Ein 17-Stunden Arbeitstag mit Helga Rabl-Stadler
Es ist 8.30 Uhr und ihr Schlafdefizit gut getarnt. "Gabi, bitte heute die schnelle Tour, ja?"-"Machen wir!"Die schnelle Tour beinhaltet Waschen und Föhnen. Heute keine große Oper für die Frisur. Die Beziehung zwischen der Präsidentin und der Friseuse ihres Herzens Gabriele Ehrenreiter geht bereits ins bewegte 42. Jahr: "Ich hab die Gabi schon gekannt, als sie noch Lehrling war." "Die Gabi" schultert dankenswerterweise auch zu den unmöglichsten Zeiten die Rundbürste. Der kleine Frisiersalon Sturmayr am Rudolfskai ist unprätentiös und kein Catwalk für die Festival-Schickeria. Genau deswegen schätzt die Präsidentin den Laden, hier hat sie für 20 Minuten ein Rückzugsrefugium, ehe sie sich in den Terminirrsinn eines ganz normalen Festspieltags stürzt. Während des Föhnens wird telefoniert, schnell ein doppelter Espresso gekippt. Sätze wie "Bitte wir brauchen für die Russen Stehtische! Und auf jeden Fall kommunizieren: Es ist nur ein Empfang und keine Dernière" oder "Wir müssen es bitte der Frau X mit entsprechender Liebe formulieren" fallen. Der Umgang mit den Mitarbeiterinnen-nahezu durchgängig weiblich-des Präsidentinnenstabs zeichnet sich durch Augenhöhe und Respekt aus: "Ich bin eine, die durchaus auch Widerspruch duldet." Während des Rundbürsteneinsatzes wird am iPhone gewischt, Mails werden gescannt, ein wenig die Augen gen Himmel gekurbelt: "Manche Menschen glauben tatsächlich, ich müsse diese unendliche Leere in meinem Leben auch noch damit ausfüllen, dass ich für sie Kartenbüro spiele."
"Die Helga hat einen unglaublichen Humor, der hat uns sofort verbunden",erzählt Bettina Hering, seit fünf Jahren Schauspielchefin der Salzburger Festspiele. "Als sie und Markus Hinterhäuser mich zu einem ersten Beschnupperungsgespräch in ein Wiener Café luden, hat sie mir nahezu als ersten Satz gesagt: 'Gell, Sie sind auch keine Dirndl-Trägerin?'Das war fast eine Art Ritterschlag."
"Lachen ist für mich wie Urlaub",sagt die Präsidentin. Der Tag, den wir miteinander verbringen, wird gegen halb zwei Uhr nachts enden. Vor dem Friseurbesuch hat sie noch schnell einen Arzttermin eingeschoben. Der Rücken macht ihr dieser Tage doch zu schaffen. Ihre gut getarnten Schmerzen domptiert sie gleich einer Feldmarschallin mit eiserner Disziplin, kein Satz der Klage fällt. Nur ein Mal, als sie zwischen der Audienz beim Maestro("Ich bin Mutilogin, denn unser Maestro Muti möchte vor jeder Probe persönlich begrüßt werden. Dafür bekam ich dann auch ein Keks!")und einer Lagebesprechung mit dem Team ihr Büro kurz verlässt, ermahnt sie sich selbst mit dem Satz: "Nicht humpeln, Rabl!"
Heute trägt die Präsidentin eine bunte Seidenbluse von Etro, auf deren Rücken nostalgisch stilisierte Zirkusmotive wie Elefanten und ein bewimpeltes Zelt gedruckt sind, in ihrer marineblauen Hermès-Tasche sind die Reden für den heutigen Tag (Besuch im Opern-Jugendcamp auf Schloss Arenberg, Lunch der Amerikaner auf Leopoldskron, Ehrung des Dirigenten-Siegers beim Karajan-Nachwuchswettbewerb) in nur groben Zügen vorbereitet: "Ich bin noch immer zu sehr Journalistin, als dass ich vorgefertigte Sätze von mir gebe. Man merkt doch sofort, wenn jemand nicht authentisch ist." Authentizität gehört zum Grundstock ihres Erfolgskapitals. "Die Helga hat sich in den Jahren ihrer Amtszeit eine ungeheure Souveränität erarbeitet",schwärmt Festspielintendant Markus Hinterhäuser, "und sich dabei eine nahezu enthemmte Begeisterungsfähigkeit bewahrt. Sie beherrscht das Protokoll mühelos, weil sie aus einem sehr guten Stall kommt, und hat gleichzeitig so eine sympathische Schrulligkeit." Vor Beginn der Oper bittet sie zu einem Glas Champagner in ihr Büro, wo zwei mit Wölkchen bemalte Stühle aus einer "Così fan tutte"-Inszenierung von Hans Neuenfels stehen, auf die Wand ist die fliegende Kuppel des Doms nach einer Vorlage von Walter Pichler gepinselt.
Die Begeisterung geht mit der Präsidentin-abends im langen, roten Kapuzen-Kleid ihres aktuellen Lieblingslabels Akris-auch im Part als Zuschauerin im Festspielhaus durch. Nach der Inszenierung von Mozarts "Così fan tutte" in der Regie von Christof Loy, springt sie als Erste beim tosenden Schlussapplaus auf, ruft laut "Bravo" und applaudiert mit voller Verve bis zum endgültigen Verebben der Begeisterung. Besonders angetan zeigt sie sich von der 35-jährigen Dirigentin Joana Mallwitz, die hochschwanger am Pult steht: "Ich freu mich auf das Künstlergespräch mit ihr. Das Libretto der 'Così' ist ja leider aus heutiger Sicht ziemlich frauenfeindlich. Auch darüber möchte ich mit ihr reden." Nach der Vorstellung rauscht sie in die Künstlergarderoben und gratuliert Mallwitz und den jungen französischen Sängerinnen Elsa Dreisig und Marianne Crebassa mütterlich überbordend: "Meine Lieben, großartig! Der Christof (Anm.: der Regisseur) kocht ja heute noch für euch, ich kann leider nicht dabei sein, aber das nächste Mal!"
Der Forderung des Festspielgründers Max Reinhardt, "die Stadt möge zur Bühne werden",kommt sie nach wie niemand sonst. Salzburg ist Helga Rabl-Stadlers Bühne, die sie mit "empathischer Gewalt",so der frühere Jedermann Tobias Moretti, regiert. Bei ihr sei "die Präsidentschaft nahezu gottgegeben".Das war nicht immer so. Ihren Platz und die Neudefinition des Amtes musste sich die promovierte Juristin hart erarbeiten-im Vergleich zu ihren vielen früheren Berufen (Journalistin, erste Innenpolitik-Kommentatorin des "Kurier", ÖVP-Abgeordnete im Nationalrat, Vize-und Präsidentin der Salzburger Wirtschaftskammer),wo auch manchmal ein frauenfeindliches Lüftchen blies, war der Festivaljob am Anfang eine brutale Herausforderung an ihre Fähigkeit, mit Kränkungen umzugehen: "Ich habe Gott sei Dank überhaupt kein Talent zur Frustration. Und kann sehr gut verdrängen. Wahrscheinlich deswegen, weil ich in meiner Kindheit sehr viel Liebe bekommen habe."Es waren "schmerzhafte Prozesse, die Helga durchwandern musste, sie wurde manchmal richtig diskreditiert",erzählt Bettina Hering, "aber sie hat das immer mit sich selbst ausgemacht."
Als sich die damals 46-jährige Unternehmerin, die zu dem Zeitpunkt das exquisite Modegeschäft Resmann ihrer Mutter Rosa Stadler mit Labels wie Versace, Giorgio Armani und Yves Saint Laurent führte, um den Posten bei den Festspielen bewarb und ihn 1995 auch antrat, "schlug mir ein Misstrauensvorschuss entgegen, den ich in dieser Form noch nie erlebt hatte." Wenn sie unvorbereitet über diese Kränkungen sprechen müsse, "verliere ich bis heute nahezu die Stimme".Doch, doch, damals seien schon auch Tränen geflossen-"nicht aus Wut, sondern weil ich so verletzt war": "In meiner Zeit als Politikerin habe ich Angriffe mit Sportsgeist genommen. Ich habe nach den Attacken diverser Intendanten geschwiegen, weil ich den Festspielen nicht schaden wollte. Heute würde ich das nicht mehr machen, sondern den Fehdehandschuh zurückwerfen. Und heute würden möglicherweise Frauen hinter mir nach solchen Untergriffen aufstehen, um mich zu schützen."Hat sie nie so etwas wie Stutenbissigkeit erlebt? "Nein, ich schwimme auf einer Welle von Zuneigung, besonders von Frauen. "Aufkommende Sentimentalität wird sofort mit einer kleinen Dosis Sarkasmus gelöscht: "Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ich alt bin und niemand Angst haben muss, dass ich zur Rivalin werden könnte."
Der ab 1991 ein Jahrzehnt lang amtierende Intendant Gerard Mortier (gestorben 2014),ein belgischer Senior terrible, der mit Avantgarde und Provokation die angestaubte Karajan-Festung Salzburg sprengen wollte, nannte sie damals "eine Dirndl-Verkäuferin", die keine Ahnung von Kunst habe: "Der war so frech, der Mortier, aber auch so interessant. Wir verstanden uns blendend, mein Möchtegern-Mörder und ich. Und am nächsten Tag verkündete er in der Zeitung lauter Gemeinheiten über mich. Er wollte mein Amt einfach abschaffen und ein absolutistisches Regime etablieren." Der Schauspieldirektor Frank Baumbauer ließ Ende der 1990er-Jahre verlauten, dass "sie furchtbar nett und furchtbar dumm sei".
Sie blieb loyal. Ihr Vater, der legendäre ORF-Generalintendant Gerd Bacher, von dessen Bedeutung in ihrem Leben sie erst zu ihrem 21. Geburtstag erfahren sollte, hatte sie damals mit den Worten getröstet: "Dass du nicht dumm bist, weiß man. Aber deine Nettigkeit wurde dadurch erst bewiesen. Vergiss nie, dass du ein Glückskind bist." Dass sie so spät durch einen Brief ihres Stiefvaters auf dem Kopfpolster erfuhr, was ohnehin "in Salzburg ein offenes Geheimnis war",so eine Freundin, macht sie bis heute wütend: "Das ist ein solcher Blödsinn, einem Kind nicht zu sagen, wer sein Vater ist. Aber mein Glück war, dass ich eine sehr gefestigte Beziehung zum Stadler-Vater hatte, der meine Mutter unermesslich liebte. Und meine erste Begegnung mit dem Bacher-Vater war Liebe auf den ersten Blick. Unser erstes Treffen fand auf Schloss Fuschl statt, und er war genauso aufgeregt wie ich und hat davor drei Whiskys getrunken. Mein Selbstvertrauen habe ich sicher von ihm." Zusatz: "Wahrscheinlich war es mein Glück, dass ich nicht im Bacher-Haushalt groß wurde. Möglich, dass wir uns mit diesem späten Kennenlernen viel erspart haben, er sich und ich mir."
"Sie war Gerds Spiegelbild",erzählt Alfreda Bergmann, Witwe des ÖVP-Politikers und ORF-Generalsekretärs Kurt Bergmann. "Diese Begeisterungsfähigkeit, dieser Intellekt, dieser Kampfgeist, das war das Tigerische an der Helga, lange, bevor sie wusste, von wem sie diese Eigenschaften überhaupt geerbt hat."
"Ich konnte mit ihr immer sehr gut",erzählt der heute 80-jährige Jürgen Flimm, Festspielintendant von 2006 bis 2010, "sie war schon damals die ungekrönte Königin und hat mir zur Entjodelisierung österreichischer Autoren gratuliert. Helga ist jemand, der keinen Hehl daraus macht, gerne Macht zu haben, und sie durchaus auch genießt."
In Salzburg ist die Präsidentin das Zentrum einer Clique, zu der alteingesessene Salzburger Bankiers und Unternehmer wie die Wiesmüllers und die Spänglers gehören. Markus Hinterhäuser, der betont, auch "innig mit Helga befreundet zu sein",ist wiederum mit Maria Wiesmüller verheiratet, ihres Zeichens im Aufsichtsrat der Spängler-Bank.
"Wissen Sie, was mich so traurig macht? Dieser Neid, der zwischen den Menschen grassiert. Nicht nur in der Wirtschaft, eigentlich auch stark unter Künstlern. Ich kenne dieses Gefühl überhaupt nicht",sagt Helga Rabl-Stadler. Ein Gütesiegel, das ihr auch André Heller erteilt, der ihr eine Folge seiner Sendungsreihe "Menschenkinder" widmete: "Sie ist ein Glücksfall für jene, denen es Freude bereitet, neidlos über die Gelungenheit anderer begeistert zu sein." Geeigneter für "die Absicherung höchster Qualität auf den Feldern der Kultur, des bürgerlichen Engagements und des Zwischenmenschlichen kann man nicht sein".Hellers Bilanz: "Sie ist mir einer der allerliebsten unter den wenigen Freunden, die ich als Herzensverbündete bezeichnen würde."
Der kurze Spaziergang zum Festspielhaus durch die Altstadt lässt das Gefühl aufkommen, dass man sich im Schlepptau einer Mischung aus Landesmutter und Rockstar befindet. Immer wieder überschütten Passanten sie mit Dankesbezeugungen, was sie nicht alles für die Festspiele geleistet habe. Tatsächlich waren die Salzburger Festspiele das einzige Kultur-Großereignis, das 2020 in der Corona-Krise stattfinden konnte: "Wir waren ein Leuchtturm, der der ganzen Welt Hoffnung gab. Und unsere Gründungsväter hatten weiß Gott größere Krisen zu bewältigen." Wenn die Festspiele ein Leuchtturm sind, dann ist Rabl-Stadler, "die schon unter Adrenalin zur Welt gekommen sein muss" (Hering), die dazugehörige Leucht-Athletin. Immer wieder muss sie stehen bleiben, um für ein Selfie zu posieren. Ein Schwabe in kurzen Hosen sagt mit fast zitternder Stimme: "Wegen Ihnen habe ich mir zum 50. Geburtstag einen Besuch in Salzburg geschenkt." Geduldig vermittelt sie jedem ihrer Fans das Gefühl, wie sehr sie sich an diesem Zuwendungsparcours freut. Hat sie mit den Tränen gerungen, als nach ihrer Rede beim heurigen Eröffnungsakt sich das gesamte Auditorium, inklusive des Bundespräsidenten, erhoben hat? "Sagen wir so: Ich war sehr gerührt, aber es war nicht meine beste Rede. Eigentlich waren die anderen mehr ergriffen als ich selbst."Im Sentimentalen fühlt sie sich nicht wohl. "Das nehme ich ihr nicht ab, dazu kenne ich sie zu gut",schmunzelt Hinterhäuser. "Sie war sehr ergriffen. Wer wird denn sonst noch von einem Bundespräsidenten gebeten, sich doch noch zu überlegen, weiterzumachen?" "Es ist jetzt der beste Moment, zu gehen",sagt sie mit fester Stimme. "Einen besseren kann es einfach nicht geben." Die Angst vor der Leere des Danach existiert vielleicht gar nicht oder wird gekonnt kaschiert, Nachfolgespekulationen werden in den Wind geschlagen. Auch Markus Hinterhäuser äußert sich dazu nicht: "Wenn ich es wüsste, würde ich es nicht sagen, aber ich weiß es wirklich nicht. Es wäre in jedem Fall falsch, einen Phänotypen von Helga suchen zu wollen. Man kann sie nicht klonen, sie ist einzigartig."
Im Namenkarussell möglicher Kandidaten rotieren die Diplomatin und frühere ÖVP-Außenministerin Ursula Plassnik, die Salzburger Landtagspräsidentin Brigitta Pallauf, deren Mann ein Cousin der Festspielpräsidentin ist, die gebürtige Salzburgerin und amtierende EU-Bundesministerin Karoline Edtstadler. Auch der abgewählte ORF-Intendant Alexander Wrabetz bekundete Interesse. "Wenn ein Mann in das Präsidium gewählt wird, muss es eine echte Lichtgestalt sein", sagt die amtierende Präsidentin, "sonst geht es heute einfach nicht mehr, dass ein reines Männerdirektorium das Festival leitet."Die Frage nach einer möglichen Bundespräsidentschaftskandidatur schmettert sie ab, aber das gehört zum Polit-Spiel.
Helga Rabl-Stadler ist leidenschaftliche Feministin. Auf die Palme bringen sie Sätze von Frauen wie "Ich muss ja eigentlich nicht arbeiten": "Wenn sich jemand so bei uns bewirbt, sage ich gleich: Wir wollen hier alle arbeiten-und zwar aus Leidenschaft." Und bis heute ärgert sie, dass "ich mir gefallen habe lassen, weniger zu verdienen als Männer. Als Journalistin, Politikerin, aber auch bei den Festspielen. Da muss man sich wehren."
"Unsere Präsidentin trägt nie Tracht", erzählt ihre enge Mitarbeiterin Julia Müller im Dirndl, auf das ihr jetzt ein nahezu schuldbewusster Blick entgleitet, als wir im Festspiel-Mercedes in Richtung Leopoldskron schnurren. Beim Lunch mit amerikanischen Sponsoren herrscht der Dresscode Tracht. "Mein Juwel" nennt die Präsidentin Julia Müller, die mit ihr auch die alljährliche weltweite "Roadshow" zwecks überlebensnotwendigen Geldeintreibens für das Festspielbudget bestreitet. Rabl-Stadlers Jahresbestmarke im Mobilisieren von Sponsoren waren zwölf Millionen Euro. "Wir reisen mit Koffern voller Geschenke nach Japan, China und Korea, und wenn ich schon am Zahnfleisch gehe, ist unsere Präsidentin noch immer voll Energie",erzählt Müller. Die Präsidentin erledigt jetzt auf dem Beifahrersitz noch schnell einmal ein Dutzend Mail-Beantwortungen. Ihr Sohn Sebastian, der in Salzburger Innenstadtbestlage, gleich neben dem Café Tomaselli, die Hermès-Boutique betreibt, erzählt später: "Man kann es ihr nicht austreiben, ich habe es wirklich immer wieder versucht. Sie beantwortet alle Mails persönlich, auch die, in denen sich ein Gast über zu wenig Beinfreiheit am Platz oder ein paar Huster drei Reihen weiter beschwert. Meine Mutter kann nicht loslassen, aber wahrscheinlich ist diese Leidenschaft für alles, was sie tut, auch das Geheimnis ihres Erfolgs."
Schon als Leiterin des Modegeschäfts Resmann ihrer Mutter Rosa hatte sie außer 30 Frauen nur einen Schaufensterdekorateur in der Crew: "Bei mir suchten viele Trost und Zuspruch. Das hat sich bei den Künstlern auch ein bisschen eingebürgert. Die haben allerdings banalere Probleme als Finanzsorgen. Ich habe immer versucht zu helfen. Als eine schwangere Verkäuferin sich einmal verzweifelt bei mir ausweinte, habe ich ihr ihre Entscheidung gegen das Kind bezahlt." War das damals schon legal? "Nein, war es nicht. Ich bin natürlich der Meinung, dass man alles tun muss, um einem Kind das Leben zu ermöglichen, aber einer Frau auch die Wahl bleiben muss, wenn sie glaubt, es nicht schaffen zu können."
Schon als junge ÖVP-Abgeordnete (zwischen 1983 und 1990) verstörte Helga Rabl-Stadler den konservativen Flügel ihrer Partei, als sie auf einem Parteitag in einer schwarzen Lederhose und einer roten Seidenbluse von ihrem damaligen Lieblingsdesigner Yves Saint Laurent anrauschte. In einem ORF-Interview hatte sie in ihren Polit-Anfängen im Alter von 30 Jahren, in Anwesenheit ihres Parteichefs Alois Mock ("Der Arme hat was mitgemacht mit mir!"),sehr bestimmt in die Kamera gesagt: "Ich werde mir erlauben, eine eigene Meinung zu haben. Denn wenn ich immer mit der ÖVP einer Meinung bin, hätte es ja gar keinen Sinn, mich ins Parlament zu schicken." Der ehemalige ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, mit dem und mit dessen Frau Gigi Helga Rabl-Stadler eine enge Freundschaft verbindet, erinnert sich an die ersten Begegnungen: "Schon als junge Journalistin fiel sie durch ihre brillanten Kolumnen auf. Der Rudolf Sallinger, eigentlich ein gestandener ÖVP-Patriarch, der auch den Erhard Busek und mich sehr förderte, erkannte sehr schnell das politische Talent der Helga. Sie hat es spielend geschafft, aus Mickey-Mouse-Themen wie der flexiblen Arbeitszeit einen Diskurs zu entfachen."Nicht nur das großkoalitionäre YSL-Outfit irritierte damals einige Parteikollegen, sondern auch die Tatsache, dass die aus dem Journalismus in die Politik gewechselte promovierte Juristin "einen bereits geschiedenen Mann" geheiratet hatte. Das war "Männern wie Lichal (Anm.:Robert, späterer Verteidigungsminister) und Schambeck (Anm.:Herbert, Präsident des Bundesrats) ein Dorn im Auge". Der bereits geschiedene Mann war der langjährige profil-und "Kurier"-Herausgeber Peter Rabl, mit dem sie die beiden Söhne Maximilian, 44, und Sebastian, 42, in die Welt setzte. Inzwischen sind sie auch Großeltern von Zwillingsmädchen. Peter Rabl erinnert sich: "Ich wurde ihr damals bei der, Wochenpresse' ins Zimmer gesetzt, und dann ging eigentlich alles sehr flott zwischen uns. Diese Mischung aus Charme, Durchsetzungskraft und Durchhaltevermögen besaß sie schon damals. Wir hatten auch nach unserer Scheidung ein sehr liebevolles Verhältnis. Sie war sehr überrascht, als ich ihr zu unserem 40. Hochzeitstag mit Blumen gratulierte." Einwurf des Sohnes Sebastian, der den Witz seiner Mutter geerbt haben dürfte: "Das ist nett von meinem Vater, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er während ihrer Ehe den Hochzeitstag oft vergessen hat." Die Ehe scheiterte nach wenigen Jahren, "weil wir damals einfach zu jung waren, um in verschiedenen Städten zu leben", sagt sie unverbittert. "Wir haben damals nicht begriffen, dass man in eine Liebe auch investieren muss. Aber ich habe ihn sehr geliebt."
Politische Statements zur türkisen ÖVP sind ihr nicht zu entlocken: "Da enthalte ich mich jeden Kommentars. Ich bin die Festspielpartei und muss von allen Lagern Geld eintreiben." Später wird sie dann doch sagen: "Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass der Populismus nur von der FPÖ betrieben wird. Den finden Sie heute genauso in der ÖVP wie in der SPÖ."
Um 22.40 Uhr, nach dem Besuch der Oper, schnurren wir in der Festival-Limo zu einem Dinner, das die Präsidentin in einem italienischen Restaurant nahe Leopoldskron für eine Runde erlesener Sponsoren, unter anderen den Vorarlberger Gründer der weltweiten Kosmetikfirma L'Occitane Reinold Geiger mit seiner französischen Frau, und südamerikanische Freunde schmeißt. "Ich lebe immer in der Gegenwart und denke nicht über die Zukunft nach",schmettert die Gastgeberin nach einem Trinkspruch in die Runde, als sie von ihren Gästen nach ihren Plänen nach dem Amtsende am 31. Dezember dieses Jahres befragt wird. Nur eines steht fest: Sie wird an diesem Silvestertag verreisen. Und im nächsten Sommer die Festspiele auslassen. "Meine Mutter ist nicht der Typ von Frau, die über den Zaun Ratschläge erteilen würde",so Sebastian Rabl. "Wenn für sie etwas abgeschlossen ist, dann bleibt es auch dabei." "Man kann davon ausgehen, dass Helga nicht Marillenmarmelade einkochen wird",sagt Markus Hinterhäuser. "Das Wunder-Gen, das sie energetisch antreibt, gehört dringend wissenschaftlich erforscht", meint Wolfgang Schüssel. "Ich sehe sie nicht zurückgelehnt in einem Lehnstuhl. Wir, ihre Freunde, werden in jedem Fall für sie da sein."
Als ich sie mit dem Taxi (den Chauffeur hat sie längst entlassen) gegen halb zwei vor ihrem Haus am Stadtrand von Salzburg absetze, entschuldigt sie sich, dass es jetzt für einen Drink vielleicht doch schon zu spät sei. Sie erlaubt mir einen Blick in ihr Refugium, in dem sie schon ihre Söhne (mit Hilfe der "Elfi",einem wunderbaren Kindermädchen, das 17 Jahre lang hier mitlebte) großgezogen hat: ein luftiges, riesiges Wohnzimmer, moderne, schlichte Möbel, Josef-Frank-Vorhänge, Antiquitäten-die Geschmackssicherheit von elegantem Understatement. Hier lebt sie seit Jahrzehnten allein. Und freut sich auf ein Leben, "wo ich mich nicht drei Mal am Tag in einem kleinen Bad neben meinem Büro umziehen und nicht zwei Mal mittagessen und drei Mal abendessen muss." Oder versucht es zumindest. Hat sie eine Idee, woher ihre Energie kommt? "No sports",lacht sie. Es würde einen nicht wundern, wenn sie jetzt noch schnell eine Marillenmarmelade-Einkochsession einschiebt.