„Ich bin ein sehr skeptischer Mensch“, sagt Michael Fleischhacker jetzt, und er meint das nicht kulinarisch, wir sind erst bei der Vorspeisensuppe. Fleischhacker löffelt sie bis zum bitteren Ende und dreht dann die Suppenschüssel so um, dass auch noch der letzte Tropfen auf seinen Löffel rinnt. Der Mann hat eine unglaublich ruhige Hand. Skeptisch ist er, was Meinungen betrifft: „Im Journalismus haben heute sehr viele sehr schnell eine exponierte Meinung, und das ist nicht immer gut.“
Hat er das jetzt wirklich gesagt? In seiner Zeit als „Presse“-Chef war Michael Fleischhacker genau für solche schnellen und exponierten und gar nicht gnädigen Meinungen bekannt. Stimmt schon, meint er, er habe das früher anders gesehen, „aber ich bin erstens froh, dass ich nicht mehr jeden Samstag und zu allem eine Meinung haben muss. Und zweitens glaube ich wirklich: Je mehr man weiß, desto zurückhaltender wird man mit seiner eigenen Meinung.“
Michael Fleischhacker wird im Mai 55 Jahre alt, vor noch nicht ganz zwölf Jahren musste er nach einer sehr steilen Karriere seinen Chefsessel bei der „Presse“ räumen. Das war schade, weil er aus einem verschnarchten Hofratsblättchen die spannendste Tageszeitung Österreichs gemacht hatte. Er hatte polarisiert, nicht nur mit Meinungen, sondern auch mit seiner Inszenierung, aber damals musste man Fles „Presse“ lesen, und wenn es nur darum ging, dass man sich ärgern konnte. Doch irgendwann passten die Auflagen und Umsätze nicht mehr, und dann dachten seine Adlaten, dass sie lange genug Adlaten waren.
Seit damals hat er im Journalismus viel probiert, erst für die „NZZ“ die digitalen Österreich-Seiten, dann für eine Stiftung von Dietrich Mateschitz die Rechercheplattform „Addendum“. Beide Projekte waren journalistisch sehr gut, hielten sich aber aus unterschiedlichen Gründen nicht lange, das Selbstbewusstsein der Macher war jedes Mal deutlich größer als die Geduld der Eigentümer. Seit dem Ende von „Addendum“ moderiert Fleischhacker auf Servus TV, er ist dort Ferdinand Wegscheider unterstellt und hinterfragt das nicht. Über Wegscheider sagt er nur, dass der „ein guter Intendant ist, der andere Meinungen zulässt, niemandem seine Position aufzwingt und den Sender breiter führt, als manche denken, die nur die Figur aus der Satiresendung kennen.“ Daneben schreibt er einen kleinen, unregelmäßig erscheinenden und manchmal etwas verblasenen Newsletter für 1500 Abonnenten.
Ob ihm etwas fehlt? Reichweite? Aufmerksamkeit? Das Chef-Sein? Fleischhacker lacht und sagt dann: „Nein. Reichweite habe ich im Fernsehen mehr als früher.“ Ob er sich ärgert, wenn er sieht, wer in Österreich mittlerweile aller Chef bei wichtigen Zeitungen und Zeitschriften ist? Auch da lacht er und sagt dann: „Nein, definitiv nicht. Ich weiß, dass ich all diese Produkte auch mindestens so gut machen könnte. Aber wenn man mal Chefredakteur war, dann sieht man das gelassener.“
Michael Fleischhacker war immer auch ein bisschen Provokation, und damit ist nicht nur seine Frisur gemeint. Als er noch auf Social Media aktiver war, war er für viele, die beweisen wollten, dass sie auch sehr schlau sein können, ein guter Reibebaum. Heute ist er kaum noch auf Twitter „Ich habe dafür nicht mehr genug Nettolebenszeit“, sagt er. „Ich glaube aber, dass dieses Hochgeschwindigkeits-Dahin-Meinen die Leute nicht gescheiter macht.“
Hochgeschwindigkeits-Dahin-Meinen, das ist auch so ein Fleischhacker-Begriff.
In Sachen Lebensqualität hat er es aber offenbar nicht nur schlecht erwischt. Michael Fleischhacker wirkt entspannt und gut erholt, kein Vergleich mit anderen Print-Chefredakteuren, die gegen Auflagen- und Bedeutungsverluste ankämpfen müssen. Graue Haare kennt er nur aus der Werbung und von ehemaligen Mitarbeitern, er macht viel Sport, sagt er. Gerade eben hat er sich ein EMS-Gerät für zu Hause gekauft, so ein Ding, mit dem man sich beim Training selbst Stromstöße verabreicht, damit das Work-out noch effizienter ist. Zu seiner Sendung nach Salzburg fährt er mit dem Zug, Michael Fleischhacker hat mittlerweile ein Klimaticket, und das, obwohl er früher wirklich sehr gern mit dem Auto gefahren ist.
Man kann mit ihm nach wie vor gut über Medien reden, auch wenn er glaubt, dass der Journalismus falsch abgebogen ist: „Journalismus soll meiner Meinung nach Probleme aufzeigen. Journalisten, die sich für Lösungsansätze verantwortlich fühlen, sind Aktivisten, und das ist wieder etwas anderes.“ Print-Abos hat er keine mehr, was Tageszeitungen betrifft, ist er aber „optimistischer als noch vor zehn Jahren: Ich mag Gedrucktes, auch aus ganz pragmatischen Gründen. Wenn ich heute etwas lese, ist meine erste Frage oft: Kann das stimmen? Und da glaube ich Gedrucktem einfach mehr, auch deswegen, weil Drucken so teuer ist.“
Irgendwie haben wir mittlerweile die unbeschreiblichen Bärlauch-Erdäpfelnockerl gegessen, Fleischhacker hat sogar das ganze Saucen-Meer verdrückt und bestellt jetzt noch Nachspeise, einen Milchrahmstrudel. Er ist wirklich ein mutiger Internatsschüler, irgendwann wird Mitleid doch eine kulinarische Kategorie.
Wir reden über Politik und die anstehenden Wahlen. Er sagt, dass er sich mit „ernsthaftem Interesse für die österreichische Politik manchmal schwertut“ und dass er nachvollziehen kann, warum Herbert Kickl in den Umfragen so gut dasteht: „Da geht es nicht um Rechtsextremismus oder Migrationspolitik. Es liegt an der Pandemie. Man hat eine Million Menschen vom öffentlichen Leben ausgesperrt und dann der FPÖ zwei Jahre das Oppositionsmonopol überlassen. Das hat für Herbert Kickl den letzten Boost gebracht.“ Fleischhacker sagt, er wisse noch gar nicht, wie Servus TV über den Wahlkampf berichten werde. Dass der Sender so wie andere Private von der FPÖ boykottiert werde, glaubt er aber nicht.
Das wäre auch überraschend. Und ganz und gar nicht mutig.