Diego Armando Maradona (1960-2020)
Ist es noch ironisch oder bereits tragisch, dass Diego Maradona, der Göttliche und Größte aller Zeiten, der mit seinen 1,65 Zentimetern bis in die höchsten Höhen ragte, dass dieser Diego Maradona in einem Jahr seinem Leben erlag, in dem die Stadien leer blieben, in dem fast überall nur mehr Geisterspiele gespielt wurden und doch kaum jemand einen Geist für Fußball hatte?
Es ist, so oder so, ein Drama.
Wenn Diego Armando Maradona, geboren am 30. Oktober 1960, aufgewachsen in Villa Fiorito, einem Armenviertel im Süden von Buenos Aires, ein Tor zu bejubeln hatte, dann tat er das ganz anders, als er seine Tore schoss, nämlich schnörkellos: abdrehen, Tempo aufnehmen, Sprung, rechte Faust in die Luft. Kein Salto, kein Tanz, kein Trikotschwenken. Reine Schönheit. Sehr oft waren es Tore, die niemand glauben konnte, auch wenn er sie mit eigenen Augen gesehen hatte, damals, im Fernsehen, oder heute wieder, in einem der endlosen Maradona-Best-Of-Videos auf Youtube. Wenn der Junge aus Villa Fiorito mit seinem Kumpel, dem Ball, über den Platz stürmte, wusste keiner seiner Gegner, wie ihm geschah. Aber jeder wusste, dass etwas Einzigartiges vorging, dass dieser kleine Mann mit der Nummer 10, den lockigen Haaren und den gewaltigen Oberschenkeln, seinem Sport etwas Besonders schenkte. Es gibt einen Fußball vor Maradona und einen danach.
Nach dem Fußball blieb der Göttliche menschlich, sein Leben geriet ihm so unmöglich wie seine Dribblings. Der Ball liebte ihn, er aber hatte schon früh eine Affäre mit den Drogen begonnen, schon in seiner Zeit beim FC Barcelona, die an Skandalen nicht arm war und an ersten Tragödien auch nicht, erst recht dann aber beim SSC Napoli, dem er seine einzigen zwei Meisterschaften schenkte, was sie ihm in Neapel nie vergessen haben, trotz allem, was dann folgte: der Steuerprozess, die Exzesse, das Kokain.
Man sah ihn mit Fidel Castro auf der Couch und mit Che Guevara am Bizeps, die Zigarre zwischen den Zähnen, eine Frau im Arm, ein Kreuz auf der Brust. Er aß zu viel, er trank viel zu viel, er machte sich unmöglich. Er blieb unvergleichlich, versuchte es noch einmal mit den Albiceleste, als WM-Trainer 2010, mit seinem Nachfolger in spiritu sanctu, dem noch kleineren, vielleicht ebenso großen Messi. Das Abenteuer scheiterte unwürdig, wie so manches in diesen Jahren. Maradona stand immer im Mittelpunkt seines eigenen Lebens. An sich selbst kam er leider nie so leicht vorbei wie an Terry Butcher und Terry Fenwick und den anderen englischen Verteidigern. Er wurde mindestens einmal für tot erklärt, für verrückt wesentlich öfter.
Es bleiben Erinnerungen. Diese wird immer bleiben: Weltmeisterschaft 1986, Mexico City, Viertelfinale gegen England, gegen das Argentinien vier Jahre davor noch Krieg geführt hatte. Es ging, wie so oft, um wesentlich mehr als um Leben oder Tod. 22. Juni 1986, 114.580 Zuschauer im Aztekenstadion. Diego Maradona bekommt tief in der eigenen Spielhälfte den Ball, nimmt ihn mit und läuft, läuft, läuft, läuft. Und trifft. „Kosmischer Drache, von welchem Planeten bist du gekommen?“, fragt der Radiokommentator Victor Hugo Morales mit brechender Stimme, und fährt mit angemessener Inbrunst fort: „Danke, ihr Götter. Für den Fußball. Für Maradona. Für diese Tränen.“