eatdrink: Freudianisches Feuer
Jetzt müssen wir auch hier in der Küche schon über die Spaltung der Gesellschaft reden. Zugegeben, das Phänomen ist nicht ganz neu: Es gibt sie schon länger, die Phobiker, die sich vor nahezu Allem fürchten, was unter dem Verdacht steht, zu schmecken und Genuss zu bereiten; die Trolle der Foren, die eine Knackwurst für das Maß aller kulinarischen Dinge halten, und alles, was besser schmeckt und mehr kostet, mit einem Shitstorm durcheinanderwirbeln; die, eh klar, Veganer und Carnivoren; die kreativen Tüftler, die sich über Küchenklassiker hermachen, die Geschmackspolizei, die ihnen mit Blaulicht nachjagt.
In jüngerer Zeit aber werden die ideologischen Klüfte in Ernährungsfragen da und dort bereits aufgearbeitet - inklusive Ratschlägen, wie man sich dem Chaos entziehen könne. Der US-amerikanische Autor Michael Pollen hat zu diesem Thema bereits einiges vorgelegt (z. B. "Essen Sie nichts, was ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte"). "Koch dich frei!", postulierte unlängst der Vier-Hauben-Koch Rudi Obauer in seiner eine authentische, unkomplizierte und natürliche Küche zelebrierenden Streitschrift "Ich koche, also bin ich" (Ecowin Verlag), für die ich ihm beim Formulieren zur Hand gehen durfte.
"Essen, was schmeckt"
Und schwupps liegt bereits das nächste Buch mit eben dieser Stoßrichtung vor. "Das Beste, was man in dieser Situation" - nämlich der totalen Verwirrung - "tun kann, ist, auf all diese Ratschläge zu pfeifen und das zu essen, was einem schmeckt!" Diesen Satz schreibt der Fotograf und Koch Michael Langoth in "Das kulinarische Manifest". Langoth betreibt mit Gleichgesinnten seit gut 15 Jahren eine Genossenschaft namens "Kochgenossen", in der geforscht, gekocht, gegessen, gereist und wohl auch manchmal gestritten wird. Den Kochgenossen geht es um die Wurzeln der Küche - wie stockkonservativ! -, um eine Art cucina povera, die auf Handwerk statt Luxuszutaten beruht. Wie modern wiederum! Es geht auch um das Echte in einer Welt, in der alles vermanscht, zurechtgebogen und verfälscht wird. Langoths Beispiele für besonders banale Banalitäten: Kein Italiener isst das berühmte Ragú bolognese mit Spaghetti, kein Inder kocht mit fertigen Curry-Gewürzmischungen, kein Thailänder, Vietnamese oder Chinese bereitet so etwas zu wie "Gemüse aus dem Wok".
Langoth war, wie an seinen Bildern im Buch zu sehen ist, an vielen Ursprungsorten der unzähligen Weltküchen: von den txocos, den privaten Kochvereinen im spanischen Baskenland, bis zu den Garküchen Asiens. Er hat von dort eine Menge Küchenwissen mitgebracht und verschweigt nichts, was seinem Manifest allerdings bisweilen eine schwer verdauliche Anmutung verleiht - es gibt wahnsinnig viel, noch dazu eher klein gedruckten, Text. Aber das Buch steckt voller Trouvaillen in Form von regionalen Küchentechniken, Gewürztraditionen und letztendlich Rezepten: 15 Arten, eine Gurke zu schneiden, sind in einer Illustration übersichtlich dargestellt; das Rezept für selbst gemachtes Chiliöl klingt überaus viel versprechend; die Gemüsegerichte sind für all jene eine Bereicherung, die irgendwann nicht mehr wissen, was sie mit Kohlrabi, Kochbananen, Karotten oder Kartoffeln noch anstellen könnten. Antwort: Keep it simple!
Mein liebstes Kapitel: die rohen Gerichte vom Ceviche (Fisch, Peru) über den Coleslaw (Weißkraut, USA) bis zum Koi Soi (Rind, Thailand), ohne Feuer zubereitete (mit Ausnahme des gerösteten Reises für das Koi Soi) Reminiszenen an das Zeitalter vor dem Kochen. In diesem Sinne sage ich danke an Michael Langoth für das Hervorkramen von Sigmund Freuds etwas bizarrer Theorie über den Urknall des Kochens. Der rührt aus einer Zeit, als der Mensch (Mann) seine infantile Lust unterdrückte, jedes Feuer mit einem Strahl auszupinkeln, sondern stattdessen ein erlegtes Tier in die Flammen warf. So gesehen würde jetzt endlich wieder die Steinzeit beginnen. Heute sagen wir dazu Grillsaison.
Das kulinarische Manifest. Mit Rezepten der Kochgenossen, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2017, 240 Seiten, 35 Euro