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Konsumrebellion: Defluencer:innen warnen vor überteuerten Produkten

Nach der Trend-Diktatur der Influencer:innen schlägt das Pendel in Richtung Reduktion und Kaufverweigerung aus: „Defluencing“ als Indiz für eine neue Konsumkultur, die für Klimabewusstsein, Vintage und Minimalismus steht.

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Oft hängt das Schicksal einer Influencerin nur an seidenen Wimpern. So geschehen bei der selbst ernannten Make-up-Spezialistin Mikayla Nogueira (15,4 Millionen Follower auf TikTok, auf Instagram vergleichsweise magere 2,9 Millionen), die im Jänner einen folgenschweren Fehler beging: Im Zuge ihrer Werbepartnerschaft mit L’Oreal schwärmte sie für eine neue Wimperntusche des Kosmetikkonzerns, die ihrer tiefen Überzeugung nach den gleichen Effekt habe wie künstliche Wimpern. Dramatischerweise trug die Amerikanerin bei dieser Promotion echte „Fake“-Lashes. Ein Tsunami der Entrüstung über solche Verlogenheit schwappte durch Nogueiras Accounts und ihre zukünftig ehemaligen Followerinnen artikulierten empört, was in Digitalien längst in der Luft liegt: Das seit 2007 stetig gewachsene Phänomen derInfluencer:innen hat in seiner Durchschlagskraft und Glaubwürdigkeit stark abgenommen. Inzwischen wissen selbst digitale Einwanderer, sprich Repräsentanten der Boomer-Generation, dass diese Multiplikatoren von Produkten oder Lebensstilen auf dem Strich von Unternehmen und Werbeagenturen promenieren. Der jahrelange erfolgreich zum Einsatz gebrachte „Schmäh“, der authentische Empfehlungen suggerieren sollte, nach dem Motto „Weil so viele von euch gefragt haben: Meine Haare haben ihren seidigen Glanz, weil ich sie ausschließlich mit dem Shampoo XY wasche“, klingt inzwischen mehr als abgeschmackt. Außerdem wurde der vorgetäuschten Produktvorliebe insofern ein Riegel vorgeschoben, als dass entlohntes Getrommel mit dem Hinweis „bezahlte Werbepartnerschaft“ versehen werden muss.

Moralisch unbelasteter Konsument

Das Pendel schlägt jetzt aber zunehmend in die andere Richtung aus: Nach mehr als einem Jahrzehnt, in dem gelackte und gephotoshopte Kaufanimateur:innen ihre Follower:innen unter Produktdauerberieselung gestellt und damit auch die Inflation ihrer eigenen „Branche“ angeheizt hatten, setzt eine neue Generation von TikTok-Usern gerade stark auf die Methode des „Defluencing“, also die Warnung vor überteuerten und ihren Verkaufsversprechen nicht gerecht werdenden Produkten. Imvergangenen Jänner, so die „New York Times“, wurden auf TikTok unter dem Hashtag #Defluencing 76 Millionen Klicks registriert. Der „Defluencer“, also der moralisch unbelastete, weil nicht gekaufte, wachsame Konsument, der gerne seine Negativerfahrungen mit der Menschheit zu teilen gewillt ist, kam 2023 sogar auf die Liste der potenziellen österreichischen Jugendwörter des Jahres, musste aber gegen das verhältnismäßig selten verwendete „Brakka“ (eine gerade geschnittene Hose) eine Schlappe einstecken, was ziemlich „delulu“ (ein dritter Kandidat auf der Liste) erscheint. „Delulu“ ist die flockige Abkürzung von „delusional“, was auf Deutsch so viel wie „wahnhaft“ bedeutet. Nahezu wahnhaft war und ist auch die Besessenheit vieler Followerinnen mit militant perfektionistischen Schönheitsidealen wie jenem der Familie Kardashian, den Pionierinnen eines „gespenstischen Cyborg-Looks“ (so die „New York Times“) – dem trotzdem Millionen nacheiferten.Wie wohltuend, dass sich jetzt eine Rebellion gegen dieses Shopping-Lemmingtum breitmacht.Vor allem Kosmetikprodukte, aber auch Designerprodukte und Textilien werden von meist naturbelassenen jungen Frauen (im wohltuenden Gegensatz zu den aufgebrezelten Influencerinnen mit ihren falschbewimperten und filterbearbeiteten Einheitsgesichtern) auf TikTok und Instagram mit Warnhinweisen vernichtet.Da stehen dann in Balkenlettern Sätze wie „Achtung! Völlig überzahlt“, „Dieses Produkt kann echt nichts“, „Verabschiedet euch von der toxischen Influencer-Kultur und dem Überkonsum“, „5 Produkte, deren Kauf ich zutiefst bereue“ oder „Erfolgreiches Detoxing von Amazon-Produkten leicht gemacht.“ Immer wieder mischen sich unter die Antikonsum-Armada auch geläuterte Ex-Influencer:innen, die detailgenau von den Praktiken der Konzerne berichten, als deren Köder sie einst tätig waren. Unddie ihren Job-Hangover mit Nachhaltigkeits-Merksätzen sowie moralischen Parolen gegen die Wegwerfkultur zu kurieren versuchen. Selbst eine biedere „Content Creatorin“ (ein anderer Begriff für Influencerin) wie die Amerikanerin Josie Bullard, deren Insta-Motto „Romantisierung meines Lebens“ lautet, durchbrach ihre eigene Blümchenkleid-Idylle in der NBC-Show „Today“ mit der Analyse: „Speziell die Generation Z hat die Nase gestrichen voll von dieser perfekt kuratierten Welt, die uns in den sozialen Medien im letzten Jahrzehnt vorgeführt wurde. Jetzt will sie dagegen rebellieren.“

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort