Der ÖFB und der Rangnick-Schwung: Die unendliche Reform
Von Gerald Gossmann
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Im ÖFB reiben sich gerade einige die Augen. Der Mann, der die alten Machtverhältnisse bewahren sollte, macht Anstalten, das glatte Gegenteil zu bewerkstelligen. Klaus Mitterdorfer, 58-jähriger Kärntner Jurist, wurde 2023 aus heiterem Himmel zum ÖFB-Präsidenten gewählt. Weil er keinem Lager angehörte und nach einigen Querelen als Kompromisslösung durchging. Mitterdorfer, im Brotberuf Vize-Chef der Kärntner Ärztekammer, ist ein jugendlicher Typ, der bevorzugt in T-Shirt und Sneakern auftritt, immer freundlich bleibt, viel lächelt; einer, der als harmlos und verbindlich gilt – aber nun den ÖFB umkrempeln möchte.
Und das ist dringend nötig. Der größte Sportverband des Landes mit 300.000 Mitgliedern und 60 Millionen Euro Jahresumsatz hat nämlich zwei Gesichter. Einerseits sind da Stars wie David Alaba und Marko Arnautović, die den Fußballbund nach außen glänzen lassen. Andererseits: behäbige Funktionäre, die zuweilen den Fortschritt behindern und gern auch öffentlich streiten. Bei der EM im Sommer begeisterte das Nationalteam so sehr, dass im ÖFB Anfragen von ägyptischen und amerikanischen TV-Sendern eintrudelten. Was die Interessierten aus dem Ausland nicht sahen: die Baustellen im Hintergrund. Zerstrittene Geschäftsführer, veraltete Strukturen – und Funktionäre, die auf Kosten des Sports Grabenkämpfe austragen. Lange wurden diese Probleme zugedeckt. Aber nun ist da der neue Teamchef Ralf Rangnick, die Antithese zum schwerfälligen ÖFB, über den ein Funktionär gegenüber profil sagt: „Er sieht ein Problem und will innerhalb einer halben Stunde eine Lösung.“ Das aber kann er sich hier abschminken. Denn im ÖFB hat es Tradition, Vorhaben erst einmal zu zerstreiten, ehe sie vertagt werden.
Allerdings könnte bald alles besser (oder zumindest anders) werden, denn der verstaubte ÖFB soll sich in ein modernes Unternehmen verwandeln. Aber geht das so einfach?
Mitterdorfer, der die Reform vorantreibt, ist kein Mann martialischer Ansagen. Zu profil sagt er nur: „Ich möchte es zumindest probieren.“ Bereits vor Monaten hat er einen externen Unternehmensberater engagiert – mit dem Auftrag, den Verband zu durchleuchten. Der hörte sich in Abteilungen um, sprach mit Führungskräften und Mitarbeitern. Die Erkenntnis: Die Sache ist kompliziert.
Da wäre einmal das ÖFB-Präsidium: ein föderalistisch mit neun Landespräsidenten und drei Bundesliga-Vertretern besetztes Gremium. Altersschnitt: 65 Jahre. Die Herrenrunde – ein Kollegium aus Ex-Bürgermeistern, pensionierten Richtern, Rechtsanwälten – trifft ehrenamtlich die großen Entscheidungen im österreichischen Fußball. Immer wieder kommt es dabei zu Machtkämpfen. Ein Beispiel: 2017 entsorgten die Männer den erfolgreichen Sportdirektor Willi Ruttensteiner, weil er ihnen zu mächtig geworden war. Rutten-steiner hatte schon 2011 den Teamchef Marcel Koller ausgesucht, das Präsidium durfte diesen bloß abnicken. 2017 folgte die Revanche. Man könne eben „nicht an uns vorbei irgendwas machen“, erklärte der Vertreter Niederösterreichs, Johann Gartner. Als Nachfolger wurde der Ex-Teamkicker Peter Schöttel präsentiert. Gartner erklärte das Motiv dahinter: Ruttensteiner habe den ÖFB „wie sein Unternehmen geführt“, Schöttel hingegen „lässt sich auch etwas einreden“.
Schwelende Konflikte
Die honorigen Herren geben gerne den Ton an. Zuweilen kommen sie sich dabei auch ins Gehege. Ein Konflikt spaltet den Verband bis heute. 2023 trafen Ex-Präsident Gerhard Milletich und sein Vize Gerhard Götschhofer vor Gericht aufeinander. Milletich, im Brotberuf Verlagsmanager, war intern und dann auch öffentlich im „Kurier“ vorgeworfen worden, bei Verbandssponsoren Inserate für seine eigenen Publikationen gekeilt zu haben. Götschhofer, ein pensionierter Rechtsanwalt, sammelte Beweismittel. Zwei Lager bildeten sich – der Ostflügel und die Westfraktion. Auch die beiden ÖFB-Geschäftsführer verfingen sich in dem Konflikt. Der eine, Thomas Hollerer, erbat von den Herren eine eidesstattliche Erklärung, dass sie nicht gegen Milletich intrigiert haben – was ihm bis heute nachgetragen wird. Der andere, Bernhard Neuhold, soll Vize Götschhofer ein Dokument zukommen haben lassen, das Milletich überführte. „Eigentlich musst du beide entlassen“, meint ein Funktionär heute. Doch das geht nicht so einfach. Der Ostflügel stützt Hollerer, der Westen Neuhold. So geht es ständig hin und her. Nicht nur in dieser Causa.
Die honorigen Herren im Präsidium geben gerne den Ton an. Zuweilen kommen sie sich dabei auch ins Gehege.
Präsident Mitterdorfer steht vor einer Mammutaufgabe. In den Sommermonaten versuchte er seine Kollegen davon zu überzeugen, dem ÖFB eine modernere Struktur zu verpassen. Er band Experten ein, setzte ein Strategiepapier auf und telefonierte viel. Künftig könnten zwei oder drei Vorstände agieren, so die Idee – und das Präsidium zu einem reinen Aufsichtsrat zurechtgestutzt werden, das Entscheidungen bloß absegnet. Die Krux: Mitterdorfer muss dafür eine Mehrheit finden. Die Männer können sich nur selbst ihrer Macht beschneiden – mit Zweidrittelmehrheit.
Das Reformthema gärt schon lange im ÖFB. Es gab bereits Präsidenten, die ihre Kollegen an die kurze Leine nehmen wollten – und in Windeseile demontiert wurden. Schon Leo Windtner kritisierte, dass die Entscheidungen seiner Kollegen „keine Frage der Kompetenz, sondern des gesetzten Rechts“ seien, und dachte gar darüber nach, eine Expertenrunde beizuziehen, damit die Beschlüsse „von Expertise beeinflusst“ würden. Die Folge: Windtner wurde Stück für Stück entmachtet und 2021 abgewählt.
Auch einzelne Teamkicker versuchten einzugreifen, als sie verkorkste Entscheidungen auszubaden hatten. Eine Runde an Führungsspielern habe einst intern „Gespräche gesucht und versucht, einen Prozess anzustoßen“, erzählt der Ex-Teamspieler Marc Janko profil. Das Problem: „Mehr als Lippenbekenntnisse sind nicht übrig geblieben. Wir Spieler waren einfach nicht mächtig genug, um etwas zu bewegen.“ Unter Ralf Rangnick, so sagt Janko, herrsche nun Euphorie im Land, „aber er wird das nicht die nächsten 300 Jahre machen können. Daher stellt sich die Frage: Welche Struktur braucht es, damit Leute entscheiden, die wissen, wovon sie reden.“
Änderungswünsche
Kritik am ÖFB-Präsidium gibt es seit Jahren. Auch Cordobá-Held Hans Krankl beklagte öffentlich die grassierende Beamtenhaftigkeit. Für ihn sei es deshalb wichtig, erklärte er zuletzt profil, „dass der Rangnick bei uns ist. Der fährt über alle drüber und will alles bestimmen.“ Für den ÖFB sei das „vielleicht sogar eine Chance“, weil bei Rangnick „keiner nur einen Muckser machen braucht“.
Und tatsächlich: Rangnicks Reformeifer färbt ab. Zumindest auf Präsident Mitterdorfer. Einige im ÖFB erkennen, seit Rangnick das Arbeitstempo anzieht, woran der Verband krankt. Der Schwabe nimmt ungefragt Aufgaben wahr, die eigentlich anderen zugeteilt sind. Er sucht Gespräche mit der Politik wegen eines neuen Nationalstadions, versucht talentierte Spieler mit Doppelstaatsbürgerschaft für den ÖFB zu gewinnen – und kreiert Ideen für die Trainerausbildung oder den Nachwuchsbereich. Rangnick, so beschreiben es Mitarbeiter des ÖFB gegenüber profil, wolle am liebsten an allen Rädchen gleichzeitig drehen.
Aber nicht immer kann er einfach verändern, was ihn stört. Bei den Nachwuchs-Nationalteams hätte Rangnick schon lange gern, dass alle seinen Fußballstil beigebracht bekommen. Das ist bislang allerdings nicht der Fall. Die ÖFB-Coaches pflegen unterschiedliche Stile – dazu rutschten einige über persönliche Kontakte in ihre Ämter und sind praktisch pragmatisiert. Seit Monaten schon, so wird es profil erzählt, spießt es sich hier bei den Reformen – auch weil die Mühlen im ÖFB so langsam mahlen. Immerhin: Intern hat man sich bereits auf ein paar Veränderungen geeinigt. Fest steht, dass U-21-Teamchef Werner Gregoritsch, 66, mit Ende des Jahres in Pension geht. Laut profil-Informationen sollen weitere Nachwuchstrainer auf der Abschussliste stehen. Wie profil erfahren hat, soll Ex-LASK-Coach Thomas Sageder, der Rangnicks Spielidee teilt, bald im ÖFB-Nachwuchs arbeiten.
Die geplante Reform gestaltet sich mühsam. Der Wiener Landespräsident Robert Sedlacek erklärte, dass es „aktuell keinen Grund gibt, etwas Gravierendes zu verändern“. Der Niederösterreicher Johann Gartner betonte: „Wir haben eine gute Stimmung nach der EM und dürfen damit keine Unruhe hineinbringen.“
Kurz vor der Europameisterschaft wäre es mit dem Reformeifer beinahe vorbei gewesen. Der FC Bayern München lockte den Teamchef und bot eine Verzehnfachung seines ÖFB-Jahresgehalts. Rangnick blieb standhaft – er sei hier noch nicht fertig, hielt er fest. Als Dankeschön stellte ihm ÖFB-Präsident Mitterdorfer eine Vertragsverlängerung samt Kompetenzerweiterung in Aussicht. Doch nun ist davon keine Rede mehr. Sowohl aus Rangnicks Umfeld als auch im ÖFB wird profil bestätigt, dass es bislang keinerlei Angebot für den Teamchef gegeben hat. Der Hintergrund: Mitterdorfer hatte seinen Vorstoß nicht mit seinen Kollegen abgestimmt – und ohne Mehrheitsbeschluss kann auch der ÖFB-Chef nichts machen. Als profil nach Mitterdorfers ursprünglicher Ankündigung bei einigen Entscheidungsträgern nachfragte, klangen diese wenig begeistert. Rangnicks Vertrag laufe ohnehin noch bis Ende 2025, betonten sie. Außerdem hätte der 66-Jährige mit der Bayern-Absage bewiesen, nicht mehr in die große Fußballwelt ziehen zu wollen. Und wie steht es nun um die Kompetenzerweiterung? „Er darf eh überall mitreden“, sagt ein Funktionär zu profil. „Dafür braucht es keine formelle Erweiterung.“
Einige Personalpläne befinden sich seit Monaten in der Warteschleife, weil zuerst die neue Struktur beschlossen werden soll. Laut profil-Informationen wurden Verhandlungen mit Ex-Teamspieler Sebastian Prödl geführt, der für „Servus-TV“ Länderspiele analysiert. Er könnte, so der Plan, eine Art Teammanager (wie einst Oliver Bierhoff im DFB) werden. Aus ÖFB-Kreisen wurden profil „konkrete Gespräche“ bestätigt. Welche Rolle Prödl zwischen Rangnick und Schöttel spielen sollte, scheint vielen im Verband aber noch unklar.
Reformstau
Der Sport muss derzeit ohnehin warten, alles dreht sich um die geplante Reform. Und die gestaltet sich mühsam. Der Wiener Landespräsident Robert Sedlacek erklärte vor wenigen Wochen gegenüber profil noch, dass es „aktuell keinen Grund gibt, etwas Gravierendes zu verändern“. Der Niederösterreicher Gartner betonte: „Wir haben eine gute Stimmung nach der EM und dürfen damit keine Unruhe hineinbringen.“
Dennoch fand vergangenes Wochenende in Wien eine zweitägige ÖFB-Klausur mit den Entscheidungsträgern statt, an der auch Rangnick teilnahm. „Er hat versucht, den Leuten die Augen zu öffnen“, erzählt ein Sitzungsteilnehmer. Auch Mitterdorfer und der externe Unternehmensberater analysierten die marode Struktur. Lange, so heißt es, wurde über die beiden zerstrittenen Geschäftsführer debattiert. Aber die Lager blieben verhärtet. Eine Entscheidung gab es nicht.
Aus ÖFB-Kreisen dringt: Erst wenn die Strukturreform beschlossen ist, kann über Personalien geredet werden. Womöglich werden die Jobs der beiden Geschäftsführer dann neu ausgeschrieben. Nach dem zweitägigen Sitzungsmarathon schien Mitterdorfer trotzdem erleichtert zu sein. Man habe sich „grundsätzlich auf eine Reform verständigt“, erklärte er, diese aber noch nicht beschlossen. „Ich glaube, dass ein Einverständnis da ist, diesen Weg gemeinsam zu gehen“, sagt er zu profil. Ein Sitzungsteilnehmer räumt dagegen ein: „Man hätte theoretisch auch alles beschließen können, aber dann gab es welche, die gesucht haben, wo sie noch einhaken können.“
Mitterdorfer weiß, dass er als Reformer auf einem schmalen Grat wandelt. Seine Vorgänger wurden auch deshalb abmontiert, weil sie Gremiumsmitglieder übergingen. Mitterdorfer versucht, bewusst sensibel vorzugehen, um die machtbewussten Herren mitzunehmen und niemanden vor den Kopf zu stoßen. Doch die Zeit für eine Reform drängt. Im Mai 2025 wird ein neuer ÖFB-Präsident gewählt. Heißt konkret: Die Männerrunde könnte Mitterdorfer auch relativ schnell wieder entmachten.
Gerald Gossmann
Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.