Reportage

Wir sind Kaisers!

Im Tiroler Bergdorf Kaisers haben 1994 fast 89 Prozent gegen den EU-Beitritt gestimmt. 30 Jahre später wagt profil den Lokalaugenschein.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Mitte April sitzen Bürgermeister, Agrar-Masseverwalter, Almobmann, Vorsitzender der Lawinenkommission und Datenschutzbeauftragter im Gemeindeamt. Ihr Name ist Norbert Lorenz. Denn Norbert Lorenz ist alle fünf. In einem Bergdorf wie Kaisers ist das nicht unüblich, schließlich leben hier nur 73 Menschen, da gehen einem die Funktionsträger zwangsläufig irgendwann aus. Vor der Tür schneit es, Wetterwarnung. Lorenz hat heute Sprechstunde. Er sitzt in seinem Büro: moosgrüner Teppichboden, Blumentischdecke, Jesus am Holzkreuz. Es gibt Kaffee, Tee und Wasser ohne UV-Bestrahlung, direkt aus der Quelle – Lorenz ist darauf erkennbar stolz. „Hier bei uns, da herrscht eine ganz andere Energie. Das merkt man, wenn man zu uns nach Kaisers herauffährt. Wir sind spiritueller“, sagt er.

Kaisers ist eine Gemeinde in den Lechtaler Alpen, ganz am Ende des Tals. Wer hierher will, braucht zu dieser Jahreszeit ein Auto, Busse fahren ausschließlich im Sommer. Die deutsche Touristin Bärbel hat deshalb auf halber Strecke vom Nachbarort Steeg wieder umgedreht, erzählt sie. Die Straße war ihr zu kurvig, der Abhang zu steil. Kein Wunder, Kaisers liegt auf über 1500 Meter Seehöhe. Fährt man durch den trüben April-Nebel, entpuppt dieser sich in den meisten Fällen als Wolke.

Das Dorf ist 74 Quadratkilometer groß – ein Einwohner pro Quadratkilometer, damit ist Kaisers die am dünnsten besiedelte Gemeinde Österreichs. Nun könnte man meinen, damit hat es sich. Bergdorf, Kirche, Volkspartei, Schnapsverkostung – fertig. Doch ganz so einfach macht es Kaisers einem nicht. „Vor 30 Jahren waren wir laut einigen Zeitungen die EU-feindlichste Gemeinde Österreichs“, sagt Bürgermeister Lorenz. Und damit hat er recht.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.