Die Baustelle: Was ist da los auf der Tauernautobahn?
Das Tennengebirge ist ein imposanter Felskörper, wuchtig, zerklüftet, auf schroffe Art schön – und total im Weg, wenn man von Salzburg-Stadt in den Pongau will oder von dort nach da. Fünf Autobahntunnels unterqueren deshalb das Massiv, 40.000 Kraftfahrzeuge befahren diese an einem durchschnittlichen Tag. Im August waren es im Schnitt über 71.000. Die Tauernautobahn (A10) zählt zu den wesentlichen Nord-Süd-Transitstrecken Österreichs. Wenn Deutschland baden gehen will, dann fährt es am Tennengebirge vorbei.
Die Bedeutung der Tauernautobahn ist aber auch für die Einheimischen, hier, in den Salzburger Gebirgsgauen Pongau, Lungau und Pinzgau, kaum zu überschätzen. Die Region hängt an der Nabelschnur A10, immer wieder werden Menschen im Lauf dieser Reportage auch von einer „Lebensader“ sprechen.
Genau diese wurde nun aber abgeklemmt beziehungsweise auf eine einspurige Richtungsfahrbahn verengt. Denn die Tunnels sind Sanierungsfälle, weshalb die Asfinag sie seit dem 12. September generalüberholt. Es ist ein gigantisches Projekt, eine 265-Millionen-Baustelle auf 14 Kilometern Länge, mit Nebenwirkungen, die weit über die A10 hinausreichen.
Die Bedeutung der Tauernautobahn ist für die Einheimischen, hier, in den Salzburger Gebirgsgauen Pongau, Lungau und Pinzgau, kaum zu überschätzen. Die Region hängt an der Nabelschnur A10, immer wieder werden Menschen im Lauf dieser Reportage auch von einer „Lebensader“ sprechen.
Das große Graben
Peter Harlander, Bürgermeister von Golling, erinnert sich, durchaus mit Schrecken, an die Woche vom 12. September – Baubeginn: „Die ersten zwei Tage waren noch recht normal, aber am Donnerstag ist es dann losgegangen. Und bis Sonntag ist alles gestanden. Auf der Autobahn, auf der Bundesstraße, im Ort. Da war es richtig wild, eigentlich katastrophal. Wir sind viel Verkehr gewöhnt, aber das war schon speziell.“
Zu den Spitzenzeiten wurden an jenem Wochenende vier Stunden Verzögerung registriert, von den diversen Ausweichrouten – durch Golling, Hüttau oder Pfarrwerfen – kursieren die wildesten Geschichten, von Anrainern, die wegen der Kolonne vor der Haustüre in der eigenen Einfahrt feststeckten, oder von Touristen, die ihr Navi auf abgelegene Treppelwege lotste. Die meisten dieser Geschichten stimmen leider.
Rudolf Obauer betreibt mit seinem Bruder Karl eines der höchstdekorierten Restaurants des Landes im historischen Ortskern von Werfen, wunderschön und sehr ruhig gelegen – eigentlich. „An dem Wochenende war der Stau nicht nur auf der Autobahn oder auf der Ortsumfahrung, sondern hier herinnen im Markt. Beim letzten Mal, dass ich das erlebt habe, war ich noch ein kleiner Bub.“ Obauer ist 62 Jahre alt. „Wenn das zum Dauerzustand wird, wird es Arbeitsplätze kosten. Dann kann der Professionist nicht mehr zur Baustelle, der Lieferant nicht zum Kunden und die Leute nicht mehr zum Einkaufen.“
Robert Lottermoser sieht noch ein weiteres Problem. Er lebt in Pfarrwerfen und ist Bezirksfeuerwehrkommandant für den Pongau: „Solche großen Stauereignisse bereiten uns schon Sorgen. Wenn auf den niederrangigen Straßen alles blockiert ist, kann es passieren, dass unsere Einsatzkräfte nicht zum Feuerwehrhaus einrücken können und dass in weiterer Folge auch die Zufahrt zum Einsatz behindert wird.“
An besagtem Wochenende ist es gut gegangen. Aber die nächste kritische Situation wird kommen. Gebaut wird noch bis Juni 2025.
Die ersten zwei Tage waren noch recht normal, aber am Donnerstag ist es dann losgegangen. Und bis Sonntag ist alles gestanden. Auf der Autobahn, auf der Bundesstraße, im Ort. Da war es richtig wild, eigentlich katastrophal.
Sanierungsfalle
„Uns muss klar sein, dass hier jeden Tag ein wirtschaftlicher Schaden eintritt“, klagt Elke Steinbacher. Sie betreibt ein Buchhaltungsunternehmen in St. Johann im Pongau, ist Bezirksobfrau der Wirtschaftskammer Pongau – und hätte ein paar Vorschläge: „Es braucht Abfahrtssperren für den Transitverkehr, es braucht ausgeweitete Lkw-Fahrverbote am Wochenende.“ In den Herbst- und Winterferien bestehe ohnehin die Gefahr, dass die Lage wieder eskaliert. „Wenn sich die Befürchtungen bewahrheiten, dass diese Wintersaison einen großen Einbruch erleidet, dann wird man darüber reden müssen, ob man die Bauarbeiten im nächsten Winter unterbricht.“
Mit einigem Bammel schaut auch Veronika Scheffer in Richtung Dezember. Dabei wäre das ja ihre bevorzugte Saison, denn Scheffer ist Geschäftsführerin der Bergbahnen in Altenmarkt-Zauchensee. „Wir sind in großer Sorge, wie wir diese Baustelle wirtschaftlich stemmen sollen“, sagt sie, und: „Da ist Gefahr in Verzug. Ungefähr 20 Prozent unserer Kunden sind Tagesgäste. Eine gewisse Stauzeit nimmt der Gast in Kauf, aber zwei Stunden sind nicht zumutbar. Darum fordern wir eine Öffnung der Baustelle im Winter.“ Dass diese Forderung nicht besonders realistisch ist, weiß Scheffler wohl, darum plant sie eine Ausweitung der Seilbahnbetriebszeiten, „damit die Tagesgäste den Reiseverkehr besser umgehen können. Wir müssen halt schauen, wo die Schlupflöcher sind. Wir können derzeit nur reagieren. Und hoffen.“
An dem Wochenende war der Stau nicht nur auf der Autobahn oder auf der Ortsumfahrung, sondern hier herinnen im Markt. Beim letzten Mal, dass ich das erlebt habe, war ich noch ein kleiner Bub.
Im Tunnel
Montag, früher Nachmittag, der Vorführeffekt funktioniert hervorragend: Auf der Anfahrt zum Termin mit Hans-Peter Treichl, Asfinag-Projektleiter für die Tunnelsanierung auf der A10, geht plötzlich nichts mehr. Ein Auffahrunfall im Baustellenbereich hat dem – ohnehin fragilen – System Tauernautobahn einen Nachmittagskollaps beschert, aus den geplanten 25 Anreiseminuten werden 55, aber man ist dieser Tage in dieser Gegend ohnehin besser mit Zeitreserven unterwegs. Außerdem staut es sich hier, im Spätsommer zwischen Bischofshofen und Werfen, ja wirklich äußerst pittoresk.
Hans-Peter Treichl ist ein fokussierter Mensch, der viele tunnelbauliche Fachvokabeln verwendet, aber Verständnis hat für alle, die sie nicht gleich verstehen. Darüber hinaus hätte er wahrscheinlich gerade Besseres zu tun, als Journalisten seine Baustelle zu zeigen, er nimmt sich die Zeit trotzdem, denn es ist ihm wichtig, dass die Leute verstehen, worum es hier geht. Und darum fährt er jetzt mit seinem elektrischen Kia von der Autobahnmeisterei Golling in den Hieflertunnel hinein und erklärt. 200 Menschen arbeiten hier aktuell in Tag- und Nachtschicht. Der Projektleiter schwärmt von der Hightech, die dabei eingezogen wird: „Wir haben im Tunnel dann ungefähr 20.000 Datenpunkte“, sagt Treichl, vollautomatisierte Verkehrsüberwachung, 400 Kameras, 800 Kilometer Kabel, Betriebs- und Sicherheitstechnik auf dem neuesten Stand. Aber kann die Baustelle im Winter nicht pausieren? Im Sommer sei eine einspurige Führung der A10 vom Verkehrsaufkommen her nicht möglich, also müsse man zwischen September und Juni möglichst viel weiterbringen – er sagt es etwas technischer, unter Verwendung von Paragrafen aus dem Straßentunnel-Sicherheitsgesetz (STSG) und Verweis auf Sanierungszyklen und Reisezeitverlustrechnungen, aber unterm Strich sagt er, ganz klar: „Die jetzige Lösung ist ein Kompromiss, aber ein guter.“
Hans-Peter Treichl hat übrigens auch schlechte Nachrichten: Derzeit kann tatsächlich nur die Tunnelsanierung betrieben werden, die Fahrbahnen im Freiland dazwischen werden für die Baustellenlogistik benötigt. Deren ebenfalls fällige Sanierung kann deshalb erst im Anschluss, also in den Jahren 2026/27 erfolgen. Mit weiteren Einschränkungen ist zu rechnen. Immerhin werden dann aber zwei Fahrspuren in jede Richtung offen sein.
Asfinag-Projektleiter Hans-Peter Treichl vor dem Ofenauer Tunnel auf der A10/Tauernautobahn bei Golling
„Die jetzige Lösung ist ein Kompromiss, aber ein guter.“
Da müssen wir jetzt durch
Am vergangenen Donnerstag hat Martin Grunert aus Hüttau, Ortsteil Sonnhalb, wo eine besonders prekäre Ausweichroute zur A10 (via beschranktem Feldweg) liegt, die Website Tauernautobahn.at eingerichtet, eine Art Informationsbörse für Presseberichte und A10-Nachrichten. Man versucht halt irgendwie, das Beste aus der Situation zu machen. Das Allerbeste wäre natürlich, wenn die Baustelle auf der Autobahn der Anfang von der Verkehrswende in Salzburg wäre. Tatsächlich werden die ausgebauten Öffi-Angebote – die ÖBB hat die Taktung der Regionalzüge erhöht; eine Buslinie vom Lungau in die Stadt Salzburg wird auf der Autobahn am Pannenstreifen priorisiert geführt – durchaus angenommen: „Wir gehen aktuell von 500 bis 600 Pendlern und Pendlerinnen täglich aus, die aufgrund der Tunnelerneuerungen vom Auto auf den Zug umsteigen“, erklärt ÖBB-Sprecher Klaus Baumgartner: „Wir haben aber noch Kapazitäten und freuen uns, wenn noch mehr Menschen auf den Zug umsteigen.“
Christine Staubmann wiederum ist mit dem Auto zum profil-Termin in Golling gekommen (20 Minuten Zeitverlust). Sie arbeitet seit 17 Jahren im Kundenmanagement der Asfinag („Mich kann nicht so schnell was erschüttern“) und seit Einrichtung der Baustelle als Ombudsfrau für die A10. Es ist ihr zweites Projekt, das es bis in die „ZIB“ geschafft hat, nach der Sanierung der Praterbrücke auf der Wiener Südosttangente, für die Staubmann auch schon zuständig war. Was ist der Unterschied? „Der Wiener Pendler ist eher daran gewöhnt, dass er im Stau steht. Das ist hier anders, darum ist auch die Aufregung größer.“
Staubmann stammt aus Radstadt, „ich bin mit der A10 aufgewachsen und kenne ihre Bedeutung. Ich kann mich noch gut erinnern, wie groß die Erleichterung war, als damals die Tunnels eröffnet wurden.“ Die Anrufe, die sie derzeit bekommt, sind mehrheitlich kritisch, die E-Mails oft viel schlimmer, aber sie weiß damit umzugehen: zuhören, Frust ableiten, erklären. Ein Hauptproblem ihrer Arbeit ist, „dass die meisten Arbeiten im Tunnel passieren und deshalb für die Kunden unsichtbar sind.“ Ein anderes: „Die Routenplaner und Navis schlagen Ausweichrouten vor, auch wenn die Abfahrten eigentlich für den Transit gesperrt sind.“ Und irgendwann landen die Urlauber dann halt am Feldweg in Hüttau.
Die Mauterlöse der Asfinag kommen zum guten Teil aus Salzburg und Tirol. Wir sind die Cashcows der Asfinag, müssen mit den negativen Begleiterscheinungen des Verkehrs leben, aber das Geld wird anderswo verteilt.
Das Kamel im Nadelöhr
Der angefressene Autofahrer ist, nicht nur in Salzburg, ein gewichtiger politischer Player. Im Stau wachsen die Emotionen, und meistens nicht die positiven. Darum tobt an der A10 gerade ein Kampf um die Sündenhoheit: Wer ist schuld am Stau, wer kriegt das Chaos in den Griff? Die Fronten sind einbetoniert, das Match lautet: Land gegen Bund, Salzburg gegen Wien. Stellvertretend übernehmen die jeweiligen Positionen der Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreter und Verkehrsreferent Stefan Schnöll (ÖVP) und der Vorstandsdirektor der Asfinag, Hartwig Hufnagl (die tatsächlich nach eigener Einschätzung „eine gute Gesprächsbasis“ haben).
„Ich wage zu behaupten, dass die Asfinag die Verkehrsmengen unterschätzt hat“, sagt Schnöll: „Wenn wir jetzt zwei Jahre lang jedes Wochenende den Dauerstau in Golling haben, dann haben wir ein echtes Problem.“ Abfahrtssperren würden nur wirken, wenn die Asfinag diese auch per Streckendienst kontrolliere, dem Land fehlten dazu die Mittel: „Ich kann verordnen, was ich will, wenn das nicht in dem Maße kontrolliert wird.“ Kostenargumente möchte Schnöll in dem Zusammenhang übrigens „nicht mehr hören“, denn: „Die Mauterlöse der Asfinag kommen zum guten Teil aus Salzburg und Tirol. Wir sind die Cashcows der Asfinag, müssen mit den negativen Begleiterscheinungen des Verkehrs leben, aber das Geld wird anderswo verteilt.“
Asfinag-Boss Hartwig Hufnagl kontert: „Wir bedauern, dass das Verständnis nicht gegeben ist, dass es sich hier um eine notwendige Maßnahme handelt. Wir haben eine gesamthafte Verantwortung, wir müssen mehr als 2200 Kilometer Straßen verfügbar und verkehrssicher halten und investieren dafür bis 2028 insgesamt 9,8 Milliarden Euro. Es ist jedem unbenommen, seinen Unmut zu äußern. Aber wir haben einen breiten Rücken und auch genug Selbstbewusstsein, um zu betonen, dass wir den Auftrag haben, im Sinne der Verkehrssicherheit aktiv zu werden.“ Allerdings sieht Hufnagl auch „rote Linien“, nämlich „wenn man uns vorwirft, wir hätten falsch informiert oder ein schlechtes Baustellenmanagement. Das weise ich aufs Schärfste zurück.“ Ganz klar ist freilich: „Es wird auch in Zukunft Stauereignisse auf der A10 geben.“
Vielleicht ja schon am kommenden Dienstag, wenn wieder ein langes Wochenende in Deutschland zu Ende geht. Die Heimreise nach Augsburg oder Heilbronn dürfte auch in Hüttau und Golling wieder für Furore sorgen. Oder, um es mit dem Gollinger Bürgermeister Peter Harlander zu sagen: „Natürlich blickst du da kritisch in die Zukunft.“