eatdrink: Der fermentierende Holländer
Eines gleich vorweg: Für dieses Grätzel gilt derzeit die Unschuldsvermutung. Das muss man ja auch einmal durchdrücken. Du suchst eine lässige Location für das erste eigene Restaurant, findest sie in einer kleinen Gasse des Wiener Regierungsviertels, ganz in der Nähe von Rathaus und Parlament, und dann hast du eine Riesenbaustelle mit aufgetürmten Containern vor der Tür, weil in unmittelbarer Nachbarschaft eine Company ihre Zentrale baut, deren Name derzeit ziemlich oft im Gerichtssaal fällt, nämlich BUWOG. Aber damit nicht genug. Wenn du an dem netten Tisch gleich beim Fenster sitzt, blickst du auf das Schild des Bauträgers, der in Riesenlettern stolz mitteilt, "Partnerin der Tiroler Festspiele Erl" zu sein. Will man dort "Partnerin" sein? Jeder, wie er will.
Aber Baustellen haben ein Ablaufdatum. Man wünscht es Daan de Val und seiner Lebensgefährtin Evelyn Schranz, die kürzlich zu zweit ihr unglaublich sympathisches kleines Restaurant "Deval" eröffnet haben - er in der Küche, sie, mit genialer "Pulp Fiction"-Frisur à la Uma Thurman, im Service.
Das "Deval", in freundlichem, antidepressivem Grau (ja, die Farbe gibt es) gehalten, erstreckt sich auf zwei Etagen; auf jeder stehen nur ein paar kleine Tische. Daan de Val ist Niederländer, arbeitete in der Küche mehrerer Botschaften und zuletzt als Küchenchef in Toni Mörwalds Kochschule namens "Kochamt".
Eine unverwechselbare, mit viel Verstand und Gespür ausgestattete Küche.
Mit dem Schritt in die Selbstständigkeit untermauern de Val und Schranz einen unübersehbaren Trend in der Gastronomie: Bistronomy, also feines Essen in legerer Atmosphäre. De Vals Konzept besteht aus zwei Grundsätzen: Erstens verwendet er nur Zutaten aus Österreich, also nicht einmal Pfeffer, unterscheidet sich aber von der radikalen Regionalität des dänischen "Noma" dadurch, dass ursprünglich nicht heimische Zutaten wie Zitrusfrüchte erlaubt sind, solange sie hier gedeihen; zweitens wird fermentiert und eingelegt, was immer fermentiert und eingelegt werden kann. Fleisch darf ausgiebig reifen, Rauchnoten sind herzlich willkommen. Dass de Val küchentechnisch ziemlich ausgeschlafen ist, zeigen gleich zu Beginn herrlich krachende Tomaten-Chips, die er nach dem Muster von Hummer-Chips herstellt und zu leicht geräuchertem Schweinebauch serviert.
Dann geht das Menü los. Es gibt nur eines zu vier oder sechs Gängen. Die einzelnen Speisen sind nach Märchen beziehungsweise Märchenfiguren benannt. "Schneeweißchen" ist ein Potpourri aus Sellerie-Pannacotta mit Buttermilch, fermentiertem Gemüse wie Rettich und Schwarzwurzel und einem weißen Jus aus Milch und Cashewkernen - große Gemüseküche. "Prinzessin auf der Erbse" besteht aus Kopfsalat-Cremesuppe, Erbsen, Mangold und Fenchel; die einzelnen Aromen sind ganz sauber herausdestilliert. Reichlich viel will der Teller mit gereiftem Lammtatar, gezupftem Lammragout (pulled lamb könnte man sagen), Roten Rüben, Paprikacreme und Tomaten-Coulis. Die einzelnen Bestandteile sind gut abgeschmeckt, man könnte sich aber überlegen, die Sache auseinanderzuklauben und in zwei Gängen zu servieren: Tatar & Paprika sowie Ragout & Rüben. Beim Fischgang "Die kleine Meerjungfrau" kommt endlich wieder einmal die Schleie zu Ehren, dieser feine unterschätzte Karpfenartige, dazu gibt es selbst gemachtes Sambal-Pulver aus Wiener Chilis, marinierte Gurken, Schweinskrusten-Crumble und einen Sauvignon-Blanc-Jus -derzeit wohl eines der interessantesten Fischgerichte der Wiener Gastronomie. Rauchig, schmelzig und butterzart gerät das in Asche gereifte Backerl vom hier aufgewachsenen Wagyu-Rind mit Kartoffel-Espuma, verschiedenen Zwiebeltexturen und Kimchi.
Eine unverwechselbare, mit viel Verstand und Gespür ausgestattete Küche. Ich zücke heute das Label "Critic's Pick".
Deval Doblhoffgasse 5,1010 Wien Tel.: 01 / 890 87 97 So, Mo Fei geschlossen devalrestaurant.at Menüs: 65 (4 Gänge) und 75 (6 Gänge) Euro