Eatdrink: Fernöstliches "fabios"
Es ist kurz nach 23 Uhr, die letzten von Mangoschlieren überzogenen Dessert-Teller sind im Geschirrspüler gelandet, in der edelstahlblitzenden Küche herrscht diese ermüdete Betriebsamkeit, um Ordnung zu schaffen für den nächsten Tag, und der Küchenchef ist immer noch im Keller. Auf dem Herd steht ein riesiger Topf, in dem eine dunkle Flüssigkeit vor sich hin blubbert. Takumi Morase ist der Hüter des Dashi, eines für die japanische Küche bedeutsamen Fischfonds. Dashi blubbert immer, nur in der Nacht wird der Herd abgedreht, aber wenn in der Früh das Feuer wieder kommt, ist der Topf immer noch brennend heiß. Es ist ein ähnlich ewig währender Prozess wie die ununterbrochene Hege und Pflege eines Sauerteigs zum Brotbacken.
Morase hat langjährige Erfahrung in den USA und der Schweiz gesammelt und heuerte nun bei Joji Hattori an, der Wien einen neuen Szenetempel japanischer Prägung bescheren wollte: "Shiki" ist Bar, Brasserie und Fine-Dining-Restaurant zugleich; das Wort shiki bedeutet sowohl "vier Jahreszeiten" als auch "dirigieren"; Hattori ist nämlich Dirigent, Geiger - und Gourmet.
Shiki ist aber noch etwas: "fabios" à la Fernost, und genau so brummt der Laden. Es ist sicher kein Zufall, dass mit Martin Pichlmaier ein ehemaliger Restaurantleiter des illustren Italo-Hybriden auf der Tuchlauben hier gelandet ist und das Architekturbüro des "fabios", BEHF, für die Gestaltung sorgte - mit elegantem Holz in der Bar und einem schummrigen Fine-Dining-Bereich, an dessen Wänden sich hinter Gittern Efeu emporrankt; die Blätter erweisen sich allerdings bei näherem Hinsehen als bedruckter Stoff. Tja, mit Photosynthese läuft hier nichts. Fokussiertes Licht erleuchtet gerade einmal die Tische; wir Esser sind bloß Schatten, ähnlich mystisch wie Marlon Brando in seiner ersten Einstellung als Huldigungen empfangender Don Vito Corleone.
Und noch eine Parallele zur Casa Fabio Giacobello: Die Küche des "Shiki" geht mit den Traditionen, auf die sie sich beruft, auch eher spielerisch um; diesfalls eben mit den japanischen. Ganz fein: Austern in einer Algen-Vinaigrette (1) und die zeitgenössischen Kreativ-Sushi (2), beispielsweise mit Seeteufelleber, Süßwasseraal oder ein wenig angesengtem Wagyu-Rind. Dazu reibt die Servicebrigade echte Wasabiwurzel auf einem mit Haifischhaut bespannten Holzbrett; diese feine Schärfe hat nichts mit der den Naschmarkt verklebenden grünen Paste gemein. Die Hauptgänge, ein Stück Kalbsrücken und eine hübsch dicke Schnitte vom wilden Kohlenfisch, in Japan als gindara beliebt, kratzen ein wenig an der Grenze zur Fadesse: sehr schonend gewürzt, mit Miso-Bohnen, Pilzen und Gemüse serviert und von mehr oder wenigen scharfen Kressen und Kräutern in die geschmackliche Ecke getrieben.
Die wahre Überraschung ist das vegane Frühlingsmenü. Wer hätte gedacht, dass so bald jemand im Umgang mit Gemüse an die exzellente Küche des nahen vegetarischen Restaurants "Tian" heranreichen würde? Die vier Gänge schweben luftig, leicht und nach allen Wohlgerüchen Nippons duftend daher; für die sorgen vor allem die vielen kleinen Kleckse aus Moro-Miso, Ume-Shiso-Sauce, fermentierten Algen und anderen alchemistischen Substanzen der japanischen Küche. Sie begleiten rohen Spargel, Bambussprossen und Gurken, Erbsen und bittere Salate und - als krönender Hauptgang -verschiedene Texturen von Karfiol (3), zu denen sich auch Waldviertler Mohn gesellt.
Und jetzt muss noch zur Sprache kommen, was eigentlich hier selten Thema ist: das Klo. Daran ist eigentlich Joji Hattori selbst schuld, hat er doch vor der Eröffnung hohe Erwartungen geweckt. In der Tat verblüfft es, wenn beim Öffnen der Tür ein weißes Krokodil sein Maul aufreißt (sprich: der Deckel automatisch hochgeht) und grüne Lichtpunkte am Muschelrand zu blinken beginnen. Und deshalb stehen wir Europäer jetzt in der Toilette des "Shiki" und wundern uns. Zu was ist dieses Ding noch fähig? Und wie viel Slapstick wäre hier schon zu sehen gewesen, wäre eine Toilette nicht ein ganz privater Ort? Mir fällt gerade die wunderbare Szene aus "Mon Oncle" ein, in der der französische Komiker Jacques Tati eine moderne vollautomatische Einbauküche inspiziert, die plötzlich ein bedrohliches Eigenleben entwickelt.
Wir werden uns daran gewöhnen, wir haben ja auch keine Angst mehr vor Einbauküchen. Derzeit aber, findet Hattori, ist Japan, was Toiletten betrifft, der Welt ein Stück voraus.
Shiki Krugerstraße 3, 1010 Wien Tel.: 01/512 73 97 www.shiki.at So, Mo geschlossen Menüs: 67 und 82 Euro, Sushi einzeln 3 bis 7 Euro