Digital Detox: Wie soziale Medien uns "fesseln" und wie man sich davon löst
Die Sehnsucht nach mehr Zeit offline ist groß. Jeder kennt wohl zumindest eine Person, die sich schon ewig von Facebook verabschieden will. "Digital detox" ist das Trendwort für die Abkehr von den sozialen Medien oder dem Bildschirm insgesamt. Aber ist man ohne Feeds, Friends und Follower tatsächlich glücklicher? Viele Studien sprechen dafür. Erst kürzlich ergab eine Untersuchung der Freizeitgestaltung von 1 Million US-Teenager, dass jene, die weniger Zeit vor Bildschirmen verbrachten, sich insgesamt glücklicher fühlten. Einfach abschalten für ein bisschen mehr Zufriedenheit? Klingt einfach, ist aber in der Praxis weit schwieriger. Abwesenheit ist oft – auch aus beruflichen Gründen – keine Option.
Stattdessen kann man versuchen, eine "sichere" Nutzung der vielen Anwendungen zu praktizieren: "Wenn man selber das Gefühl hat, dass die Nutzung zu exzessiv ist, dann gelten dieselben Grundregeln wie beim exzessiven Spielverhalten. Wichtig ist die Selbsterkenntnis, denn diese ist der einzige wirkliche Parameter, um das Verhalten zu ändern", so Alexander Pfeiffer, Leiter des Zentrums für Angewandte Spieleforschung an der Donau-Universität Krems.
Das Problem erkennen
Zuerst die gute Nachricht: Es liegt nicht nur an Ihnen. Soziale Medien und viele andere Anwendungen sind bewusst gestaltet, um uns zu "fesseln". Ihre Macher verkaufen Aufmerksamkeit und Daten an ihre Werbekunden. Ihr Ziel ist es, dass User so oft und solange wie möglich ihr Produkt nutzen: "Es geht hier um unfassbar viel Geld", so Pfeiffer: "Der Firmenwert setzt sich aus den sozialen Interaktionen zusammen. Also wie oft loggen sich die Benutzer ein, wie lange verweilen sie auf der Seite, wie oft posten, liken oder kommentieren sie etwas. Außerdem kommt hier die 'Datenkrake' ins Spiel. Jeder Benutzer hinterlässt Datenspuren."
Um User zu binden, bedienen sich Mark Zuckerberg und Co. effektiver Tricks: Es ist kein Zufall, dass das Scrollen durch einen Feed Ähnlichkeit mit dem Spiel an einem einarmigen Banditen hat. "Gamification" nennt sich das Ganze, also "die Anwendung von Spielmechaniken auf die 'Nicht-Spielumgebung' soziales Netzwerk", so Pfeiffer: "Das Spiel ist bei Facebook die möglichst interessante Darstellung des eigenen Lebens im Gesamtbild und bei Xing oder Linkedin Punkte durch einen tollen Lebenslauf zu bekommen. An diesem gesellschaftlichen Wandel zum Spiel in den sozialen Medien arbeiten mittlerweile ganze Industrien und deren Marketingstrategen und Entwicklungsabteilungen."
Die Anwendung soll den Usern kurzfristig und einfach eine "Belohnung" zukommen lassen: Einen interessanten Post in der Timeline, einen Like, einen Retweet. Damit der User immer wieder zurückkehrt, muss die Belohnung immer variieren. Es darf nie ganz klar sein, was einen erwartet, wenn man die Anwendung aufruft: "Es muss eine perfekte Balance zwischen dem Erfolgsanreiz und der Wahrscheinlichkeit des Erfolges gefunden werden", so Pfeiffer. Die kurze Ladezeit beim Öffnen macht dieses "Spiel" noch aufregender. Dieser "Druck des Ungewissen" wird zum Beispiel durch Benachrichtigungen noch gesteigert. Diese haben zwei Effekte: 1. Die Benachrichtigung aktiviert die Neugier, man will wissen, was dahinter steckt. 2. Es gibt einem ein kurzzeitiges Gefühl der Befriedigung eine Benachrichtigung abzuarbeiten (dasselbe gilt für ungelesene E-Mails). Es wird den Nutzern so einfach wie möglich gemacht, bei negativen Gefühlen wie Langeweile kurzfristig ein positives Gefühl zu erzeugen.
Ist der User erst einmal in der Anwendung, gibt es weitere Mechanismen, die ihn dort behalten. Zum Beispiel soziale Reziprozität, vereinfacht das Bedürfnis, Menschen so zu behandeln, wie sie einen selbst behandeln ("Wie du mir, so ich dir"). Schreibt man einer Person in einem Chat und sieht an den hüpfenden Punkten oder dem Satz "Person X schreibt ...", dass man eine Antwort erwarten kann, wird man natürlich online bleiben, um der Person ebenso zügig antworten zu können. Ähnlich bei Likes: Gefallen einer Person viele der eigenen Bilder, fühlt man sich verpflichtet auch ihre Bilder zu liken.
Klicks, Likes, Friends und Follower werden zur Währung. Mittlerweile spricht man bereits von einer Ökonomie der Aufmerksamkeit und darin ist es die Aufmerksamkeit anderer, die uns scheinbar Wert verleiht. Mit der Zeit wird die Anwendung immer wichtiger. Man hat investiert: Kontakte, Gedanken, Daten und vor allem Zeit. Man hat sich einen Status erarbeitet: "Das, was ich digital darstelle, bin ich. Das, was ich digital darstelle, sehen andere. Daraus formt sich die Identität der Person, daraus formt sich das 'Self'", so Pfeiffer. Geht man, wäre ein großer Teil davon verloren. Die meisten bleiben also.
Die eigenen Gewohnheiten ändern
Um seine Gewohnheiten zu verändern, muss man sie zuerst kennen. Wie viel Zeit verbringen Sie wirklich am Bildschirm? Welche Anwendungen nutzen Sie? Versuchen Sie Ihre Geräte bewusster zu nutzen oder verwenden Sie eine App, die Ihr Verhalten am Telefon analysiert.
"'Medienfasten' ist ein ganz guter Ansatz", findet Pfeiffer, "gerade jetzt zur Fastenzeit. Fragen Sie sich: Welche sozialen Medien nutze ich gerne und mit Freude und welche sind nur eine blöde Gewohnheit? Dann so gut es geht abmelden und die Apps deinstallieren."
Einige einfache Tricks können helfen, die Zeit am Bildschirm zusätzlich zu reduzieren: Schalten Sie zum Beispiel alle Benachrichtigungen ab, außer die jener Apps, in denen tatsächlich Menschen mit Ihnen in Kontakt treten (Messenger wie WhatsApp oder Signal). Schalten Sie die Farben Ihres Telefons auf Grau. Durch Instagram scrollen macht weit weniger Spaß, wenn alles farblos ist. Entfernen Sie die Apps, die Sie weniger nutzen wollen, von Ihrem Homescreen. Schaffen Sie zu Hause einen Raum frei von mobilen Medien. Lassen Sie Ihr Handy hin und wieder liegen, sei es beim Einkaufen oder wenn Sie einen kurzen Spaziergang machen. Aber Achtung, dabei kann es aber durchaus zu Phantom-Vibrieren kommen.
Die Erfahrung verbessern
Auch ohne die Zeit am Schirm zu reduzieren, kann man einiges tun, um sie zumindest positiver zu gestalten, vor allem auf Social Media. Machen Sie sich klar, dass das, was Sie in den sozialen Netzwerken sehen, nur die Highlights anderer Menschen sind. Scrollen Sie bewusst durch Ihren Feed: Welche Inhalte geben Ihnen immer wieder ein schlechtes Gefühl? Welche Personen konfrontieren Sie immer wieder mit Dingen, die Sie unzufrieden machen? Entfernen Sie sie. Auch gute Freunde können auf Social Media einfach unerträglich sein. Mittlerweile gibt es auf Facebook sogar schon die Option, Menschen stumm zu stellen, ohne sie gleich ganz aus der Freundesliste zu löschen. Katzenvideos machen Sie glücklich? Folgen Sie mehr Seiten, die Katzenvideos verbreiten. Und zu guter Letzt: Beteiligen Sie sich nicht an jenem Verhalten, das das Internet zu einem negativen Ort für viele macht.