Und jetzt?

Der profil-Fragebogen mit ... Fahim Amir

Ein Fragebogen zur Lage, zum Leben und zu dem, was daraus werden soll - beantwortet von Fahim Amir.

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Ein spontaner Gedanke beim Stichwort "Zukunft". Das Versprechen, das uns die Hoffnung gibt.

Was wird der Sinn des Lebens anno 2024 sein? Das Leben zu leben. Doch auf dieser Welt gibt es kein Glück ohne die Sehnsucht nach Gerechtigkeit.

Eine Sünde, die das Leben verbessert. Ein Auto.

Wovor ich Angst habe. Der zu bleiben, der ich bin. Sein heißt kontinuierliches Werden.

Ein Reisetipp (plus Begründung, warum der CO2-Abdruck in dem Fall gerechtfertigt ist). Sansibar. Wahre Schönheit braucht keine Rechtfertigung.

Ein Geheimnis, das niemand kennt. Kann eine zutiefst unschuldige Freude sein und manchmal äußerst anziehend wirken. Bei Kindern sind Geheimnisse ein erstes Zeichen von Selbstständigkeit und Selbstwertgefühl.

Ein Verbesserungsvorschlag. Kultivierung und Stärkung des gesellschaftlichen Erinnerungsvermögens. Ein gutes Gedächtnis ist möglicherweise die wichtigste demokratische Tugend überhaupt.

Akzeptieren oder Streiten? Alle gesellschaftlichen Verbesserungen der Lebensumstände gehen auf Verteilungskämpfe zurück. Sie werden von Widerspenstigen erstritten, nicht von Privilegierten gewährt. In Österreich, einem der reichsten Länder der Welt, gilt ein erheblicher Teil der Bevölkerung als arm oder armutsgefährdet. Trotzdem trifft man hier kaum jemals auf einen Menschen, der von sich sagt, er sei arm. There is no shame in poverty, but there is guilt in wealth.

Das Allergescheiteste wäre: Sich weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen.

Mein Held/meine Heldin (warum?): Ein chilenischer Straßenköter namens Negro Matapacos. Er wurde vor mehr als zehn Jahren durch Universitätsproteste landesweit bekannt, wo er stets aufseiten der Studenten auftrat. Als 2019 Millionen Menschen in Chile für ihre Würde auf die Straßen gingen, erklärten sie den Vierbeiner zu ihrem Schutzheiligen: Seitdem ziert sein Gesicht tausendfach Buttons, T-Shirts und Graffiti. Als herrenloser Mischling verkörpert er einen Gegenpol zu den domestizierten, brutal abgerichteten Rassehunden des chilenischen Militärs und der Polizei. Als "Straßenköter" ohne adligen Stammbaum bleibt er ein Fremder ohne Bleiberecht in der heroischen, patriotischen Geschichte der chilenischen Nationenbildung, die seit dem Ende der Kolonialzeit rezitiert wird. Dieser Hund stellt eine Art extraterritorialen Ort dar. Er steht nicht für einen bestimmten Inhalt, sondern für den Einspruch des Verworfenen, des Verfemten, des aus der Geschichte Getilgten-und Widerständigkeit überhaupt. Er, der nirgendwo vertreten war, wurde zum Vertreter aller.

Fahim Amir, 44

Philosoph, Autor, Kurator und Künstler; Lehrtätigkeiten in Wien, Linz und São Paolo. Seine Studie "Schwein und Zeit" wurde mit dem Karl-Marx-Preis ausgezeichnet; mit der Philosophin Lisz Hirn diskutiert er in der ORF-Reihe "Hirn& Amir" (Ö1 und Topos) über Themen wie Hoffnung, Solidarität oder künstliche Intelligenz.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.