Der Bauernreport: Die Macht am Land
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In Niedersulz ist die Hierarchie offensichtlich. Höher als der Kirchturm überragt der Raiffeisen-Turm das 390-Einwohner-Dorf im östlichen Weinviertel. Gleich daneben, deutlich niedriger, steht das Lagerhaus der Erzeugergemeinschaft EGZ, gegründet vor mehr als 30 Jahren von Franz Bauer. Damals hatte er gerade den elterlichen Hof übernommen und wollte es anders machen, wollte nicht mehr nur produzieren, sondern unabhängig vom Lagerhaus die eigenen Produkte vermarkten. Das war damals revolutionär. Mittlerweile lagern hier knapp 200 Bauern ihren Weizen und ihre Gerste und verkaufen direkt an Bierbrauer, Mühlen und Nudelhersteller. Politisch Stellung beziehen wollte Franz Bauer eigentlich nie, „aber das fällt uns jetzt auf den Kopf“, sagt er.
Denn er ist mit seiner Standesvertretung so gar nicht zufrieden. „Wir werden als Querulanten dargestellt, wenn wir grobe Mängel aufzeigen.“ Gemeinsam mit Kollegen hat er vor fünf Jahren Vertretern von Bauernbund und Landwirtschaftskammer vorgeschlagen, dass die Agrarförderungen an die Inflation angepasst werden sollten. „Damals wurden wir dafür ausgelacht. Jetzt fordern sie das selbst, damit wir nicht auf die Straße gehen.“ Aber: „Bauernproteste wird’s in Österreich erst geben, wenn die ÖVP nicht mehr in der Regierung ist.“
In Europa regt sich dieser Tage an vielen Orten der Bauernaufstand, in Frankreich, in den Niederlanden, in Italien, Spanien und zuletzt sehr massiv auch in Deutschland. Die Gründe für die Proteste sind je verschieden, die Ursache ist im Wesentlichen aber dieselbe: Landwirte in ganz Europa stehen unter massivem Preisdruck, die Wirtschaftlichkeit vieler Betriebe ist nur dank enormer Förderungen und Zuschüsse zu gewährleisten, die wiederum an zunehmend strenge Vorgaben und Richtlinien gekoppelt sind, die das Leben und Arbeiten vieler Bauern zwar finanziell ermöglichen, aber praktisch gehörig verkomplizieren. In Österreich scheint die Lage – bis auf einen eher halbherzigen Versuch von FPÖ-Agrarsprecher Peter Schmiedlechner, gegen die Regierung zu mobilisieren – vergleichsweise ruhig. Das liegt auch daran, dass die Bauernschaft hier bis in die Regierungsspitze politisch stark vertreten ist. Und dennoch: Es rumort im Land am Land.
1. Sorgen und Nöte
Der EZG-Gründer aus Niedersulz Franz Bauer sieht die Zukunft der Landwirte pessimistisch. „In 20 Jahren wird es keine Bauern mehr im herkömmlichen Sinn geben, es wird Agrarbewirtschafter geben.“ Immer größere Betriebe kaufen Landflächen, die meisten Bauern können bei den Bodenpreisen nicht mehr mit. Ideen hätte er zwar noch viele, aber: „Wer als ein Junger kein Revoluzzer ist, hat kein Herz, aber ein Narr will ich auch nicht werden“, sagt er. Er überlässt das Feld jetzt den Jungen.
Und zum Glück hat er einen solchen gefunden, Christoph Haudek, seinen Schwiegersohn. Auf dem Weg zum EGZ-Getreidelager steht links Franz Bauers gelbes Haus, das in den 1980er-Jahren gebaut wurde. Rechts davon ein moderner weiß-grauer Neubau aus den 2010er-Jahren. Optisch könnte der Unterschied kaum größer sein, inhaltlich sind Vorgänger und Nachfolger aber auf einer Linie.
Christoph Haudeks Weg zum Bauern war nicht von Anfang an klar. Nach der HTL in Wien arbeitete er knapp ein Jahrzehnt bei dem Baukonzern Alpine als Bauleiter – und kündigte kurz vor deren Konkurs, um in die Landwirtschaft zu gehen. Das ist mittlerweile auch wieder zehn Jahre her. Eines davon war top (2022), eines sehr gut (2021), vier wirklich schlecht und der Rest so lala. Haudek macht seinen Job mit Herzblut, aber verdient jetzt deutlich weniger als vor zehn Jahren in seiner alten Tätigkeit.
In der hellen Wohnküche mit Kochinsel richtet Haudek einen Kaffee her. Seine Frau ist in der Arbeit. Sie ist Steuerberaterin, ohne ihr Gehalt würde es hier anders ausschauen, betont er. Und das, obwohl er eigentlich viel Grund hat: 350 Hektar mit Getreide, Zuckerrübe, Mais und ein bisschen Raps, ein Drittel Eigentum, zwei Drittel Pacht.
Christoph Haudek, Landwirt in Niedersulz (Weinviertel)
Seit ein paar Jahren ist der 38-Jährige auch bei der EGZ aktiv. Aus seiner politischen Vertretung – dem Bauernbund – ist er vor zwei Jahren ausgetreten. „Ich halte das nicht so gut aus wie der Franz (sein Schwiegervater Franz Bauer, Anm.). Wenn einen die eigene Vertretung auslacht, dann verschwende ich meine Zeit nicht mehr mit denen.“ Egal von welcher Partei – vertreten fühlt er sich nicht. Protestbereit ist er aber durchaus. „20 Traktoren reichen, und Wien steht still.“ Aber eine Bewegung dazu gebe es noch nicht.
Laut Statistik Austria arbeiten 157.000 Erwerbstätige in der österreichischen Land- und Forstwirtschaft, davon 90.000 Männer und 67.000 Frauen. Rund drei Prozent der heimischen Erwerbstätigen sind damit in der Landwirtschaft tätig (am höchsten ist der Anteil im Waldviertel mit rund zehn Prozent). Zählt man auch teilbeschäftigte Personen und nichtentlohnte Familienmitglieder mit, sind bis zu 420.000 Menschen in Österreich land- oder forstwirtschaftlich aktiv.
Natürlich gibt es den Bauern genauso wenig, wie es den Journalisten gibt oder die Steuerberaterin. Aber es gibt vom Bauern, anders als bei anderen Berufsgruppen, ein kollektives Bild, das leider leicht überzeichnet ist und ziemlich klischeebehaftet. Landwirte sind für das kollektive Selbstbewusstsein des Landes zentral, Österreich ist nicht nur im Marchfeld ein Land der Äcker. Noch im Jahr 1960 betrug die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Österreich mehr als 40.000 Quadratkilometer (von knapp 84.000 Quadratkilometern, die dieses Land insgesamt umfasst). Heute liegt der Wert bei etwa 25.500 Quadratkilometern. Im Jahr 1951 waren 1,5 Millionen Menschen in Österreich in der Landwirtschaft tätig, damals 21,9 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Diese Geschichte hat Bestand. Bauernromantik und Landidyll prägen das Land bis in die Gegenwart, von der neorustikalen Zirbenstube über das landlustige Lifestyle-Magazin und den Strohballen-Rock von Andreas Gabalier bis hinein in Werbesujets und Reality-TV, siehe: „Bauer sucht Frau“.
Tatsächlich ist das Hofleben manchmal idyllisch, aber nicht immer nur romantisch. Bauern sind heute stets auch Qualitätsmanager, Lebensmitteltechnologen und Förderfragenfüchse, müssen Margen im Blick haben und Richtlinien gegeneinander abwägen. An modernen Höfen herrscht ein Jargon, in dem sich die Fachvokabeln stapeln, wo von ÖPUL und nAKs die Rede ist, von IVEKOS und GAP-Interventionsbereichen.*
2. Idylle und Realität
Einen Katzensprung von Knittelfeld entfernt, einmal über die Mur hinüber, beim Adeg links, mitten in Großlobming, liegt der Hof der Familie Moser-Reinisch, vulgo Handlmoar, eine klassische gemischte Landwirtschaft am steirischen Murboden: je zwei Dutzend Kalbinnen und Schweine, 100 Hühner, Erdäpfelacker, ein paar Hektar Grünland fürs Futter. Neben dem Wohnhaus steht ein 300 Jahre alter Stall, der als Lager dient, ein Unterstand für die ganzjährig im Freiland lebenden Rinder, weiter am Ortsrand liegt die „Schweineoase“, wo Duroc- und Schwäbisch-Hällische Landschweine ebenfalls im Freien leben. Eine Landidylle fast wie aus dem Bilderbuch, und ein echtes Mehrgenerationenprojekt: Jüngstbauer Kilian, 4, schaufelt schwer schnaufend Erdäpfel aus dem Keller, Oma Ingrid verpackt sie zweikiloweise für den Hofladen, in dem auch Apfelsaft, Eier, Wurst- und Fleischwaren aus eigener Produktion verkauft werden, Altbauer Josef schaut zu und schwärmt von der Entwicklung, die der Hof genommen hat, seit seine Tochter Marion und ihr Mann Johannes den Betrieb übernommen haben: „Es ist fast kitschig, so ideal ist das.“
Johannes kommt, relativ unkitschig, gerade mit einem dick verbundenen Finger aus dem Spital, er hat sich beim Fleischverarbeiten verletzt und sollte – ärztlicher Rat – jetzt erst einmal zehn Tage lang nicht arbeiten. In der Praxis natürlich unvorstellbar, so ein Hof braucht jeden verfügbaren Finger, sogar wenn drei Generationen mitrackern.
Im Schnitt aller Betriebe verdienten heimische Land- und Forstwirte im Jahr 2022 je 45.757 Euro. Das waren stattliche 42,3 Prozent mehr als im Jahr 2021 – ein Effekt, der vor allem auf den stark gestiegenen Erzeugerpreisen basiert und im vergangenen (noch nicht statistisch abgerechneten) Jahr bereits wieder deutlich zurückgegangen sein dürfte. An Förderungen, Ausgleichszahlungen und anderen Einkünften aus öffentlichen Quellen lukrierten die heimischen Betriebe anno 2022 durchschnittlich 23.159 Euro. Mit anderen Worten: gut 50 Prozent ihres Gewinns. Öffentliche Zuwendungen machen also einen erheblichen Teil vieler bäuerlicher Einkommen aus. Reformen in diesem Bereich werden entsprechend skeptisch beobachtet, schon geringfügige Veränderungen können für einzelne Betriebe dramatische Auswirkungen haben. Zugleich beklagen Bäuerinnen und Bauern fast unisono die überschießende Förder-Bürokratie, die aus Wien und Brüssel auf sie zukommt.
Mit unserem Hofladen sind wir in einer Nische unterwegs und haben zum Glück Kunden, die bereit sind, einen angemessenen Preis für Lebensmittel zu bezahlen.
3. Bauer sucht Wertschätzung
„Ich habe lange darüber nachgedacht, warum so viele Bauern eigentlich so unzufrieden sind“, erzählt Johannes Reinisch vom obersteirischen Handlmoar-Hof, der selber gelernter Elektrotechniker ist und erst über seine Frau zur Landwirtschaft fand: „Ich glaube, es liegt daran, dass sie über Jahrzehnte hin beim Preis kein Wort mitreden konnten. Man hat halt sein Getreide, die Milch oder das Fleisch über die Genossenschaft verkauft, hat sich deshalb nicht um den Endkunden scheren müssen, aber eben auch nichts zu melden gehabt, was die Preisgestaltung betrifft. In der Direktvermarktung kannst du deinen Preis selbst bestimmen. Aber natürlich sind wir mit unserem Hofladen in einer Nische unterwegs und haben zum Glück Kunden, die bereit sind, einen angemessenen Preis für Lebensmittel zu bezahlen.“
Josef Moser, der Altbauer vom Handlmoarhof, wünscht sich, „dass die Leute endlich eine realistische Vorstellung vom Bauernberuf bekommen.“ Zum Beispiel, dass hier Nutztiere gehalten werden, die am Ende ihres Lebens mit einem Schlachtschussapparat Bekanntschaft machen. „Viele kennen ja nur das sprechende Schweindl aus der Werbung oder glauben, dass Kühe lila sind.“ Auch Mosers Tochter Marion arbeitet intensiv daran, ihren Beruf zu vermitteln, in Workshops mit Schulklassen, im persönlichen Gespräch beim Ab-Hof-Vertrieb, es ist ihr ein Anliegen. „Viele Leute haben ja nicht mehr den Bezug zur Landwirtschaft.“ Die sehen dann vielleicht die Freilandhof-Idylle, sehen aber trotzdem nicht ein, warum der Traktor um sechs Uhr früh durchs Dorf fahren muss oder dass die Tiere halt manchmal schreien. „Dass unser Hof mitten im Ort liegt, hat seine Vor- und seine Nachteile. Einerseits ist die Kundschaft nahe, andererseits gibt es in der Gemeinde schon auch manchmal Skepsis.“
Volkswirtschaftlich bilden Land- und Forstwirtschaft den ersten Sektor, in dem die Produktivkraft eines Landes ihre historischen und materiellen Wurzeln hat. Landwirte sichern unsere Ernährung, halten Kulturlandschaften in Schuss und erhalten soziale Strukturen im ländlichen Bereich. Wenn alles gut geht. Denn natürlich gibt es Bauern, die für den eigenen Profit Land und Leute ruinieren und die, wenn der Profit groß genug ist, teils auch tatkräftige Rückendeckung aus der Politik erhalten. Aber es gibt eben doch sehr viele mehr, die sich täglich abrackern und am Ende des Geschäftsjahres trotzdem kaum ein Plus am Konto vorfinden, wenn überhaupt.
Die Wertschätzung für den Bauernstand ist im Land ungleich verteilt: Einerseits sind Landwirte ein Inbegriff des Heimatidylls, Werbeikonen und Kulturbotschafter; zudem Hauptverantwortliche bei der Bekämpfung von Artensterben und Klimawandel, Bio-Botschafter und Öko-Vorzeigemodelle. Andererseits haben wir es mit von Weltmarktpreisen erdrückten Kleinunternehmern zu tun, deren Arbeit auf einmal nur mehr ganz wenig gilt, wenn es darum geht, im Supermarkt mehr als zehn Euro für den Kilo Schweinebauch zu bezahlen. Im Schnitt stagnieren die Einkommen österreichischer Bauern seit drei Jahrzehnten – auch wenn die Jahre 2021 und 2022 teils große Erlössprünge brachten. Aber auch bei den Ausgaben sieht die Rechnung inzwischen anders aus, Treibstoff-, Dünge- und Futtermittelkosten schießen ins Kraut.
Bauern sind zwar buchstäblich mit der heimischen Scholle verbunden, aber mit globalen Entwicklungen gleichzeitig sehr viel enger vernetzt als so manches Dienstleistungsgewerbe. Kriege und Krisen schlagen sehr direkt in der Landwirtschaft auf, sei es über Rohstoffpreisentwicklungen, Absatzmarktprobleme, Düngemittelknappheit oder Energieversorgungsengpässe. Auch der Klimawandel wirkt sich dramatisch auf die heimische Bauernschaft aus, Hagelschäden, Trockenheit und Überschwemmungen bedrohen Existenzen. Allein die Dürreschäden in Österreich betrugen im Jahr 2022 rund 130 Millionen Euro.
In Deutschland regte sich in dieser Gemengelage zuletzt politische Aktion. Zehntausende Landwirte blockierten mit ihren Traktoren Teile der Hauptstadt Berlin. Akuter Auslöser der Proteste war der Plan der Regierung, das Dieselprivileg der Landwirtschaft zu kappen. Die ranghöchsten Bauernvertreter Österreichs – Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Landwirtschaftskammerpräsident Josef Moosbrugger und Bauernbund-Obmann Georg Strasser (alle: ÖVP) zeigten sich am vergangenen Wochenende per gemeinsamer Aussendung „solidarisch mit den deutschen Bäuerinnen und Bauern“ und übten „harsche Kritik an der Regulierungspolitik der EU-Kommission“. Moosbrugger führte bei der Gelegenheit noch weiter aus: „Als österreichische Bäuerinnen und Bauern sind wir froh, in unserer Regierung noch Partner zu haben, die uns zuhören und sich in Worten und Taten klar zu unserer familiengeführten Land- und Forstwirtschaft bekennen. Natürlich ist auch die Stimmungslage in der österreichischen Bauernschaft herausfordernd. Wir haben viele ähnliche Schmerzpunkte wie die Deutschen – in Form der gleichen Vorgaben durch die Gemeinsame Agrarpolitik und den längst überholten ‚Green Deal‘, wo die Praktikabilität zunehmend leidet.“
Als österreichische Bäuerinnen und Bauern sind wir froh, in unserer Regierung noch Partner zu haben, die uns zuhören und sich in Worten und Taten klar zu unserer familiengeführten Land- und Forstwirtschaft bekennen.
4. Marsch durch die Institutionen
Im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil ist der politische Einfluss der Landwirte überproportional. Proteste wie in Deutschland sind schon allein deswegen auszuschließen, weil die Bauern in der Regierung sitzen. ÖVP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, 49, wuchs als eines von sieben Kindern auf einem Bauernhof, einem Milchviehbetrieb, in Tristach im Bezirk Lienz auf. Er durchlief das typische Nachwuchsprogramm des ÖVP-Bauernbunds – der neben dem Wirtschaftsbund wohl mächtigsten Teilorganisation der Volkspartei. Nach dem Studium in Innsbruck arbeitete Totschnig als Mitarbeiter von Bauernbund-Abgeordneten, danach als Referent im ÖVP-Klub und in schwarzen Ministerkabinetten. 2017 wurde er schließlich Direktor des Bauernbundes. Wer diese Interessenvertretung leitet, ist automatisch ein Kandidat für das Ministeramt, sofern die ÖVP das Landwirtschaftsministerium innehat – also fast immer. In der Geschichte der Zweiten Republik war das Ministerium nur während der SPÖ-Alleinregierung in den 1970er-Jahren und der rot-blauen Koalition von 1983 bis 1987 nicht in der Hand der ÖVP.
Prominente Direktoren des Bauernbundes, die es ins Ministeramt schafften, waren Wilhelm Molterer und Josef Pröll. Beide wurden auch ÖVP-Bundesparteiobmänner. Gründer und Ahnherr des Bauernbunds ist der Parteiheilige der ÖVP: Leopold Figl. Der frühere schwarze Obmann Josef Riegler entstammt dem Bauernbund ebenso wie die Landeshauptmänner Erwin Pröll (Niederösterreich) und Josef Krainer jr. (Steiermark). Von den rund 1500 Bürgermeistern, die die ÖVP bundesweit stellt, gehört etwa die Hälfte dem Bauernbund an.
Manchmal verschlägt es Bauernvertreter auch in fachfremde Ressorts. Klaudia Tanner war vor ihrer Beförderung zur Verteidigungsministerin Direktorin des niederösterreichischen Bauernbunds. Dessen traditioneller Ball im Wiener Konferenzzentrum ist alljährlich eine Mussveranstaltung für die ÖVP-Parteispitze vom Parteiobmann abwärts. Auch heuer tanzte Kanzler Karl Nehammer an.
Aufgrund seines Einflusses in der ÖVP verstand es der Bauernbund noch in jeder Koalitionskonstellation, seine Interessen zu wahren, auch in der schwarz-grünen Regierung. Mit ihrem Wunsch nach einem nationalen Verbot des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat setzte sich Umweltschutzministerin Leonore Gewessler gegen die Bauernschaft nicht durch. Auch beim Tierschutz musste sie raufen. So stimmte die ÖVP 2022 dem von den Grünen geforderten Verbot des Vollspaltenbodens in der Schweinehaltung zu, allerdings nur mit einer langen Übergangsfrist von 17 Jahren. Im Jänner sprang der Verfassungsgerichtshof den Grünen zur Seite und hob die Übergangsfrist auf, da diese „zu lang und sachlich nicht gerechtfertigt“ sei. Der Streit um den Abschuss von Wölfen belastet das Verhältnis zwischen Gewessler und der schwarzen Bauernschaft ebenfalls nachhaltig.
Auch steuerlich genießen die Bäuerinnen und Bauern im Vergleich zu anderen Berufsgruppen eine gewisse Bevorzugung. Ein Großteil der Landwirte versteuert nicht ihren tatsächlichen Gewinn, sondern nutzt die sogenannte Pauschalierung auf Basis eines fixen Einheitswerts, wodurch sich in der Regel eine geringere Steuerschuld ergibt. Solange die ÖVP in der Regierung ist, wird sich daran nichts ändern. Auch von der seit Oktober 2022 geltenden CO2-Bepreisung bleiben die Bauern dank ihrer Interessensvertretung verschont, denn durch eine Steuerrückvergütung auf Dieselkraftstoff wird ihnen diese abgegolten. Die Folgen der Teuerung und der Corona-Krisen wurden den Bauern ebenfalls großzügig abgegolten.
Das Ja der Bauern zum EU-Beitritt 1995 wurde erst durch das Zugeständnis der Regierung gesichert, alle negativen Folgen der Mitgliedschaft für die Landwirtschaft auszugleichen. Weniger konziliant sind die Bauernvertreter in Zusammenhang mit Freihandelsabkommen, bei denen sie ruinöse Billig-Importe befürchten. Am Agrar-Widerstand scheitert sogar die mächtige Industriellenvereinigung. So blockierten Landwirtschaftskammer und Bauernbund sowohl die Verhandlungen zum letztlich gescheiterten EU-Abkommen mit den USA (TTIP) und über lange Zeit auch den EU-Freihandelsvertrag mit Kanada (CETA). Ein Abkommen mit Südamerika (Mercosur) lehnen Österreichs Bauern kategorisch ab. Unterstützt werden die Landwirte dabei vom Boulevard. Die „Kronen Zeitung“ kampagnisiert regelmäßig gegen derartige Freihandelsabkommen. „Krone“-Gründer Hans Dichand hatte die Bauernschaft besonders ins Herz geschlossen und veröffentlichte in seinem Blatt ein eigenes „Krone“-„Bauernmanifest“.
Über ihre Genossenschaften ist Österreichs Bauernschaft selbst eine wirtschaftliche Großmacht. Die Raiffeisengruppe fußt auf 1400 selbstständigen Genossenschaften im Eigentum von zwei Millionen Menschen. Zur Gruppe zählen Banken, Lagerhäuser, Molkereien, Beteiligungen an Nahrungsmittelkonzernen wie der Agrana und an Medienunternehmen wie dem „Kurier“ (und damit auch am profil, Anm.).
Der Bauernbundball ist die größte Ballveranstaltung des Landes, hier die Eröffnung der Vorjahresauflage im Februar 2023 in der Grazer Stadthalle.
5. Traumberuf: Bauer
Wie lange es den Hof schon gibt, auf dem Stefan Gröbl seine Schweine mästet, kann er selbst nicht so ganz genau sagen. Fix ist eigentlich nur: „Den gibt es quasi ewig. Auf den Karten, die es aus der Zeit von Maria Theresia noch gibt, sind die Häuser alle schon so eingezeichnet.“ Als reinen Schweinebetrieb gibt es Gröbls Bauernhof – der in Röhrapoint liegt, einem kleinen Weiler beim niederösterreichischen Pöchlarn – seit gut 50 Jahren. Dass er den Hof selbst einmal übernehmen wollen würde, war für Gröbl früh klar, es ist, ohne Übertreibung, sein Traumberuf: „Ich wollte schon im Kindergarten Bauer werden.“ Natürlich: „Man muss sehr flexibel sein und am besten alles können. Selbstständig heißt in der Landwirtschaft: alles selbst, und zwar ständig.“
Gröbl ist beileibe kein Großbauer, heute bewirtschaftet er rund 40 Hektar Ackerfläche (rund 56 Fußballfelder), auf denen überwiegend Weizen, Roggen, Mais und Soja wachsen, das meiste davon wird im eigenen Betrieb weiterverarbeitet und kommt dem eigentlichen Hauptgeschäft zugute. Das sind die rund 200 Schweine, die im neuen, anno 2017 errichteten Stall stehen: Pietrain, Edelschwein, Duroc – je nachdem, was der Züchter im Angebot hat. Vier Monate leben die Tiere bei Gröbl, dann werden sie im Ort geschlachtet und am Hof weiterverarbeitet.
Stefan Gröbls Eltern haben schon 1990 mit der Direktvermarktung in der eigenen Fleischerei begonnen, eine Pionierleistung, von der Gröbl bis heute profitiert, denn „mit der Landwirtschaft allein würde es sich nicht ausgehen“. Ohne Förderungen, ganz ehrlich, auch nicht. Die Wertschätzung der Landwirtschaft durch die Gesellschaft ist vorhanden, aber ausbaufähig: „Hier im ländlichen Bereich spürt man sie schon, aber je näher es in Richtung Stadt geht, desto schlechter wird’s.“
In Österreich hören täglich fünf Betriebe au
In seinem „Berufslexikon“ vermerkt das AMS unter dem Stichwort „LandwirtIn“: „LandwirtInnen beschäftigen sich mit der Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Ihre Tätigkeiten und Aufgaben können, je nach Betriebsgröße und Schwerpunkt, vielfältig sein.“ Als „typische Tätigkeiten“ sind da unter anderem vermerkt: „Landwirtschaftliche Erzeugnisse produzieren, Boden vorbereiten, Nutzpflanzen anbauen und pflegen, Ernte einbringen, Nutztiere züchten und pflegen, Betrieb und Budget verwalten, gesetzliche Bestimmungen beachten, Geräte und Maschinen warten, Produkte vermarkten und verkaufen.“ Und wie steht es nun um die „Berufsaussichten“? „In der Landwirtschaft kam es in den letzten Jahren vermehrt zu Betriebsschließungen, sodass das Arbeitsplatzangebot beschränkt ist. Ebenso ist die Chance auf eine selbstständige Berufsausübung gering, da meist die einzige Möglichkeit in der Übernahme von elterlichen Betrieben besteht. Die Berufsaussichten für LandwirtInnen sind gleichbleibend stabil.“
Besser gesagt: stabil schlecht. Aktuell gibt es in Österreich laut dem „Grünen Bericht“ des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft exakt 107.690 land- und forstwirtschaftliche Betriebe. Das sind 791 weniger als ein Jahr davor. Im Jahrzehnteabstand wird der Strukturwandel noch deutlicher: 1960 waren laut Statistik Austria in Österreich 400.000 landwirtschaftliche Betriebe registriert, 1995 noch gut 240.000. „In Österreich hören täglich fünf Betriebe auf“, erklärt In Österreich hören täglich fünf Betriebe au, Geschäftsführer des Vereins „Perspektive Landwirtschaft“: „Und ungefähr zehn Prozent der heute aktiven Betriebsleiter sind eigentlich schon im Pensionsalter.“ Der vor zehn Jahren von einer Gruppe Boku-Studierender gegründete Verein vermittelt Bauernhöfe ohne Nachfolger und Menschen, die in der Landwirtschaft tätig werden wollen. Im Jargon nennt sich das: außerfamiliäre Hofübergabe. Jungreithmeier: „In einer Bedarfsstudie im Jahr 2015 haben wir festgestellt, dass rund ein Drittel der Betriebe, die unmittelbar vor der Pensionierung der Betriebsleiter stehen, keine Nachfolge geregelt hatten.“ Solchen Betrieben kann der Verein eine Perspektive eröffnen. Pro Jahr wickelt er rund
15 Hofübergaben ab, in der Regel handelt es sich um mehrjährige Prozesse. Es gibt viel zu klären, Steuerfragen, unrealistische Vorstellungen: „Es gibt sehr viele Interessenten, darunter hauptsächlich sogenannte „weichende Erben“, die von Landwirtschaften kommen, die aber von Geschwistern übernommen wurden, aber auch viele landwirtschaftsferne Personen, bei denen die Bandbreite, was Vorwissen und realistische Einschätzung betrifft, sehr groß ist. Da gilt es dann, die idyllische Vorstellung mit einem Realitätsabgleich zu versehen.“
© Sebastian Hofer
Stefan Gröbl, Schweinebauer in Röhrapoint (Niederösterreich), in der hauseigenen Fleischerei
Stefan Gröbl, Schweinebauer in Röhrapoint (NÖ), in der hauseigenen Fleischerei.
6. Auf weiter Flur
Die Tour durchs Agrarland Österreich ergibt als vorläufiges Ergebnis: Den Bauern im Land taugt vieles nicht. Sie machen ihren Job durchwegs gerne, aber oft unter Bedingungen, über die sie gut schimpfen können. Auf die Barrikaden treibt das aber nur die wenigsten. Der politische Import der Bauernproteste aus Deutschland ist, zumindest bisher, ein entsprechend holpriges Unterfangen. Vorangetrieben wird er vor allem von FPÖ-Agrarsprecher Peter Schmiedlechner. Mitte Jänner besuchte er eine Großdemo in Deutschland und erklärte anschließend in einer Aussendung: „Wir solidarisieren uns mit den Anliegen der deutschen Landwirte! Die heimischen Bauern kämpfen mit ähnlichen Problemen.“ Anschließend lud er zu einer Protestkundgebung am 19. Jänner auf den Wiener Ballhausplatz.
Doch schon in der Vernetzungsgruppe, die Schmiedlechner auf WhatsApp gründete, lief nicht alles nach Plan. „Eine ernst gemeinte Frage von mir: ist das Vorwahlkampf oder geht’s da wirklich um uns?“, fragte ein Mitglied – und wurde wenig später aus der Gruppe entfernt. Ein anderer schrieb, dass die FPÖ in den letzten vier Jahren „sehr stark gegen die Landwirtschaft“ gearbeitet habe.
Auch die Kundgebung selbst wurde ein Reinfall. Elf Traktoren parkten auf dem Ballhausplatz, rund 200 Leute versammelten sich und lauschten den Reden von Schmiedlechner und FPÖ-Bauernvertreter Christian Tornehl. Die beiden bekräftigten ihre Kritik an sinkenden Preisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und steigenden Auflagen der Fördergeber.
Ihr Publikum bestand allerdings zum Großteil aus alteingesessenen Corona-Leugnern, die für die Kundgebung mobilisiert hatten. Die rund 50 teilnehmenden Landwirte standen buchstäblich am Rande der Menschentraube. Ein burgenländischer Bauer, der anonym bleiben wollte, hielt die vielen Schilder gegen Impfpflicht und die Weltgesundheitsorganisation WHO für „skurril“. Ein Jungbauer aus Niederösterreich, der seinen Namen auch nicht in der Zeitung lesen wollte, hielt die FPÖ-Organisation der Kundgebung für schädlich: „Das hat sicher viele Leute abgeschreckt.“
7. Am Ende der Straße
Die burgenländische Landesstraße L205 hat ihren Anfang in Weiden am See. Über 30 Kilometer hinweg quert sie den Seewinkel, eine der ungewöhnlichsten Landschaften Österreichs. Zwischen dem Neusiedler See und der ungarischen Grenze ist es hier so flach wie nirgends sonst in Österreich. Kein Berg, nicht einmal ein Hügel verstellt den Blick: Felder und Weingärten, so weit das Auge reicht.
In Pamhagen, wo die L205 endet, lebt und arbeitet Ernst Tschida. 2003 hat er den Bauernhof von seiner Mutter übernommen, er führt ihn in dritter Generation. Und das auf ziemlich großen Flächen: 33 Hektar bewirtschaftet Tschida im Burgenland, in Ungarn sind es gar 550, der Großteil davon gepachtet. Sechs Personen sind dafür insgesamt bei dem 39-Jährigen angestellt. In Österreich kümmern sie sich um Obst, vor allem Holunder, auf den großen Gründen in Ungarn säen und ernten sie Weizen, Mais, Sojabohnen. Und das alles in Bio-Qualität. Tschida hat dafür moderne Geräte in seiner Halle stehen: Traktoren, in deren Kabine man sich fühlt wie in einem Raumschiff, und einen Mähdrescher, der den großgewachsenen Tschida winzig aussehen lässt.
Aber das Geschäft floriert nicht. Tschida denkt gerade viel über die Zukunft der Landwirtschaft nach. Wenn man ihn nach den Problemfeldern der Branche fragt, sprudelt es aus ihm heraus. Dafür hat er im Winter – zwischen Saat und Ernte – mehr Zeit als üblich. Da ist das zunächst das Wetter. Viel geregnet hat es im Seewinkel nie, aber in den Jahren 2021 und 2022 griff die Trockenheit um sich. „So trocken war es, seitdem ich den Betrieb führe, noch nie“, sagt Tschida.
Als der Regen dann im Vorjahr zurückkehrte und sich die Erntemengen stabilisierten, hatte Tschida plötzlich andere Probleme: Die Weltmarktpreise – vor allem für Weizen – brachen ein und rasselten auf das Niveau der Vor-Corona-Jahre hinunter: „Die Inflation frisst uns auf.“ Diesel, Reparaturen, Maschinen: alles um 20 Prozent teurer. Und dann noch die Personalkosten. Der Lohn seiner sechs Angestellten sei seit 2021 um 45 Prozent gestiegen. „Die Arbeitskräfte verdienen bald mehr als die Landwirte“, sagt Tschida. „Gute Arbeitsbedingungen sind wichtig, aber das kann es nicht sein. Ich trage ja das Risiko.“
Der Burgenländer, der auch Bauernbund- und Landwirtschaftskammerfunktionär ist, findet, das Problem sei keines der österreichischen Politik, sondern vor allem eines der EU. Die Importe aus der Ukraine und anderen Drittstaaten, die den Ackerbauern der Unionsstaaten das Leben schwer machen, seien bei allem Verständnis für die Situation dort ein Beispiel, die überbordende Bürokratie ein zweites. Sein Resümee: „Ich könnte mir schon vorstellen, wie meine deutschen Kollegen auf die Straße zu gehen. Aber wenn, dann nur in Brüssel.“
Moritz Ablinger
war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.
Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.
Sebastian Hofer
schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.