eadtrink: G'selchte Bouillabaisse
Noch wabert der gesättigt schwüle Duft gebratener Gänse durch die Stuben, und schwer geworden vom Fett der Vögel zieht es uns zu hochprozentigen Digestifs wie die Fromme Helene zum Likör. In der Herbstküche wird der verzweifelte Schrei nach Abwechslung laut, nach Leichterem, gleichwohl Herzhaftem. Zum Beispiel nach Fisch. Was für ein Glück, dass derzeit die großen Räuber Saison haben: Die Anglerei auf Hecht und Zander ist im späten Herbst, bei buntem Laub und mystischem Nebel, nicht nur besonders schön, sondern auch vielversprechend; das hilft vielen Menschen nicht unbedingt, aber jetzt besteht auch die Möglichkeit, stattliche Exemplare, etwa aus dem Neusiedler See, im Handel zu erwerben.
Vor mir liegen vier prachtvolle Zanderfilets, denen ich schonungsvolle Garung und wärmende Würze zugleich verpassen möchte. Ich erinnere mich an einen früheren signature dish von Walter Eselböck im "Taubenkobel", wo ich vermutlich 1996 erstmals mit der Verpartnerung von Fisch und Selchfleisch konfrontiert wurde, konkret: mit einem in Speck gewickelten Zander, eine Weiterentwicklung der norddeutschen Scholle auf Finkenwerder Art. Etwa zu dieser Zeit servierte man mir in Rom auch ein geröstetes Brötchen mit schneeweißem Lardo und gebratener Garnele; spätestens da war klar, dass Flossen-, Scherenund Rüsselträger auf dem Teller bestens harmonieren.
Und jetzt das Wichtigste: eine etwa 1 cm dicke Scheibe Selchspeck mit Schwarte. Im Ganzen.
Die Basis für mein deftiges Zanderragout ist ein bouillabaisseähnlicher Eintopf. Ich betone: Er ist nur so ähnlich. Den setze ich wie folgt an: Ich schneide eine etwa bananenlange Karotte und eine faustgroße mehlige Kartoffel in 1 cm große Würfel und röste das Gemüse in einer großen, tiefen Pfanne nicht allzu forsch an. Währenddessen schneide ich eine Fenchelknolle in kleine Stücke, 10 cm vom grünen Teil des Lauchs in feine Scheiben und breche einen halben Karfiolkopf in kleine Röschen. Sobald Kartoffeln und Karotten leichte Röstspuren zeigen, gebe ich zwei grob zerquetschte Knoblauchzehen und einen TL Fenchelsamen dazu, röste kurz weiter, ziehe die Pfanne kurz vom Herd und rühre einen TL Pimentón de la Vera (geräuchertes Paprikapulver) ein.
Zurück auf der Herdplatte gebe ich der Pfanne ordentlich Hitze und lösche mit einem kleinen Schuss Pernod ab. Sobald der verkocht ist, folgt ein gutes Viertel Weißwein, ein heftiges Aufkochen später ein Viertel Fischfond und kurz danach eine Dose Kirschtomaten. Dann wird gewürzt: 1 Lorbeerblatt, Salz, Pfeffer und eine Messerspitze Safran. Und jetzt das Wichtigste: eine etwa 1 cm dicke Scheibe Selchspeck mit Schwarte. Im Ganzen. So köchelt das dicke Süppchen eine Viertelstunde vor sich hin, bevor das restliche Gemüse in die Pfanne kommt. Währenddessen schneide ich die Zanderfilets in 5 cm breite Schnitten, pfeffere sie und beträufle sie mit etwas Olivenöl und Zitronensaft. Wenn Lauch, Fenchel und Karfiol noch leicht knackig sind, lege ich die Fischstücke auf das Ragout und setze den Deckel auf. Etwa 10 Minuten Dämpfzeit brauchen schöne Zanderschnitten, um bis auf einen glasigen Kern durchzugaren. Fisch raus, etwas gehackte Petersilie ins Ragout rühren, in tiefen Tellern anrichten und die Fischstücke drauflegen. Vom Speck darf jeder gerne auch ein Stück haben.
Dazu gibt's übrigens statt der klassischen Rouille mit Pesto Genovese bestrichenes geröstetes Weißbrot. Oder weiße Polenta. Oder Crostini mit Kernölmayonnaise. Oder nix.
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