Dominic Thiem: „Ich kann mich nicht auswechseln lassen“
profil: Anfang des Jahres waren Sie fünf Wochen verletzt. In Madrid standen Sie trotzdem knapp vor dem Turniersieg. Wie wichtig ist Geduld im Tennis? Dominic Thiem: Einen ungeduldigen Tennisprofi kann es gar nicht geben, denn wir warten ständig: auf Flughäfen, auf den Shuttle-Service, auf einen freien Trainingsplatz, in der Players Lounge. Wer nicht warten kann, wird in diesem Job nicht happy. Im Match selbst muss man die Mitte zwischen Angriff, Druck machen und abwarten finden. Wirklich nervig ist das Warten vor dem eigenen Match. Da ist man unruhig und angespannt.
profil: Gewöhnt man sich an diese Nervosität? Thiem: Ja, ich bin mittlerweile weniger angespannt als früher. Ich weiß jetzt besser, was mich erwartet. Ich hab auf allen großen Plätzen gespielt, gegen alle guten Spieler. Aber eine Grundnervosität bleibt immer, auch wenn man auf Court 17 gegen die Nummer 700 in der Weltrangliste spielt. Nur mit einer gewissen Anspannung kann man gut spielen.
profil: Österreichische Tennisfans warten seit dem Erfolg von Thomas Muster 1995 in Paris auf einen Einzelsieg bei einem Grand-Slam-Turnier. Haben Sie das im Hinterkopf? Thiem: Sie haben von 1891 bis 1995 auch warten können (lacht). Also: nein. Muster ist eine Legende, er hatte seine Karriere, ich habe meine. Hoffentlich gewinne ich meinen großen Titel, so wie er seinen.
Fans haben das Recht, etwas zu erwarten.
profil: Wie gehen Sie damit um, dass fremde Menschen viel von Ihnen erwarten? Thiem: Zuerst einmal habe ich mir das erarbeitet. Ich habe mich in eine Situation gebracht, dass mir Menschen zutrauen, einen großen Titel zu gewinnen. Sport ohne Fans würde nicht existieren, deswegen haben sie auch das Recht, etwas zu erwarten. Ich selbst bin Fan vom FC Chelsea und werde auch grantig, wenn die einen Stiefel zusammenspielen.
profil: Was nehmen Sie sich für Paris vor? Thiem: Den nächsten Schritt zu machen. Letztes und vorletztes Jahr war ich im Halbfinale. Logisches nächstes Ziel muss also das Finale sein. Aber du spielst ab der ersten Runde gegen Leute, die extrem gute Tennisspieler sind. Und auch wenn du in den Top Ten stehst: Wenn du nicht das bringst, was du kannst, wird es gegen jeden da draußen ganz schnell eng.
profil: Sie haben ein großes Betreuerteam. Am Platz stehen Sie aber alleine. Ist Tennis der ideale Sport für Einzelkämpfer? Thiem: Natürlich ist Tennis ein Einzelsport. Aber ohne mein Team – Trainer (Günter Bresnik, Anm.), Eltern, Physiotherapeut und viele andere – wäre ich nie so gut geworden. Undenkbar. Insofern ist Tennis, bevor du auf den Platz gehst, ein Teamsport. Erst im Match bin ich dann auf mich alleine gestellt. Von meinen 80 Spielen im Jahr fühle ich mich in fünf unfassbar gut, so wie letztes Jahr bei meinem Sieg gegen Rafael Nadal in Rom. Bei fünf fühle ich mich richtig schlecht, da geht gar nichts. Bei allen anderen muss ich versuchen, dass ich meine Unzulänglichkeiten überwinde. Da kann ich mich nicht wie im Mannschaftssport auswechseln lassen. Das bringt eine gewisse Wahrheit in den Tennissport.
profil: Das alte Duell Mann gegen Mann? Thiem: Nein, das nicht. Wäre Tennis ein so intensiver Zweikampfsport wie Boxen, bei dem man wirklich körperlichen Kontakt hat, einen Konflikt körperlich austrägt, dann wäre das nichts für mich. Ich sehe meinen Gegner auch nicht als Feind, den ich besiegen muss, sondern als denjenigen, der die Messlatte legt, über die ich drüber muss. Derjenige, der an diesem Tag besser ist, gewinnt. Es gibt keine Wertungsrichter, alles fällt auf dich zurück. Du musst besser sein als der drüben. Und auf der ATP-Tour ist der drüben extrem gut, auch wenn er vielleicht auf Platz 100 oder 150 steht.
profil: Gibt es eine gewisse Situation in einem Match, die Sie besonders mögen? Thiem: Je enger es wird, desto mehr taugt es mir. Das Knistern bei 5:5, 30 beide, da ist die Spannung am größten. So eine Situation macht etwas mit mir, das ich alleine nicht zusammenbringe an Konzentration, an Fokus und an Intensität. profil: Wirklich: Keine Angst bei 5:5, 30 beide? Thiem: Ich habe immer das Gefühl, dass ich das gewinne. Immer. Aber der andere hat das Gefühl wahrscheinlich auch. (Lacht.)
profil: Gibt es im Gegensatz dazu eine Situation, die Sie besonders fürchten? Thiem: Fürchten ist im Tennis verboten. Wer Angst hat, wird verlieren. Aber ich mag die Anfangsphase eines Matches oder Satzes nicht so. Da fehlt mir diese Spannung, von der ich gerade gesprochen habe. Schneller in ein Match zu starten, ist definitiv noch etwas, das ich verbessern muss.
Das perfekte Match wird man nie abliefern, man wird immer Fehler machen.
profil: Buenos Aires, Paris, Melbourne, Shanghai, New York: Wie ist es für Sie, ständig unterwegs zu sein? Thiem: Das ist Teil des Jobs, aber teilweise mühsam, weil ich gerne zuhause bin. Ich kriege von den Städten nicht viel mit, ich bin ja nicht als Tourist dort. Klingt nach Klischee, aber es stimmt: Ich sehe den Flughafen, das Hotel und die Tennisanlage. profil: Und nach dem Turnier? Thiem: Wenn ich ausgeschieden bin, ist meine Laune im Keller und ich will eigentlich nur mehr weg. Da könnte ich eine Sightseeing-Tour gar nicht genießen.
profil: Tennis ist ein ständiger Lernprozess. Was haben Sie über sich und Ihr Spiel im letzten Jahr gelernt? Thiem: Tennis ist wirklich ein permanenter Prozess, da brauche ich gar nicht nur vom letzten Jahr reden. Jeder Schlag ist eigentlich neu, man muss sich immer neu einstellen und bereit sein. Wenn man das nicht tut, verschlägt man auch als Top-Ten-Spieler die einfachsten Bälle. Roger Federer ist ein sehr gutes Beispiel, wie man sich permanent weiter entwickelt: Der spielt heute völlig anders als noch vor ein paar Jahren. Obwohl gerade er allen Grund gehabt hätte zu sagen: Jetzt kann ich's eh schon ganz ordentlich, jetzt brauche ich nix Neues mehr lernen. profil: Das heißt: Egal wie gut man ist, das Ziel ist trotzdem nie erreicht. Macht Sie das fertig? Thiem: Als Tennisspieler muss man eben wissen: Das perfekte Match wird man nie abliefern, man wird immer Fehler machen. Wenn du damit nicht umgehen kannst, wird es nichts mit der Karriere.
profil: Was fasziniert Sie am Tennisspiel? Thiem: Zum Beispiel genau das: Dass du immer ein Schüler bleibst und nie auslernst. Und das klingt jetzt vielleicht banal: ein Match zu gewinnen, der Moment, wenn du siehst, der Matchball kommt nicht mehr zurück, der ist schon jedes Mal etwas Besonderes und bestätigt dir: Heute warst du besser als der andere.
profil: Was braucht es dann, um die Nummer eins zu werden? Thiem: In 52 Wochen mehr Punkte als jeder andere Spieler zu gewinnen. Das bedeutet, dass du das ganze Jahr auf höchstem Level spielen musst, bei allen vier Grand-Slam-Turnieren und auf allen Belägen. Nur wenige Menschen in der Geschichte waren die Nummer eins. Das kann man nicht erwarten. Aber man kann daran arbeiten.
Zu Person: Der 24-jährige Niederösterreicher hat bisher neun Turniere gewonnen und ist derzeit die Nummer acht in der Weltrangliste. 2016 und 2017 stand er beim Grand-Slam-Turnier in Paris jeweils im Halbfinale, 2018 beim Turnier in Madrid im Finale. Die French Open finden heuer vom 27. Mai bis 10. Juni statt.
Interview: Stephan Wabl