Seit Jahren scheitert die Wiener Austria an ihrer Sanierung. Trotz Investoren und Finanzspritzen kommt sie nicht aus den roten Zahlen. Der Klub will nun das Stadion verkaufen, das ihn eigentlich in neue Sphären katapultieren sollte. Eine Londoner Briefkastenfirma spielt auch mit.
Der Verteilerkreis ist gewiss nicht der schönste Ort Wiens. In der Mitte des gigantischen Kreisverkehrs befindet sich ein Parkplatz, Autofahrer können hier auf die Südosttangente auffahren und Hungrige ihren Appetit bei einem Drive-in stillen. Für Fußballfans hat der Verkehrsknotenpunkt in Favoriten allerdings eine besondere Bedeutung: Ein schmaler Fußgängerpfad führt von hier zum Stadion der Wiener Austria.
Zwischen 2016 und 2018 wurde die „Generali Arena“ generalsaniert. 42 Millionen Euro hat das gekostet. Die modernisierte Anlage sollte dem Klub, mit 24 Meistertiteln der zweiterfolgreichste der österreichischen Fußballgeschichte, neue Möglichkeiten eröffnen. Die Wiener Austria wollte sich wieder im Spitzenfeld der Bundesliga festsetzen – endlich.
Doch es ist anders gekommen. Die Schulden, die die Austria für das Bauprojekt aufnahm, bedrohen inzwischen ihre Existenz. Denn der Verein hängt im Tabellenmittelfeld fest, die geplanten Millionen aus Europacupspielen und Transfererlösen wollen sich nicht realisieren. In der vergangenen Woche veröffentlichte die Bundesliga die Finanzkennzahlen ihrer Vereine. Für die Austria zeichnete der Bericht ein verheerendes Bild. Auf 66 Millionen Euro belaufen sich die Verbindlichkeiten, 20 Millionen Euro negatives Eigenkapital stehen zu Buche, Tendenz steigend. Viel hat der Klub in den letzten Jahren gegen die Schieflage unternommen, gefruchtet hat nichts. Jetzt will er zum letzten Strohhalm greifen und das Stadion verkaufen. In Zukunft wäre die Austria also im eigenen Schmuckstück nur mehr Mieterin. Es ist ein drastischer Schritt – aber die möglicherweise letzte Chance, dem Konkurs zu entkommen.
Insignia, dann Investor
Der Rettungsversuch ist mittlerweile ein mehrteiliges Stück. Im März 2021 präsentierten die Klubbosse die georgische „Insignia Group“ als strategischen Partner. Die Firma, die ihr Geld mit der Vermittlung von Luxus-kreditkarten verdient, wollte allerdings nicht selber zahlen, sondern internationale Sponsoren vermitteln – und dafür Provision einstreichen. „Wir hatten diese Veränderung zur nachhaltigen Weiterentwicklung des Klubs ja schon länger vorbereitet, nun ist alles abgeschlossen“, sagte der damalige Vereinspräsident Frank Hensel. Daraus wurde allerdings nie etwas, im Oktober 2021 beendete man die Zusammenarbeit.
Am Rande des Kollapses holte man schließlich eine Investorengruppe an Bord – und verkaufte ihr im Frühjahr 2022 49,9 Prozent der Klubanteile. Mehr ist laut den Regularien der Bundesliga nicht erlaubt. Diese besagen, dass der „beherrschende Einfluss“ beim Verein und eben nicht bei einem Geldgeber liegen muss.
Die Investorengruppe hat sich als „Viola Investment GmbH“ konstituiert und teilt sich grob in zwei Hälften auf. Da sind zum einen Geschäftsleute, die der Austria seit Jahren nahestehen. Dazu zählen der Stahlhändler Karl Pisec, Milliardär Martin Schlaff und Selfmademan Raimund Harreither. Für die zweite Hälfte sorgte Jürgen Werner, Ex-Spielerberater und Ex-LASK-Funktionär. Kaum jemand hat den österreichischen Vereinsfußball in den vergangenen 20 Jahren so geprägt wie er. Der 62-jährige Oberösterreicher stieg bei den Wienern nicht nur selbst ein, sondern nahm Leute aus seinem Umfeld mit, darunter der Ex-Teamspieler Sebastian Prödl, der Spielerberater Andreas Sadlo und der Unternehmensberater Peter Kroha.
Kaum jemand hat in den letzten 20 Jahren den österreichischen Vereinsfußball derart geprägt wie Austria-Investor Jürgen Werner,
Kaum jemand hat in den letzten 20 Jahren den österreichischen Vereinsfußball derart geprägt wie Austria-Investor Jürgen Werner,
Briefkastenfirma als Anteilseigner
12,5 Millionen Euro ließ sich die Gruppe den Einstieg kosten, mit dem Geld konnte der Klub das Schlimmste abwenden. Mehr aber auch nicht. Auch das kann man aus den jüngsten Finanzkennzahlen ablesen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg das negative Eigenkapital von 16,3 auf 20,7 Millionen Euro, das Jahresergebnis war mit fast minus sieben Millionen Euro abermals negativ. Erst im Mai 2023 musste die Investorengruppe noch einmal eine Million zuschießen, um das Budget für die aktuelle Saison abzusichern.
Parallel dazu ging die Investorengruppe eine Partnerschaft ein, die zumindest seltsam anmutet. Seit September hält die englische „Total London Commerce“ acht Prozent an der „Viola Investment“ und ist damit viertgrößter Anteilseigner in der Investorenriege. Wer sich hinter dieser Gesellschaft verbirgt, ist nicht so einfach herauszufinden. An der Meldeadresse in London sitzen laut britischem Firmenbuch noch 41 weitere Unternehmen, zwei Geschäftsführer haben diese Funktion bei einer Vielzahl der ansässigen Firmen inne.
Recherchen legen nahe, dass die „Total London Commerce“ über verzweigte Verästelungen eine Tochter des Venture-Capital-Funds „Big Ideas Group“ ist. Dieser ist auch an der Adresse im Stadtteil Farringdon verzeichnet und bietet Unterstützung für Start-ups an. Zu seinen Kunden zählt, laut Website, auch eine gewisse „Austria Vienna“. Allerdings kommunizierten weder der Klub noch die „Viola Investment“ den Einstieg öffentlich. Auf eine profil-Anfrage zur „Total London Commerce“ erklärte der Klub: „Die Gesellschafter-Sphäre der Viola Investment GmbH beziehungsweise der Big Ideas Group steht nicht im Einflussbereich der FK Austria Wien AG.“
Vorbild Bielefeld
Würden die Wiener weitermachen wie bisher, wäre die Insolvenz nur eine Frage der Zeit. Es muss ein Gamechanger her. Einen solchen verkündete Finanzvorstand Harald Zagiczek, er ist erst seit Oktober im Amt, vergangene Woche in mehreren Interviews: Der Verein erhofft sich einen Schuldenschnitt. Der größte Kreditgeber, die Bank Austria, soll auf einen substanziellen Teil der Verbindlichkeiten verzichten. Diese belaufen sich auf rund 45 Millionen Euro, 35 Millionen davon hat die Austria für die Stadionsanierung aufgenommen. Mit dem Schuldenschnitt würden auch die enormen Zinszahlungen entfallen, die den Klub aktuell –aufgrund der gestiegenen Zinsen – beinahe handlungsunfähig machen.
Der Verein könnte dann – das ist zweite Teil des neuen Masterplans – sein Stadion verkaufen. Mit den Einnahmen will er seine verbleibenden Schulden, jedenfalls einen großen Teil davon, tilgen. Wie realistisch das ist, lässt sich schwer beurteilen. Zu den laufenden Verhandlungen will der Verein nichts sagen, aus dem Umfeld ist zu vernehmen, dass man noch vor Weihnachten positive Neuigkeiten vermelden könnte. Vorbilder für ein derartiges Vorhaben gibt es nicht viele. In Österreich verkaufte der Zweitligist FC Lustenau 2003 sein Stadion an die Gemeinde und verhinderte so die Pleite – allerdings nur kurzfristig. 2013 gingen die Vorarlberger in Konkurs.
Orientieren könnte sich die Austria stattdessen an einem deutschen Traditionsklub: Auf rund 30 Millionen Euro beliefen sich die Verbindlichkeiten von Arminia Bielefeld im Jahr 2018. Banken, die Stadt und das Land Nordrhein-Westfahlen verzichteten auf Teile davon, ein lokales Investorenkonsortium kaufte daraufhin das Stadion (es ist mit einem Fassungsvermögen von 27.000 Zuschauern größer als die Generali Arena, allerdings nicht ganz so modern) und verhinderte die Insolvenz. Die Finanzkennzahlen haben sich seither stabilisiert, das Eigenkapital ist wieder positiv. Dabei half auch der Aufstieg in die deutsche Bundesliga 2020. Vom Sparkurs ließ dieser den Verein aber nicht abrücken, mittlerweile hat er Spuren hinterlassen: Im Sommer ist die Arminia in die 3. Liga abgestiegen und liegt dort aktuell im hinteren Tabellenmittelfeld.
Offene Fragen, alte Probleme
Hinter dem Deal in Wien stehen drei große Fragezeichen: Offen ist, warum sich die Bank auf einen Schuldenschnitt einlassen sollte. Finanzinstitute tun so etwas nur in absoluten Ausnahme- und Extremfällen. Die Austria wird wohl mit ihrem Renommee argumentieren. Dass das gelingen kann, zeigte nicht nur Arminia Bielefeld. Schon einmal, 1994, erließ die Bank Austria einem bedeutenden Fußballklub einen großen Teil seiner Schulden. Er hieß SK Rapid, die Sanierung ging durch ein Insolvenzverfahren. Heute würde ein solches zu einem Zwangsabstieg führen, damals war das noch nicht der Fall.
Die zweite Frage ergibt sich aus der etwaigen Stadionmiete. Denn nach einem Verkauf wäre der Klub nicht mehr Herr im eigenen Haus, müsste Miete zahlen und sich mögliche Einnahmen aus der Bewirtschaftung mit dem Käufer teilen. Aus reiner Nächstenliebe wird kein Unternehmen ein Stadion kaufen. Fragen zum Stand der Verhandlungen wollte der Klub öffentlich nicht kommentieren, nur eines machte er klar: Die Bank selbst gehört nicht zu den Interessenten.
Und dann ist da noch die Sache mit der Lizenz. Jedes Jahr im Frühling müssen Österreichs Bundesligisten Bilanzunterlagen einreichen, um zu beweisen, dass sie wirtschaftlich fit sind für die Liga. Konkret heißt das: Sie müssen beweisen, dass sie für die kommende Spielzeit die nötigen Mittel haben. Noch sind dabei etwaige Verbindlichkeiten oder ein negatives Eigenkapital belanglos, es geht lediglich um die Liquidität.
Das wird sich allerdings 2025 ändern, die Bundesliga will dann die „Nettoeigenkapitalregel“ einführen. Das geht auf eine Initiative des europäischen Fußballverbandes UEFA zurück. Die Regel schreibt vor, dass, sobald Klubs ein negatives Eigenkapital aufweisen, sie dieses innerhalb eines Jahres um zehn Prozent verbessern müssen. Wenn das nicht gelingt, droht der Lizenzentzug – also der Zwangsabstieg.
„Mit diesem Schritt soll der Fußball auf eine finanziell nachhaltigere Basis gestellt werden, auch wenn das sicherlich für den einen oder anderen Klub in ganz Europa noch Anstrengungen mit sich bringen wird“, sagt Alex Schwärzler, Bundesliga-Vorstand für Lizenzierung und Finanzen, auf Anfrage. Die Austria hätte in den vergangenen drei Jahren zwei Mal gegen diese Regel verstoßen.
Es bleibt abzuwarten, ob man am Verteilerkreis die richtige Ausfahrt erwischt.
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Moritz Ablinger
war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.