Marcel Koller
Zurück in die Vergangenheit

Der ÖFB nach Marcel Koller: Zurück in die Vergangenheit

Abschied von Marcel Koller

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Beim Hois´n Wirt in Gmunden endete die Teamchef-Ära von Marcel Koller. Weil es die Verbandsstruktur des ÖFB so vorsieht, verhandelten der Präsident, neun Landespräsidenten und drei Vertreter der Bundesliga fünf Stunden lang, um dann zu verkünden: Kollers Vertrag wird nicht verlängert. So glanzvoll die Amtszeit des Schweizers über weite Strecken für den österreichischen Fußball war, so provinziell endete sie. Beim Wirten ums Eck. Ein neuer Teamchef wird gesucht. Möglicherweise bald sogar ein neuer Sportdirektor. Und die Gefahr ist groß, dass der Verband in alte Muster zurückfällt. Ob Sportdirektor Willi Ruttensteiner weiter machen darf, ist mehr als ungewiss. Zuerst muss er eine Analyse abliefern, wie das Nationalteam wieder erfolgreich werden kann. Dann soll er am Anforderungsprofil für den neuen Trainer basteln. Den Teamchef suchen – wie Ruttensteiner das vor sechs Jahren gemacht hat – darf er aber allem Anschein nach nicht. „Er war die letzten 18 Jahre Sportdirektor und muss jetzt zeigen, wie man aus dieser Todesspirale rauskommt“, erklärt der niederösterreichische Landesverbandspräsident Johann Gartner auf Nachfrage. „Wenn wir dann sagen: Okay, dem trauen wir, dann soll er weitermachen. Ansonsten werden wir die Konsequenzen ziehen.“

Ruttensteiner ist bei den Landespräsidenten nicht beliebt. Als Präsident Leo Windtner und Ruttensteiner den Schweizer Koller einst durchboxten, klagten einige lauthals, übergangen worden zu sein. Nur per Handzeichen den Vorschlag des Sportdirektors zu bestätigen war vielen zu wenig. Bei Windtners Wiederwahl zuletzt forderten sie ihre Rechte vehement zurück. Windtner ist daraus geschwächt hervorgegangen, die Landespräsidenten haben wieder ein gewichtigeres Wort. Vor allem die Front gegen den Sportdirektor ist breit.

Manche beklagten in der Vergangenheit die vielen Vorschriften des Theoretikers für die Ausbildungsschiene ihrer Landesverbände. Der Salzburger Vertreter Herbert Hübel meinte einst in dessen Richtung: „In manchen Dingen sollten wir zu den Wurzeln zurückkommen. Alles ein bisserl einfacher, da ist nichts Falsches dabei. Wir sind nicht Barcelona. Wir sind auch nicht der DFB.“ Und der Tiroler Josef Geisler meckerte: „Theorie bringt den Fußball nicht weiter.“ So mancher Landespräsident stänkerte gar während der erfolgreichen Zeit in den Top 10 der Welt gegen den Sportdirektor. Ruttensteiner durfte bei Kollers Bestellung zum Teamchef erstmals federführend agieren. Jetzt gilt: Wenn der Teamchef scheitert, hat auch dessen Erfinder versagt. Natürlich muss auch Ruttensteiner seine Arbeit verantworten, derzeit wirkt alles aber mehr nach einer interessengetriebenen Demontage, auf die man schon lange gewartet hat. Die Landesfürsten gefallen sich zunehmend wieder in ihrer Rolle als Teamchef-Macher und Strippenzieher.

Mit dem Herzen dabei

Früher (als Ruttensteiner noch nicht selbst die Kandidaten suchen durfte) brachte jedes Präsidiumsmitglied seinen eigenen Favoriten ins Spiel. Hans Krankl wurde auf Wunsch des damaligen Bundesligapräsidenten Frank Stronach zum Teamchef bestellt. Viele Entscheidungen von damals wurden ohne fachliche Analyse getroffen. Krankl wurde gewählt, weil er so schön österreichisch war und mit dem Herzen dabei. Josef Hickersberger ersetzte ihn aufgrund seiner angenehmen Zurückhaltung im Vergleich zum lauten Krankl. Und Didi Constantini war ein Schnellschuss, wie der Präsident später selbst zugab. Eingebunden war der Sportdirektor des ÖFB bei diesen Teamchef-Bestellungen nie. Die Erfindung von Windtner und Ruttensteiner, der Schweizer Marcel Koller, wurde dagegen auf Anhieb zum erfolgreichsten Teamchef der jüngeren österreichischen Fußballgeschichte. Er qualifizierte sich mit Österreich für die Europameisterschaft, schaffte es gar in die Top 10 der Weltrangliste. Es stellt sich die Frage: Warum muss Kollers recht erfolgreiche Ära nach einer schwachen WM-Qualifikation als Argument gegen den Sportdirektor herhalten, wo doch die Präsidiumsmitglieder davor eine Fehlentscheidung nach der anderen zu verantworten hatten? Trotzdem wird Ruttensteiners Arbeit heftiger hinterfragt als die fachliche Kompetenz des ÖFB-Entscheidungsgremiums.

Der Vorarlberger Landesverbandspräsident Horst Lumper sprach sich zuletzt für Andreas Herzog, Rekordnationalspieler ohne viel Erfahrung als Cheftrainer, als neuen Teamchef aus. Obwohl Taktikanalytiker, wie jene von „Ballverliebt“, dringend davon abraten.

Herzogs Trainerqualitäten seien nicht ausreichend für das Teamchefamt, betonen sie. Der Neue müsse den österreichischen Fußball verstehen, argumentiert der Vorarlberger Präsident. Dass der künftige Teamchef vor allem den modernen Fußball, der sich taktisch immer weiter entwickelt, verstehen sollte, sagt keiner. Das Nationalteam besteht aus hochkarätigen Legionären, die in den besten Ligen der Welt auflaufen. Mittlerweile braucht es auch einen strategisch gewandten und weltmännischen Teamchef, sollen alle Puzzleteile zusammenpassen. Derzeit überbieten sich aber Verbandsvertreter wie Horst Lumper und die bunten Boulevardmedien im Kampagnisieren für eine österreichische Lösung. Namen geistern herum, aber keine Arbeitsweisen. Viele fragen derzeit: Warum lässt man es den Andi Herzog nicht probieren, ob er es kann? Einfache Antwort: Weil das Nationalteam mit seinen vielen Legionären kein Experimentierfeld für Trainerneulinge ist. Es gilt nicht zu testen, ob es jemand kann oder nicht. Derjenige, der Teamchef werden will, muss nachweisen können, dass er die benötigten Qualifikationen auch erfüllt. Noch bei der letzten Teamchefbestellungen hätte darüber nicht einmal diskutiert werden müssen. Das Anforderungsprofil sah vor, dass der künftige Trainer national oder international Titel errungen hat. Jetzt soll der Leitfaden von damals überarbeitet werden.

Koller war kein schlechter Teamchef

Dabei wäre die Frage nach einem idealen Kandidaten gar nicht so kompliziert: Marcel Koller war kein schlechter Teamchef, lange Zeit war er sogar ziemlich gut. Das Nationalteam spielte nie zum Schämen (das war vor ihm keine Selbstverständlichkeit). Sein Problem war die taktische Flexibilität. Und auch bei der Alaba-Positionierung war er unnötig stur oder feige oder beides. Und zuletzt wurden dadurch einfach zu wenige Spiele in einer durchaus machbaren Qualifikationsgruppe gewonnen. Im Gegensatz zu vielen Teamchefwechseln der Vergangenheit braucht es jetzt aber keinen Neuanfang (wie Toni Polster derzeit fordert), sondern eine Adaptierung. Was bisher gut war (das Forcieren und Gestalten einer aktiven Spielweise) soll bleiben, dazukommen muss mehr Variantenreichtum. Und wichtig: Derjenige muss das in relativ wenig Zeit mit den Spielern hinbekommen. Also: Welcher Trainer kann das und noch wichtiger: Welcher hat es schon vorgezeigt - möglichst erfolgreich? Das ist ein spröder Akt der Selektion nach klar definierten Kriterien.

Dafür braucht es fachliche Expertise, keine markigen Plädoyers für Ex-Kicker mit feurigem Herzen. Doch zwischen den Zeilen werden bereits die Weichen gestellt. Einen so teuren Teamchef wie Koller könne sich der ÖFB nicht mehr leisten, wird betont. Damit würgt das Präsidium den Ruf nach einem internationalen Fachmann schnell ab. Ein Herzog oder Gregoritsch wäre billig. Ein anderer eben nicht finanzierbar. Dazu stellt sich die Frage, warum der ÖFB nicht längst geeignete Kandidaten in der Hinterhand hat. Wenn die neue selbst auferlegte Billiglösung nicht qualitativ besser ist als der teure Marcel Koller, wozu dann der ganze Aufwand? Ruttensteiner müsste demnach einen Kandidaten aus dem Hut zaubern, der fachlich top und dazu noch günstig ist, wenn eine populistische Lösung verhindert werden soll.

Ich führte mit Leo Windtner während der Hochphase des Nationalteams vor eineinhalb Jahren diesen Dialog: „Bis zur Teamchefsuche vor der Bestellung Kollers war es ja so, dass jeder Landespräsident seine Interessen hatte. Es stand zumeist nicht das sportliche Profil im Vordergrund. Sondern: Wer kann besseres Lobbying für seinen Kandidaten betreiben.“ Windtners Antwort: „Das heißt: Es war beim letzten Mal (bei der Teamchefbestellung Kollers, Anm.) zum ersten Mal anders (lacht laut).“

Windtner war lange stolz darauf, dass er seinen strategisch talentierten Ziehsohn Willi Ruttensteiner als Kompetenzstelle für die sportliche Ausrichtung der Nationalmannschaft positionieren konnte. Seit längerem schummelt sich der Präsident aber um die Frage, ob der Sportdirektor des Verbandes erneut mit der Teamchefkandidaten-Suche beauftragt wird. Plötzlich ist gar von einem kleinen Gremium die Rede, das darüber beraten soll.

Eigentlich wäre die Kompetenzerteilung eine Selbstverständlichkeit. Der Sportdirektor sucht geeignete Kandidaten nach einem klar definierten Anforderungsprofil – der Beste wird dann dem Präsidium zur Abstimmung vorgelegt. Derzeit wirkt es aber so, als gäben sich die Landespräsidenten damit nicht zufrieden. „Man muss abwarten, was aus Ruttensteiners Sicht das Anforderungsprofil für die Teamchefsuche wäre. Dann muss man abklären, ob das mit unseren Sichtweisen zusammenpasst“, erklärt der niederösterreichische Vertreter Johann Gartner auf Nachfrage. Bei Gesprächen mit den Landesverbandspräsidenten bemerkt man schnell ihr neu gewonnenes Selbstverständnis: Sie wollen schalten und walten wie einst.

Kurz gesagt: Sie wollen mehr Mitsprache als dem österreichischen Fußball gut tut.