Wolff-Christoph Fuss

Die raue Eminenz

Uli Hoeneß ist zurück.

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Er ist Urmutter, Patriarch, er ist Bayern München. Seit dem 25. November amtiert er wieder als Präsident des Vereins. Geläutert, demütiger, aber noch immer die Abteilung Attacke. Schon in seiner Antrittsrede feuerte er verbal in Richtung RB Leipzig. Von "Feind“ war die Rede (am Tag danach in "Rivale“ abgeändert). "Das war’s noch nicht“, hatte er auf der Mitgliederversammlung 2014 angekündigt. Er hielt Wort. 938 Tage später (inklusive einer verbüßten Haftstrafe) nahm er die Amtsgeschäfte wieder auf. Das Wahlergebnis von circa 95 Prozent hatte nordkoreanische Dimensionen. "So!“, sagte er nach seiner Wiederwahl.

Es ist davon auszugehen, dass Hoeneß auch während der 938 Tage in Entscheidungsprozesse rund um den FC Bayern eingebunden war, auch wenn das natürlich weder publik wurde noch jemals bestätigt werden wird. Seine Freigängerzeit verbrachte er im Nachwuchsleistungszentrum des Rekordmeisters.

Familiärer Charakter

Es ist weiß Gott nicht so, dass ein FC Bayern ohne Hoeneß nicht überlebensfähig wäre. Ganz im Gegenteil: Die wirtschaftlichen Zahlen waren nie besser. Der sportliche Erfolg mit vier Meisterschaften in Folge, einem Triple, zwei Doubles sowie drei Teilnahmen an Champions-League-Halbfinals in Serie ist nahe am Optimum. Und doch hat der FC Bayern in den vergangenen Jahren sein Alleinstellungsmerkmal im Konzert der Übergrößen im europäischen Vereinsfußball verloren - den familiären Charakter.

Insbesondere die Phase nach dem Triple 2013 und nach der Ära Jupp Heynckes, als sich Uli Hoeneß im Zuge seines Steuerprozesses zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, bekam den Anstrich eines Projekts. Der Verein büßte seine Nahbarkeit und damit seinen Sonderstatus im europäischen Spitzenfußball ein. Pep Guardiola pflegt unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu arbeiten, äußerst erfolgreich, aber im geschlossenen Kosmos. Bayern München schottete sich unter dem dem stolzen Katalanen ab - eine Wagenburgmentalität, die man aus Madrid, Manchester oder Barcelona kennt, aber nicht aus München. Ob man sportlich mit einem Uli Hoeneß in voller Strahlkraft noch weiter gekommen wäre, ist Spekulation. Emotional hätte man zweifellos profitiert. Guardiola behielt während seiner drei Jahre als Bayern-Trainer den Status des eigenbrötlerischen Sonderlings, der nur sprach, wenn er unbedingt musste, und die Mannschaft in neue taktische Welten führte, dem allerdings nie die entsprechende Wertschätzung der breiten Masse zuteil wurde.

Moralische Instanz Hoeneß?

Es scheint im Moment so etwas wie Zeitgeist zu sein, dass die Gesellschaft das dringende Bedürfnis hat, Vorbilder zu installieren - teilweise unkontrolliert und in atemberaubender Geschwindigkeit. Menschen werden binnen kürzester Zeit zu moralischen Instanzen erklärt und landesweit gehört. Gleichzeitig gibt es ein fast schon diebisches Verlangen danach, diese Instanzen mit noch größerer Hingabe wieder vom Sockel zu schießen. Für den Posten Moralapostel kann man sich nicht bewerben, und man kann ihn schon gar nicht einfordern. Entweder man wird dazu gemacht oder eben nicht. Ich bin neugierig darauf, ob und wie sich Uli Hoeneß künftig zu Fragen von Moral und Ethik äußern wird. In seiner ersten Amtszeit wurde er zu diesen Themen nicht nur gehört, sondern auch um Richtlinien gebeten.

Es ist fast Ironie des Schicksals, dass der Präsident in einer Phase zurückkehrt, in der dem Rekordmeister die große Dominanz der vergangenen vier Jahre abhanden gekommen zu sein scheint. Die Spitze ist breiter geworden in der Fußballbundesliga. Der Bulle aus Leipzig schnaubt vernehmbar, Dauerrivale Dortmund hat die Münchner bereits geschlagen, und auch all die anderen sind nicht mehr bereit, dem Serienmeister gleich beim Anpfiff die weiße Fahne entgegenzuhalten. Nach einer Phase des klinisch perfekten Taktierens gibt es derzeit ein Verlangen nach emotionaler, hemdsärmeliger Bereitschaft. Diese Nische wird Uli Hoeneß besetzen - weil er das kann. Erster Fan des FC Bayern war er immer, als solcher wird er jetzt wieder in offizieller Funktion agieren. Mehr kann man von einem Vereinspräsidenten nicht erwarten.

Wolff-Christoph Fuss kommentiert wöchentlich die Topspiele der deutschen Bundesliga und der UEFA Champions League live auf Sky.