Die großen Fehler der Wiener Austria

Die Wiener Austria ist nur noch Siebenter in der Meisterschaft. Die sportliche Führung hat die Orientierung verloren.

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Es ist ein Spiel, das sich alle paar Jahre wiederholt: Die Wiener Austria muss von vorne beginnen. Der Verein liegt auf dem siebten Tabellenrang. Eine Schmach, wo doch bloß zehn Mannschaften klassiert sind. Beinahe jedes zweite Spiel wurde im Herbstdurchgang verloren, 21 Punkte beträgt der Rückstand auf Spitzenreiter Sturm Graz, ein Verein mit der Hälfte des Etats der Wiener. Seit Wochen ist von vielen Verletzten die Rede, vor allem in der Abwehr ist das auch tatsächlich ein Problem. Die Doppelbelastung mit Spielen im Europacup kommt dazu. Derzeit verliert der Verein beinahe jedes Match. Ob in Mailand oder Altach. Es scheint egal zu sein. Das Spiel der Wiener ist behäbig und ausrechenbar, nicht erst seit einige Spieler verletzt ausfallen. Der triste Alltag sieht so aus: Die Austria schiebt den Ball von einer Seite des Feldes zur anderen, oft recht langsam, in die gefährlichen Zonen kommt man immer seltener. Doch das Fiasko hat sich angekündigt und ist nicht bloß mit einer langen Verletztenliste oder einem zu vollen Spielplan zu erklären. Die ehrwürdige Austria hat kein nachhaltiges Konzept entwickelt. Und selbst das morsche Stückwerk droht gerade auseinanderzubrechen.

Meine Philosophie ist, dass ich keine fixe Philosophie habe

Vor beinahe drei Jahren ging der Verein ähnlich am Stock. Die Austria wusste nicht mehr, wie sie Fußball spielen soll. Nachdem Peter Stöger den Verein zur letzten Meisterehre coachte, regiert immer wieder das Chaos. Als die Vereinslegende Franz Wohlfahrt vor drei Jahren vom ÖFB-Tormanntrainer zum Sportdirektor der Austria aufstieg, wollte dieser von einer klaren Philosophie nichts wissen. "Meine Philosophie ist, dass ich keine fixe Philosophie habe", betonte er. Dabei gäbe es einige Vorbilder: In Österreich ist RB Salzburg das Parademodell für einen durchkonzeptionierten Fußballverein. Jeder Nachwuchstrainer, Spieler, Scout wird nach klar definierten Kriterien verpflichtet. Sogar Austria-Trainer Thorsten Fink äußerte sich zuletzt beinahe neidisch über das Salzburger Erfolgsmodell. "Sie holen keinen Spieler, der nicht diese läuferischen Qualitäten hat. Das kann man nicht trainieren, das kauft man sich auch anhand von genetischen Dingen", erklärte Fink. "Die Spieler sind soweit, dass sie das System umsetzen können. Das ist genial." Heißt im Klartext: Salzburg holt Spieler, die das dortige System umsetzten können. Die nur leicht versteckte Kritik: Wohlfahrt tut das anscheinend nicht. Denn: Was in Salzburg klappt, kann jeder andere Verein im Kleinen umsetzen. Alle Mannschaften, von den Knaben bis zu den Profis, spielen dort nach derselben Idee Fußball. In Salzburg ist das ein angriffiges, schnelles Spiel. Danach wird eingekauft. Und die Jungen können sich schneller in der A-Mannschaft durchsetzen, weil sie die Spielweise ja schon aus ihrem Nachwuchsteam kennen. Bei der Austria dagegen sollte man das derzeit aber gar nicht kopieren. Die Kampfmannschaft spielt derart behäbig und ausrechenbar, dass ein durchgängiges Implementieren der Spielidee bis in den Nachwuchs wohl eine richtige Schnapsidee wäre.

Chaos dominiert schon lange

Das Chaos dominiert bei der Wiener Austria schon lange. Als Franz Wohlfahrt zum Sportdirektor wurde, betonte Austria-Präsident Wolfgang Katzian, dass er mit einem klaren Konzept überzeugt habe. Wohlfahrt dagegen erklärte, ein klares Konzept erst erarbeiten zu wollen. Wochen später wurde er in einem Fernsehstudio nach seiner Philosophie für die sportliche Ausrichtung des Vereins gefragt. Wohlfahrt sagte nur, dass man nicht alles beantworten müsse. Mit Thorsten Fink holte der Sportdirektor einen erfahrenen Mann. Fink trainierte den FC Basel, den Hamburger SV, große Nummern im Fußball. Wie der Verein Fußballspielen soll, überließ der Sportdirektor dem Trainer. Fink saß anfangs in einem TV-Studio und wurde gefragt, ob Wohlfahrt ihn nach einer gewissen Philosophie geholt hätte und ob das vorab Thema gewesen wäre. Fink schmunzelte nur und betonte, dass er sein Konzept präsentierte und dieses auch umsetze. Punkt.

Das ist gängige Praxis in Österreich und zuweilen auch in anderen Fußballländern. Der Trainer bringt sein Konzept mit und lässt danach Fußball spielen. Kommt ein Neuer, beginnt zumeist alles von vorne. Neuer Trainer, neues Konzept. Moderne Sportdirektoren wollen mehr Nachhaltigkeit forcieren. Sie entwickeln selbst eine Philosophie und holen nach diesen Prinzipien passende Trainer und Spieler. Das hilft dem Verein langfristig erfolgreich sein zu können. Genau an diesem Punkt spießt es sich gerade. Thorsten Fink kritisierte zuletzt die Kaderplanung des Vereins. Dabei äußerte er sich noch vor Beginn der Saison noch recht zufrieden. Sein Wunschtransfer wird derzeit gar zum Symbol für das derzeitige Austria-Provinzstück. Der 34-jährige Heiko Westermann, ehemaliger deutscher Nationalspieler, wurde verpflichtet. Von Westermann kursieren Videos im Internet, die dessen Hoppalas zeigen. Bei der Austria wirkte der deutsche Verteidiger wie aus dem Altherrenfußball ausgeborgt. Langsam und behäbig. Mittlerweile ist Westermann verletzt. Selbst Trainer Fink weiß nicht, ob sein Landsmann noch einmal zurückkehren wird.

Vieles scheint bei der Austria unklar: Muss Trainer Fink diesen behäbigen Fußball spielen, weil er keine passenden Spieler für anderes bekommt? Spielt Fink den falschen Fußball mit den richtigen Spielern? Oder holt Wohlfahrt für die Idee des Trainers einfach die falschen Leute?

Einige Leistungsträger zeigen eine Berg- und Talfahrt, dazu kommt die Personalnot, die ist ein Faktum.

Von den letzten neun Liga-Spielen hat die Austria nur eines gewonnen. Franz Wohlfahrt betonte im Interview mit der Krone zuletzt: "Ich habe genau analysiert, was los war/ist." Nachfrage: "Und was war/ist los? Wohlfahrt: "Einige Leistungsträger zeigen eine Berg- und Talfahrt, dazu kommt die Personalnot, die ist ein Faktum." Heißt im Klartext: Wohlfahrts genaue Analyse ergibt, was jeder Teilzeit-Fan ohne Fernstecher sieht. Noch dazu gibt dessen Analyse dem Verein keine Möglichkeit gegenzusteuern. Denn was kann man als Sportdirektor schon gegen schwankende Spielerleistungen oder Verletzte tun? Die Ausfälle erklären, warum man nicht vorne mitspielt. Platz 7 erklären sie nicht. Wohlfahrts Analysen gestalten sich immer nach dem selben Muster. Die Spieler geben nicht hundert Prozent, konstatierte er nach einer Flaute in der letzten Saison. Heuer sind es viele Verletzte und die Doppelbelastung, die als Grund herhalten.

Zunehmend vorhersehbares Spiel

Dabei reicht ein Blick auf die vergangene Spielzeit, um zu zeigen, dass das nur zum Teil stimmt. Die Austria verlor damals im Herbstdurchgang (20 Spiele) sieben Partien. Die Doppelbelastung sollte schuld sein. In der Rückrunde (16 Spiele) gab es sechs Niederlagen. Der Schnitt wurde beibehalten, auch ohne zusätzliche Europacupspiele. Aktuell hält die Austria bei 8 Niederlagen in 19 Spielen. Der Verein wurde in der letzten Saison zwar Zweiter – obwohl die Mannschaft 13 (!) Niederlagen in 36 Partien kassierte. Vor allem der Totalabsturz von Rapid und das schwache Frühjahr von Altach und Sturm trugen dazu bei. Eines zeigt sich deutlich: Die hohe Anzahl an Niederlagen ist kein Novum der aktuellen Saison. Und auch bei den Gegentoren hat die Austria kein neues Problem, auch wenn man sie mit den vielen Ausfällen in der Abwehr argumentiert. Zwar wurden aktuell in 19 Spielen 29 Gegentreffer kassiert. In der letzten Spielzeit waren es aber nach 19 Runden exakt genau so viele: 29 (!). Dazu kommt: Viele Vereine scheinen den Spielaufbau der Austria mittlerweile auswendig zu können. Der Verein hatte zwar viele Verletzte und die Doppelbelastung – ein Grund für die Misere ist aber auch das zunehmend vorhersehbare Spiel.

Aktuell führt Sturm Graz die Tabelle an. Sportdirektor Günter Kreissl hat einen Kader zusammengestellt, der es Trainer Franco Foda ermöglicht, recht variabel Fußball zu spielen. Der neue Coach Heiko Vogel (ehemaliger Basel-Meistermacher und Bayern-Nachwuchstrainer) wurde geholt, weil man künftig dominanter Fußball spielen möchte und der Neue auf Ballbesitz-Philosophien spezialisiert ist. Das ist ein klarer Plan, den die Austria auch im dritten Amtsjahr von Sportdirektor Wohlfahrt nicht hat. Dabei verfügen die Wiener beinahe über das doppelte Budget im Vergleich zu Sturm Graz – trotzdem hat man bloß die Hälfte der Punkte geholt.

Thorsten Fink

Sportliche Entscheidungsgewalt gefragt

Die Austria kann nur mehr schwer aus dem Dilemma kommen. Trainer Fink ist bei einigen nicht wirklich beliebt, erzählen Austria-Insider. Seine manchmal herablassende Art wird wenig goutiert. Gerne hätte man ihn als Teamchef angebracht. Sportdirektor Wohlfahrts Vertrag dagegen läuft aus. Verlängert wurde er noch nicht. Dabei ist sportliche Entscheidungsgewalt gerade jetzt gefragt. Der Verein bräuchte eine klare Philosophie und danach ausgerichtete Spielereinkäufe. Bei Salzburg wird jedes Jahr die halbe Mannschaft verkauft und trotzdem spielt der Verein nach kurzer Anlaufzeit wieder wie aus einem Guss. Und Sturm Graz zeigt, dass man auch mit weniger Geld einen guten Plan erfolgreich umsetzen kann. Doch davon ist die Austria weit entfernt. Es ist in den letzten Jahren so wenig Nachhaltiges entstanden, dass selbst ein Abgang des zentralen Akteurs Raphael Holzhauser im Winter, die ganze bisherige Arbeit auf den Kopf stellen würde. Während in Salzburg alle Last von der Spielidee abgefedert wird, liegt der Erfolgsdruck in Wien auf den Schultern einzelner Spieler. Trainer Fink fordert derzeit neue Kicker, vieles wirkt panisch orchestriert. Eigentlich wollte die Austria am Transfermarkt nicht mehr zuschlagen. Zuletzt aber wurde bekannt, dass Wohlfahrt an zwei bulgarischen Teamspielern dran sei. Derzeit werden Löcher gestopft, um die Saison noch irgendwie zu retten. Doch wenn Wohlfahrt und Fink bei Transfers anscheinend aneinander vorbeireden, warum soll plötzlich alles wie geschmiert laufen? Die Austria wird wieder von vorne beginnen müssen. Entweder man entwickelt eine neue Spielidee und kauft dafür die passenden Spieler. Oder es kommen die Wunschspieler für Finks jetzige Vorstellungen. Es scheint wieder einmal nicht klar, wohin die Austria will. Während Wohlfahrt bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren eine übergeordnete Philosophie noch als unnötigen Schnickschnack beiseite wischte, wird ausgerechnet das Fehlen einer solchen aktuell zum größten Problem des Vereins.