#EatDrink: Die vegane Gesellschaft und ihre Feinde
Nachrichten aus der Welt ohne tierische Produkte: Laut einer Studie in der Immobilienszene ist der Bezirk Neubau heuer raketenartig von Platz 11 zum beliebtesten Bezirk Wiens aufgestiegen. Ein explizit genannter Grund dafür: die vielen Möglichkeiten, sich in Handel und Gastronomie vegan zu ernähren. Auch der erste vegane Mainstream-Supermarkt "Pflanzilla" hat vor wenigen Monaten naturgemäß in Neubau eröffnet. Und ganz in der Nähe, am Wiener Westbahnhof, ordiniert seit Juli der erste zu 100 Prozent vegane Burger.
Der Veganismus ist im Mainstream angekommen, aber der Mainstream ist kein Ponyhof, in dem unschuldige Paarhufer friedlich auf der Weide grasen. Da gibt es auch schwarze Schafe. So flog kürzlich auf, dass Burger King seiner Kundschaft in Deutschland auch Hühnerfleisch in veganen Hamburgern unterjubelte. In den USA geriet das New Yorker "Eleven Madison Park", das schon mal die Liste der besten Restaurants weltweit anführte, in die Kritik. Chef Daniel Humm hatte die Karte vergangenes Jahr unter heftigem Mediengetöse vollständig veganisiert. Seither scheint dort alles schiefzugehen. Medien deckten auf, dass im Hinterzimmer - wie weiland in der Prohibition - weiterhin Steaks serviert wurden. Die Arbeitsbedingungen seien, den Berichten zufolge, katastrophal, die Bezahlung lausig, und mit der Nachhaltigkeit scheint es auch nicht weit her zu sein. Kiloweise werde Gemüse weggeworfen; "farm to trash", höhnten Angestellte in Anspielung auf den ruralen Heile-Gastrowelt-Trend "farm to table".
Einwände oder Argumente gegen eine strikt vegane Lebensweise mag der Veganismus nicht so sehr, doch Themen gäbe es genug: Genügt es, einfach nur des Tierwohls wegen auf Fleisch, Fisch, Eier, Milch und Honig zu verzichten? Oder braucht es für einen nachhaltigen Lebensstil etwas mehr? Zum Beispiel eine andere, auch dem Menschenwohl verpflichtete Landwirtschaft als jene im südspanischen Almería, wo Migrant:innen unter unmenschlichen Bedingungen und hingebungsvoller Missachtung des Klimaschutzes das Obst und Gemüse anbauen und ernten, mit dem man sich in Europa so wohlfühlen kann.
"Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte", nannte der US-Autor Michael Pollan seine vor zehn Jahren erschienene goldene Regel für gute Ernährung. Damals wurden Linsen-Bolognese, Seitan-Ente und Pilzwürste noch mild belächelt, und der Starkoch Vincent Klink spottete, ein veganes Gericht gewinne enorm, wenn man es kurz vor dem Servieren durch ein Steak ersetze. Aber das war nur Gebell, er wollte ja nur spielen - und brachte das Kochbuch "Voll ins Gemüse" heraus.
Das Hadern mit dem Verzicht und der Zwang zum Imitat treiben allerdings immer groteskere Blüten. Es kommt einem vor, als würde jemand, der auf Flüge verzichten will, mit ausgebreiteten Armen auf einer Wiese hin und her rennen, um endlich abzuheben, anstatt einfach mit der Bahn zu fahren.
Kurze Nachschau in den veganen Supermarkt-Regalen: Ćevapčići, Schnitzel, Steak oder Filet auf Hähnchen-Art -aufwendig verpackt -bestehen zu etwa 10 bis 20 Prozent aus Hülsenfrucht-Proteinen; der Rest sind vielfach künstliche Aromen, Extrakte und Pulver, Konservierungs- und Verdickungsmittel sowie zugesetzte Vitamine. Schlusspointe: "Kann Spuren von Ei und Milch enthalten."
Dabei ginge es so einfach: Von der Obst-und Gemüseabteilung zu den Regalen mit Getreideprodukten, Essig, Öl und Gewürzen und ab zur Kassa. Und wer seinen Kaffee nicht schwarz trinken will, besorgt sich einfach eine Packung Haferflocken, mixt sie mit Wasser gründlich durch und geht in Deckung, wenn die ersten Speckknödel aus Tirol geflogen kommen.
Wenn kleine Kinder sich etwas merken wollen, strecken sie die Zunge aus dem Mundwinkel, runzeln die Stirn, verdrehen die Augen nach oben und fangen an, mit dem Zeigefinger der einen Hand die Finger der anderen nach und nach aus der Faust zu biegen. Ene, mene muh Ich mache das auch manchmal. Vor längerer Zeit rief mein Sohn an und meinte, er würde gerne eine Freundin zum Essen mitbringen. Veganerin.
Ich überprüfte den Teig für das Fladenbrot zur besten aller vorstellbaren veganen Speisen: Tabouleh, der Petersil-Couscous-Salat aus dem Orient. Zunge raus, Augen nach oben und mit den Fingern die Zutaten durchzählen: Mehl, Wasser, Salz, Öl, Hefe Alles vegan, oder? Moment! Ist Hefe vegan? Sie wächst doch und wird immer blader. Was sagt die Tierschutzorganisation PETA eigentlich dazu? Die Online-Recherche führte zur Entwarnung: Hefen sind keine "kleinen Zaubertierchen", sondern "einzellige Pilze, die genau wie andere Pilze keine Schmerzen fühlen können". Nur den Löffel Honig im Teig konnte ich mir abschminken. Honig ist nichts anderes als Diebesgut, ausgebeuteten Bienen entrissen. Der Veganismus ist eben kompliziert; besonders gut kann man das bis heute nachvollziehen, wenn man im Restaurant nachfragt. Zwar wächst, gesetzlich verordnet, das Wissen über Allergien und Unverträglichkeiten; ob vegan oder nicht, das ist meist wurst. Da wird dann gerne die Hühnersuppe oder das Omelett empfohlen.
Daran hat sich auch im Jahr 2022 nicht viel geändert. Die Zahl der veganen Menschen jedoch steigt. 106.000 waren es 2021 in Österreich, etwas mehr als ein Prozent der Bevölkerung, aber als Zielgruppe werden sie mittlerweile so wichtig genommen, als wären es mindestens zehnmal so viele. Es gibt auch immer mehr vegane Personen, die in der Lage sind, Gespräche zu führen, in denen sie nicht gleich zu Beginn betonen, vegan zu sein; das soll nicht unerwähnt bleiben.