Den Österreichern steht Angriffsfußball
Premiere für Franco Foda als Teamchef: Die Nationalmannschaft zeigt in einem Pflichtspiel attraktiven Fußball. Beim 4:1-Sieg in Nordmazedonien spielte das österreichische Team so angriffslustig und dominant wie lange nicht mehr. Das flotte Spiel kam überraschend. Bislang dominierte biederes und abwartendes Ballgeschiebe, das vom Teamchef als Allheilmittel gepriesen wurde. Sein Vorbild: Frankreich, das trotz hochkarätiger Spieler mit kalkuliertem Fußball Weltmeister wurde. Fodas Denkweise funktioniert in etwa so: Wer hinten abwartet und kontert nimmt weniger Risko als jener der drauflos stürmt. Das Problem dabei: Österreichs Fußballteam besteht vorwiegend aus Spielern, die in ihren Vereinen wie wilde Stiere agieren und ihre Gegenspieler anlaufen, attackieren und unter Druck setzen.
Das österreichische Publikum schien verstimmt
Gegen Slowenien und Nordmazedonien liefen acht Spieler aufs Feld, die von Red Bull-Style geprägt sind. Sie spielen in ihren Vereinen seit Jahren mutigen, aggressiven Pressingfußball. In der Nationalmannschaft aber agierten sie verstörend ängstlich und abwartend. „Bei Salzburg ist die Devise nach vorne zu pressen“, erklärte Teamspieler Xaver Schlager zuletzt, um in Richtung ÖFB anzufügen: „Andere Mannschaften lassen sich lieber zurückfallen und stehen sicher.“ Dessen Salzburger Mannschaftskollege Stefan Lainer betonte: „Ich kann in der Nationalmannschaft nicht spielen wie im Verein, damit würde der Trainer wohl nicht einverstanden sein, weil hier ein anderer Fußball gespielt wird. In Salzburg spielen wir Pressing, im Team muss man sich in der einen oder anderen Situation zurücknehmen und den Laden dicht halten.“ Von Erfolg gekrönt war das bislang nicht. In die EM-Qualifikation startete Österreich so schlecht wie seit 1992 nicht mehr: mit zwei Niederlagen und einem Torverhältnis von 2:5.
Das österreichische Publikum schien verstimmt. Zögerlicher Ergebnisfußball wird geduldet, wenn gewonnen wird. Wenn eine unattraktive Spielweise aber nicht zu den gewünschten Resultaten führt, stellen sich viele Beobachter zurecht die Frage: Was ist Ergebnisfußball wert, wenn die Ergebnisse nicht passen?
Ob der Trainer zu den Spielern passt, wurde nicht abgeklärt
Die ÖFB-Führungsriege verpflichtete mit Franco Foda einen ihnen gut bekannten Mann, der jahrelang vor der eigenen Haustüre trainierte. Bei seinem Stammverein Sturm Graz ließ er reaktiven Fußball spielen, der nicht zu den Offensivgeistern (aus denen das aktuelle Nationalteam besteht) passt. Zuletzt meinte ÖFB-Präsident Leo Windtner im profil-Interview: „Jeder Trainer hat seine Handschrift. Es mag sein, dass eine Systemveränderung stattgefunden hat.“ Und: „Die Details, welches System gespielt werden soll“, seien bei der Teamchefsuche „nicht zwingend im Vorfeld zu fixieren.“ Sprich: Ob der Trainer zu den Spielern passt, wurde nicht abgeklärt.
Obwohl Fodas Trainer-Karriere nicht von Pressing- und Angriffsfußball geprägt war, forderte Windtner vor den beiden richtungsweisenden Spielen: „Österreich soll selbstbewusst und aktiv auftreten und, wenn es geht, mit dem Pressing, das wir gewohnt sind.“
Nun wurde in den letzten Tage immer wieder die Mär verbreitet, dass trotz der acht Bullen-Spieler auf dem Feld kein Pressing wie in Salzburg oder Leipzig gespielt werden könne, weil Verein und Nationalteam eben unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten unterlägen. Das hat eine gewisse Logik. Im Verein kann man jeden Tag an der Spielweise feilen, im Nationalteam zumeist nur in der Woche vor den Spielen. Auf der anderen Seite: Unter Teamchef Marcel Koller hatte die österreichische Nationalmannschaft attraktives Pressing gespielt. Es geht also.
Agieren statt verlieren
Also warum gegen die Vorzüge der Spieler agieren und aus Offensivgeistern Defensivapostel machen? Foda schien bislang die Schwächen der Spieler zu forcieren anstatt deren Stärken. Er schien sein eigenes vorsichtiges Naturell über jenes seiner mutigen Spieler zu stülpen. Der österreichische Trainer Adi Hütter erzählte einmal, wie die richtigen Spieler von einer falschen Spielweise sabotiert werden können. Als er zu YB Bern in die Schweiz wechselte, tauschte er die dortige Spielweise – von destruktivem Schlafwagenfußball auf munteren Hauruck-Kick. „Wir hatten schnelle und dynamische Fußballer“, erklärte Hütter, „welche, die sich einschläfern, wenn sie nur in die Breite spielen und abwarten.“ Bern wurde mit Hütter nach 32 Jahren erstmals Meister – mit der Symbiose aus den Vorzügen der Spieler und der passenden Spielweise.
Schon der geschasste Sportdirektor Willi Ruttensteiner erklärte vor drei Jahren im profil-Interview als Österreich Zehnter der Weltrangliste war: „Ich habe immer gesehen, dass man international mit einer abwartenden Spielweise nichts gewinnen kann. Heute agieren wir und sind erfolgreich.“
Gegen den Instinkt
Während Foda seine Mannen in den zahlreichen Testmatches mutig auftreten ließ, wandelte sich in den Pflichtspielen seine Herangehensweise. Foda wollte nun Fehler seines Teams vermeiden anstatt Hoppalas des Gegners erzwingen. Dabei klang zu Beginn seiner Amtszeit vieles recht vernünftig. Foda beobachtete die einzelnen Teamspieler in ihren Vereinen und legte seinen Fokus auf deren Positionen, Spielweisen, taktische Vorzüge. Das alles klang danach, als ob er für die Vorzüge seiner Spieler ein passendes Korsett schneidern wollte. Doch Foda griff durch den Ernst der Lage (Nations-League und EM-Quali) auf seine bevorzugte Spielweise zurück. Auf abwartenden Fußball.
Zuletzt äußerten gar Spieler wie der Salzburg Stefan Lainer auf Nachfrage, dass sie im Nationalteam gegen ihre gewohnten Instinkte handelten: „Natürlich will man oft noch mehr nach vorne machen, aber dann kommt ein Kommando, dass die Restverteidigung zu wahren ist. Die ist in Salzburg genauso wichtig, aber wir spielen sie natürlich ein bisschen anders.“ Im Nationalteam sah das Spiel bislang so aus: Wenige Männer laufen sich vorne müde und der Rest wartet ängstlich weiter hinten und versorgt die drei braven Angreifer mit hohen Bällen.
Chance gewahrt
Nun hat Teamchef Foda seine forcierte Spielweise (Abwarten anstatt Agieren) mit dem 4:1-Sieg in Nordmazedonien selbst torpediert. Er hat gezeigt, dass seiner Mannschaft ein mutiges Pressing und ein herzhaftes Angriffsspiel besser stehen als die bisherige Zögerlichkeit. Zudem wurde die Mär beseitigt, dass Pressing in der Kürze der Vorbereitung nicht zu trainieren sei.
Und es wurde deutlich: Wenn zwei oder drei Torchancen vergeben werden, wetzt man die Scharte am besten damit aus, indem weitere Torchancen erspielt werden. Die vergleichsweise einfachen Gruppengegner (Lettland, Nordmazedonien, Slowenien, Israel, Polen) verlangen ein dominantes, kein devotes Auftreten. Nur kurz schien das Team wieder in alte Muster zu verfallen, nach dem 2:1-Führungstreffer, als es ein wenig nach dem üblichen Verwaltungsmodus aussah, der die Gegner zuletzt oft ins Spiel zurückholte. Doch Stefan Ilsanker, Pressingmonster bei RB Leipzig, presste forsch nach vorne und leitete so das spielentscheidende 3:1 ein.
Die österreichische Nationalmannschaft hat damit ihre Chance gewahrt, an der Europameisterschaft teilzunehmen. Und der Teamchef konnte erfolgreich eine Teamchef-Diskussion (die es nach einer Niederlage gegeben hätte) abwehren. Es muss ein Leichtes für ihn sein, die richtigen Schlüsse aus den vier Qualifikationsspielen zu ziehen: seinen Spielern steht angreifen, nicht abwarten.