haben werden: die Lust, Blödsinn zu machen. Albern zu sein. Den Makel großartig zu finden. Dafür sind sie nicht programmiert. Wir hingegen programmieren uns in Erwartungen, die wir nicht erfüllen können. Humor ist auch eine Form der resignativen Klugheit. Eine intelligente Melancholie. Und Alkohol erhöht im Idealfall die Bereitschaft, die Schere Erwartung-Realität leicht nehmen zu können.
Wie würden Sie Ihren Trinkstil beschreiben?
Schalko
Früher habe ich Genusstrinker verachtet. Heute denke ich mir: Man muss nicht bei jedem schlechten Glas Wein dabei sein. Im Prinzip gibt es ja zwei Arten des Trinkens. Das Wegtrinken und das Hertrinken. Wobei das Hertrinken vermutlich die gesündere Variante ist. Wenn man versucht, etwas mit Alkohol zu übertünchen oder zu verdrängen, ertränkt man sich am Ende nur selbst. Eine Schüchternheit oder eine Hemmung hingegen zu überwinden, ist ja nichts Schlechtes.
Kann Alkohol die Kreativität anregen?
Schalko
Man kann sich Genialität auch hertrinken. Das Problem ist die zwangsläufig einsetzende Ernüchterung, wenn man merkt, man müsste für immer betrunken bleiben, um betrunken Geschriebenes als genial zu empfinden.
Hat Österreich ein besonderes Verhältnis zu Alkohol?
Schalko
Das ist wie mit dem Tod. Da sagt man ja auch, er ist ein Wiener. Doch kaum ein europäisches Land würde von sich selbst sagen, es habe kein eigenes Verhältnis zu Alkohol oder auch zum Tod. Das ist ja zwangsweise Kulturgut. In Österreich hat man das neben der Bösartigkeit nur zur Touristenattraktion erklärt.
Sie waren einmal auf lange Zeit abstinent. Warum?
Schalko
Meine Leberwerte waren schlecht. Sechs Monate ohne Alkohol hatten daran aber nichts geändert. Trotzdem war es eine angenehme, ausgeschlafene Zeit. Man liest viel, weil man um Mitternacht heimgeht, weil sich ab da die Gespräche zu wiederholen beginnen. Das Problem: Man ist der Einzige, der das merkt. Man ist eben nicht im gleichen Zeitkontinuum wie die anderen. Man glaubt nicht, vier Stunden seien wie fünf Minuten, eher umgekehrt.
David Schalko, 50
ist Regisseur und Schriftsteller. Zurzeit dreht er die ORF-Serie "Kafka" in Wien, sein Erzählband "Wir lassen uns gehen" wird jetzt neu aufgelegt, und Ende April erscheint sein Post-Covid-Roman "Was der Tag bringt" im Verlag Kiepenheuer &Witsch.
Fühlt man sich stigmatisiert, wenn man nichts trinkt?
Schalko
Da man im Alter zunehmend von trockenen Alkoholikern umgeben ist, spielt das keine Rolle mehr.
Hermann Nitsch nannte Alkohol "eine dionysische Medizin". Was assoziieren Sie?
Schalko
Rausch und Kater. Zwei ungleiche Geschwister. Aber wenn man sie lang genug kennt, mag man beide.