Gerichtsurteil

Die beste Gans Wiens beim Gasthaus Stern

Auf der Suche nach der besten Gans Wiens führt eine heiße Spur nach Simmering – in das Gasthaus Stern.

Drucken

Schriftgröße

Einmal im Jahr ist es so weit: Ungefähr Anfang November findet die traditionelle Pilgerfahrt ins örtliche Wirtshaus statt, natürlich zwecks Einverleibung einer Martinigans. Dieses Ritual hat in den letzten Jahren aber einige Risse bekommen. Häufig findet man gar kein örtliches Wirtshaus mehr vor. Der Kostendruck auf die Wirte ist zu hoch geworden, die Gäste kommen nicht mehr, oder sie kommen, geben aber weniger aus. Aber auch den Gästen macht man es nicht immer leicht: Viele wollen oder können sich die Martinigans einfach nicht mehr leisten.

Mit immerhin 36 Euro schlägt ein Viertel Gans mit zwei Beilagen im Simmeringer Gasthaus Stern zu Buche. Es liegt in der Braunhubergasse unweit der Simmeringer Hauptstraße, wird von Christian Werner betrieben und soll sie mutmaßlich auftischen: die beste Gans der Stadt. Zumindest wurde mir das so von unbeteiligten Dritten in auffälliger Häufung berichtet.

Was man in diesem Gasthaus auf jeden Fall vorfinden wird, ist ein Service der Spitzenklasse. Wie lohnend es sein kann, mit offensichtlich perfekt ausgebildetem Fachpersonal zu arbeiten, wird im Stern besonders deutlich. Die unfassbar kompetente Serviererin und der unfassbar kompetente Servierer können wirklich jede Detailfrage des unwissenden Kritikers beantworten.

Das Lokal selbst ist schon sehr Simmeringer Gaststätte, strebt aber nach Höherem. Edle Weinflaschen stehen auf den Fensterbrettern, das Gedeck sagt: Wir sind hier schon ein bisschen besser.

Das Ganslmenü ist klassisch gehalten und beginnt mit einer Gansleinmachsuppe. Sie steht auf einem Mehl-Butter-Fundament, und dieser Grundgeschmack bleibt auch trotz des kräftigen Ganslfonds erhalten. Sehr cremig, gerade noch nicht dicklich, mit einer Vielzahl an Kräutern und mundgerechten Fleischstücken als Einlage. Hier fällt bereits auf, was sich durch das ganze Menü ziehen wird: der fast vollständige Verzicht auf Garnitur.

Chichi gibt es auch bei der Vorspeise nicht: Die Gansllebercreme ist zentimeterdick auf feines, getoastetes Erdäpfelbrot aus der in Wien weltbekannten Bäckerei Joseph Brot drapiert. Es schmeckt briocheartig und hat wie die Creme eine süße Anmutung. Aber bevor so viel Süßigkeit in den Kitsch kippt und das Wirtshaus gar zum Restaurant verkommt, hat man beinhart rote, rohe Zwiebelringe darübergehobelt.

Die Spannung steigt zum Hauptgang hin, und es ist – eine Gans (Bild ganz oben). Und sie ist wirklich perfekt gebraten und gewürzt. Die Haut sehr knusprig, das Fleisch wie durch ein Wunder (oder bestes Küchenhandwerk) nicht trocken geworden. Als Beilage gibt es Apfel-

Rotkraut und einen Erdäpfelknödel. Das Kraut kommt sicher nicht aus dem Tiefkühler, ist sehr direkt am Zimt und vielleicht etwas zu wenig gesalzen, der Erdäpfelknödel hat eine Schnittlauchgarnitur spendiert bekommen. Zur

Gans empfiehlt der Restaurantfachmann eine Cuvée Stuhlwerker vom Weingut Böheim aus Arbesthal, Niederösterreich, mit Zwetschken-, Cassis- und Barrique-Noten, und schenkt sie auch gleich aus der Magnumflasche ein. Ich nehm’s zurück – doch ein Restaurant!

Das Dessert ist Minimalismus pur: eine Crème brûlée mit einem Espresso dazu. Die Creme ist gut gelungen, recht fest, und nach der Gans hat man eh nicht mehr viel Kraft. Aber bei einem Menüpreis von 50 Euro hätte man sie vielleicht ein bisschen aufwendiger präsentieren dürfen. Stichwort Garnitur. Fürs Karamellisieren wurde brauner Zucker verwendet – Profis halt.

Wie lange sich die jährliche Pilgerfahrt zur Gans noch in einer Form ausgehen wird, von der sowohl Gast als auch Wirt etwas haben, bleibt abzuwarten. Im Stern schmeckt es, einstweilen, jedenfalls hervorragend.

Empfehlung: Gehen Sie aufs Ganse!

Stimmung: Wirtshaus mit Benefits

Preisverhältnis: 36 Euro für ein Viertel Gans, 50 Euro für drei Gänge inkl. Suppe oder Vorspeise

Stephan   Graschitz

Stephan Graschitz

ist als Chef vom Dienst bei profil tätig.